Glyphosat stammt nicht nur aus der Landwirtschaft: Wie neue Studien eines Forscherteams der Uni Tübingen belegen, entsteht die Chemikalie auch durch Waschmittel in Kläranlagen. Das belastet Flüsse zusätzlich.
Die Nachricht war überraschend und sorgte für Widerspruch: Stammt ein Teil des umstrittenen Herbizids Glyphosat gar nicht aus der Landwirtschaft, sondern aus unseren Waschmitteln – und damit letztlich aus Kläranlagen? Eine Studie der Universität Tübingen äußerte diesen Verdacht im vergangenen Jahr. Nun legt das Forscherteam mit weiteren Studien nach, um diese überraschende These zu untermauern.
Dem Forscherteam um die Chemikerin und Umweltanalytikerin Carolin Huhn von der Universität Tübingen fiel auf, dass das Auftreten von Glyphosat in den Gewässern nicht mit dem Einsatz in der Landwirtschaft zusammenpasste. Demnach müsste es beispielsweise im Frühjahr einen Anstieg geben oder nach starken Regenfällen, wenn das Pestizid von den Äckern ausgespült wird.
Doch Analysen der Daten der Landesuntersuchungsämter, die bis 1988 zurückreichen, so Huhn, zeigten, dass sich die Einträge über das ganze Jahr relativ gleichmäßig verteilen. “Die Eintragsmuster dort passen überhaupt nicht zu einem landwirtschaftlichen Einsatz, sondern weisen klar auf einen Eintrag über Kläranlagen hin.”
Glyphosat bildet sich aus Waschmittelzusatz
Huhn und ihr Team haben für die neue Studie aus Kläranlagen “frischen Klärschlamm” ins Labor gebracht und mit einem Waschmittelzusatz versehen. Das Ergebnis ist für Laien verblüffend, für Chemiker nicht: Es entstand “schon nach ein paar Stunden” Glyphosat. Verantwortlich ist ein den allermeisten wohl unbekannter Stoff mit dem langen Namen Diethylentriaminpentamethylenphosphonsäure – kurz: DTPMP. Diese Chemikalie gehört zur Gruppe der Phosphonate und ist in vielen Waschmitteln enthalten. Dort verhindert sie die Kalkbildung und verbessert so auch die Waschleistung.
Für Chemikerin Huhn ist es nicht erstaunlich, dass aus dem Phosphonat Glyphosat entsteht: “Dieses Waschmitteladditiv ist einfach das Molekül Glyphosat in zweieinhalbfacher Größe. Man findet die Grundstruktur von Glyphosat schon, wenn man sich einfach die Strukturform von DTPMP anschaut.” Man müsse dem nur noch Sauerstoff hinzugeben, dann ergebe sich Glyphosat.
Mangan als Katalysator
Ihr Kollege, der Umweltchemiker Stefan Haderlein, forscht ebenfalls an der Uni Tübingen und hat gemeinsam mit Carolin Huhn eine weitere Studie zu dem Thema gemacht. Dabei haben sie im Labor DTPMP zu verschiedenen Wasserlösungen gegeben. Entscheidend war die Zugabe von Mangan in verschiedener Form – auch als Mangan-Oxid, also in Verbindung mit Sauerstoff.
Mangan, so Haderlein, wirkt wie ein Katalysator, also ein Reaktionsbeschleuniger. Damit gelinge die chemische Umwandlung von DTPMP in Glyphosat ganz einfach: “Mangan ist ein sehr häufiges Element, das in der Erdkruste fast überall anzutreffen ist. Es ist also weit verbreitet und praktisch in allen natürlichen Gewässern vorhanden.” Die Lösungen haben sie dabei auch sterilisiert, also alle Bakterien abgetötet, um auszuschließen, dass diese die Umwandlung bewirken.
Reaktion der Waschmittelindustrie
Der Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel IKW reagierte auf die Studienerkenntnisse und gab an, bei eigenen Versuchen keine Glyphosat-Bildung festgestellt zu haben. Der Verband geht davon aus, dass DTPMP aus Waschmitteln “nur einen sehr geringen Beitrag zu den gemessenen Glyphosatmengen in Oberflächengewässern hat”.
Sowohl Carolin Huhn als auch Stefan Haderlein räumen ein, dass nicht klar ist, wie viel Glyphosat in Kläranlagen entsteht und von dort aus in die Umwelt gelangt. Aber laut ihren “sehr schwierigen” Recherchen werden etwa 2.500 Tonnen DTPMP jährlich in Deutschland als Entkalker eingesetzt. Eine ähnlich große Menge, wie die des direkt als Herbizid eingesetzten Glyphosats. Bei diesen Mengen DTPMP, so Haderlein, “genügt schon eine sehr geringe Ausbeute, ein sehr geringer Grad der Umwandlung, um etliche Kilogramm Glyphosat landesweit zu erzeugen”.
Wie viel Glyphosat können Kläranlagen herausfiltern?
Zudem sei unklar, welche Mengen des Pestizids die Kläranlagen herausfiltern können. Für Stoffe wie Glyphosat seien diese gar nicht ausgelegt. Huhn geht davon aus, dass maximal 80 bis 90 Prozent herausgefiltert werden. Das würde bedeuten, dass das meiste in die Umwelt gelangende Glyphosat zwar immer noch aus der Landwirtschaft stammt, aber eben doch ein Teil in Kläranlagen durch den Waschmittelzusatz entsteht und von dort in die Flüsse gelangt.
Das Team plant weitere Forschungen, um die genaue Herkunft des Pestizids in Flüssen und Seen zu klären und herauszufinden, an welcher Stelle die Glyphosat-Bildung in Kläranlagen stattfindet und welche Faktoren diese begünstigen. Zudem verweisen sie auf andere mögliche Quellen: Auch in der Industrie werden Phosphonate als Reiniger und Entkalker eingesetzt, und das Prozesswasser wird teils direkt in Flüsse eingeleitet.
Auswirkungen des Glyphosats in Gewässern
Das Glyphosat sei in der bisher gefundenen Konzentration in Flüssen oder Seen keine Gefahr für Menschen, auch nicht für das Trinkwasser. Sollte dies aus Oberflächengewässern entnommen werden, so Huhn, werde es herausgefiltert. Problematisch sei es aber für aquatische Lebewesen, etwa Bakterien, Algen und auch Fische. Bei letzteren sehe man beispielsweise Effekte im Darm der Tiere.
Umweltanalytikerin Huhn kritisiert, dass die Daten von Schadstoffmessungen unzureichend genutzt würden. Teilweise werde aber auch zu wenig vor und nach Kläranlagen gemessen. Und es werde zwar nach Schadstoffen gesucht, aber nicht nach deren Abbauprodukten. DTPMP werde nicht nur zu Glyphosat abgebaut, sondern zu weiteren 40 verschiedenen Stoffen.
Chemiker fordern Einsatz alternativer Waschmittelzusätze
Ihre Forderung: Die Verbraucher sollten Waschmittel verwenden, die kein DTPMP, sondern biologisch abbaubare Entkalker enthalten. Doch das ist nicht so einfach umzusetzen. Zwar geben manche Hersteller die Inhaltsstoffe auf ihrer Internetseite an. Aber die Bezeichnungen zu verstehen und richtig zu interpretieren, ist für chemische Laien schwierig. Dafür hat Huhn einen Tipp: Einfach beim Hersteller nachfragen, welche Inhaltsstoffe in ihrem Waschmittel sind und ob es DTPMP enthält.