Aus Wasser, Luft und Licht

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Ammoniak soll in Zukunft eine zentrale Rolle als Energieträger spielen: Das Gas hat eine hohe Energiedichte, und bei seiner Verbrennung entsteht im Gegensatz zu Diesel oder Erdgas kein klimaschädliches Kohlendioxid. Schiffe könnten beispielsweise mit Ammoniak befeuert werden. Anders als Wasserstoff in seiner reinen Form ist Ammoniak vergleichsweise einfach zu verflüssigen und zu lagern. Somit gibt es Pläne, Wasserstoff in Ammoniak umzuwandeln. Der – neben dem Wasserstoff – dafür nötige Rohstoff ist praktischerweise überall verfügbar: Es handelt sich um Stickstoff, den Hauptbestandteil von Luft.

Die Frage ist nur: Wie stellt man das Ammoniak möglichst effizient und klimaschonend her? Chemiker aus Tokio haben dafür jetzt ein neues Verfahren präsentiert. Was sie dafür brauchen, sind Stickstoff aus der Luft, Wasser, Sonnenlicht – und eine Reihe neuer Katalysatoren.

Ammoniakproduktion wie seit über 100 Jahren

Heute wird Ammoniak hauptsächlich nach dem Haber-Bosch-Verfahren produziert. Dabei leitet man bei einem Druck über 200 bar und Temperaturen jenseits der 400 Grad Celsius Wasserstoff aus Erdgas und Stickstoff aus der Luft über einen eisenhaltigen Katalysator. Das Haber-Bosch-Verfahren zählt bis heute zu den wichtigsten Prozessen der Chemieproduktion. Die Industrie nutzt es seit über 100 Jahren. Seinen Erfindern Fritz Haber und Carl Bosch brachte es 1918 beziehungsweise 1931 den Nobelpreis für Chemie ein. Jährlich verlassen rund 150 Millionen Tonnen des Gases die Chemieanlagen weltweit. Das meiste davon, nämlich 90 Prozent, wird zu Dünger weiterverarbeitet. Wenn Ammoniak auch als Treibstoff dienen soll, muss sich die Produktion, so sagen es Studien voraus, bis zum Jahr 2050 vervierfachen.

Und hier könnte das bisherige Erfolgsmodell Haber-Bosch an seine Grenzen stoßen – denn es ist alles andere als klimafreundlich: Durch die hohen Drücke und Temperaturen braucht es viel Energie. Zwei Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und zwei Prozent der Kohlendioxidemissionen gehen auf die Ammoniakproduktion zurück.

Nach dem Vorbild der Natur

Die Alternativen zu diesem etablierten Prozess sollen im Idealfall bei Normaldruck und Raumtemperatur funktionieren. Den Tokioter Forschern um Yo­shiaki Nishibayashi ist das gelungen, indem sie die Natur zum Vorbild genommen haben: Bestimmte Bodenbakterien, die mit Leguminosen, also Hülsenfrüchtlern wie Bohnen oder Erbsen, in Symbiose leben, verfügen über Enzyme, die Luftstickstoff zu Ammoniak und seinen chemischen Verbindungen umsetzen und so für die Pflanzen verfügbar machen.

Katalysatoren, die ähnlich wie diese Enzyme arbeiten, haben die Wissenschaftler bereits in den Jahren 2019 und 2022 beschrieben. In ihrer aktuellen Arbeit, die sie in „Nature Communications“ veröffentlicht haben, verwendeten sie einen Iridium-Katalysator, eine Phosphorverbindung – ein sogenanntes tertiäres Phosphin – sowie einen Katalysator mit Molybdän-Atomen. Der Iridium-Katalysator absorbiert Sonnenlicht und gibt die Energie an das Phosphin weiter, das dann Wasserstoff aus den Wassermolekülen abspaltet. Der Molybdän-Katalysator verändert die Stickstoffmoleküle so, dass sie sich mit dem Wasserstoff verbinden. So konnten die Wissenschaftler zehnmal so viel Ammoniak herstellen wie bei ihren älteren Arbeiten.

Diese Ammoniaksynthese funktioniert bisher nur im Labor. Auch wenn die Forscher ihre Ergebnisse einen „Durchbruch“ nennen, wird es ihnen vermutlich ähnlich ergehen wie anderen Versuchen, den Haber-Bosch-Prozess zu ersetzen, etwa Plasmamethoden oder elektrochemischen Verfahren: Vermutlich wird es mindestens fünf, eher 15 Jahre dauern, bis eines der verschiedenen Laborverfahren in der Industrie einsatzbereit ist. Das ist zumindest die Einschätzung von An­dreas Menne vom Fraunhofer-Institut UMSICHT in Oberhausen, der ein umfassendes Projekt zu Ammoniak als Energieträger leitet.

„Vielleicht“, sagt Menne, „wird es auch beim Haber-Bosch-Verfahren bleiben.“ Denn auch daran wird immer noch geforscht, etwa an neuen Katalysatoren, die bei geringeren Drücken und Temperaturen arbeiten. „Dadurch, dass die Anlagen so viel Ammoniak produzieren, lohnt es sich auch dann, wenn die Effizienz nur ein halbes Prozent oder ein Prozent steigt.“ Ein Fortschritt wäre es, wenn der Wasserstoff für die Ammoniakproduktion aus der Wasserelektrolyse und die Energie als Strom aus erneuerbaren Quellen gewonnen würde. „Diese Technik“, sagt Menne, „existiert bereits.“ Nur ist sie teurer als das eta­blierte Verfahren.