Arbeitgeber fordern Entlastung für Unternehmen

9

Arbeitsschutz soll Arbeitsplätze sicher machen, wenn auch nicht im ökonomischen Sinn. Der Begriff steht für ein verzweigtes Regelungssystem, das Beschäftigte vor Unfällen und Gesundheitsrisiken bei der Arbeit schützen soll. Doch nebenbei hat sich dieses System zu einer starken Bürokratiebelastung entwickelt, wie eine neue Erhebung der Ar­beitgeberverbände zeigt. Unternehmen in Deutschland müssen demnach etwa 10.000 Einzelanforderungen im Arbeitsschutz beachten. Diese verteilen sich über sehr vielfältige Regelwerke, deren Anwendung in den Betrieben unter anderem durch 592.227 Sicherheitsbeauftragte überwacht wird.

Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist der Aufwand trotz aller Fortschritte in puncto Sicherheit zu hoch. Damit Arbeitsschutz nicht Arbeitsplätze ökonomisch gefährdet, macht sie sich nun mit einer Liste von Reformvorschlägen für Vereinfachungen stark. Sie könnten Unternehmen nach ihrer Rechnung um eine Milliarde Euro jährlich entlasten und Unternehmern zugleich mehr Zeit fürs Kerngeschäft lassen.

„Der Vor­schrif­ten­dschun­gel muss dringend gelichtet werden“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger der F.A.Z. „Effizienter Arbeitsschutz braucht kein Regelpuzzle, das zur Erfüllung eine ganze Rechtsabteilung benötigt, sondern handhabbare Vorschriften, die leistbar sind.“ Gerade kleinere Betriebe bräuchten einfache, verständliche Regeln, „statt immer neuer Berichts- und Kontrollpflichten“.

Wer wird Leiterbeauftragter?

Zum „Regelpuzzle“ gehört zum Beispiel die Position des Leiterbeauftragten. Und deren Abschaffung fordert die BDA. Die Betriebssicherheitsverordnung – ein sechzigseitiges Regelwerk, das 510-mal den Begriff „Prüfung“ enthält – gibt in Verbindung mit der Technischen Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 1203 dies vor: Zur regelmäßigen Prüfung von Leitern und Tritten müssen Arbeitgeber eine „befähigte Person“ qualifizieren und beauftragen.

Wie die BDA darlegt, kosten die ein- bis zweitägigen Schulungen für Leiterbeauftragte die Unternehmen etwa 650 Euro je Tag und Person. Zugleich habe sich aufgrund einer Empfehlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) ein jährliches Prüfintervall etabliert. In der Folge würden selbst wenig genutzte, einfache Leitern und Tritte jährlich von eigens dazu qualifizierten Personen geprüft. Im Zeitalter verschließarmer Aluleitern sei das aber unnötig. Es genüge, Beschäftigte zu einer „Sichtprüfung und Funktionskon­trolle“ vor dem Benutzen anzuhalten.

Sieben amtliche Arbeitsschutzausschüsse beim Bun­des­ar­beits­mi­nis­teri­um

Dies ist nur eine von zwei Dutzend Forderungen in dem Papier. Sie zeigt indes exemplarisch, was das Puzzle oft kompliziert macht: Regelungen stehen nicht nur in Gesetzen und Verordnungen; zudem produzieren sieben amtliche Arbeitsschutzausschüsse beim Bun­des­ar­beits­mi­nis­teri­um unter Mitwirkung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Regelwerke wie die „TRBS“; Empfehlungen der Berufsgenossenschaften unter dem Dach der Unfallversicherung treten hinzu. Verteidiger wenden oft ein, dass weder Technische Regeln noch solche Empfehlungen rechtlich zwingend seien. Allerdings hängen daran Haftungsfragen. Nur wer alles akribisch einhält und dokumentiert, ist nach einem Unglück best­möglich vor Regressforderungen sicher.

DSGVO Platzhalter

Die Arbeitsschutzausschüsse beim Ministerium sind aber nicht zu verwechseln mit den Arbeitsschutzausschüssen, die das Arbeitssicherheitsgesetz für jeden Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten vorschreibt. Ihnen gehören Arbeitnehmervertreter an, zudem die vom Arbeitgeber zu bestellenden Betriebsärzte und Fachkräfte für Ar­beitssicherheit sowie die Sicherheitsbeauftragten, die aus dem Kreis der Belegschaft zu rekrutieren sind. Ihnen gibt das Arbeitssicherheitsgesetz vor, mindestens einmal je Quartal Sitzungen abzuhalten; aus Sicht der BDA ist das eine unnötig kleinteilige Vorschrift.

592.227 Sicherheitsbeauftragte

Die Rolle der laut DGUV-Statistik derzeit 592.227 Sicherheitsbeauftragten ist derweil im siebten Sozialgesetzbuch geregelt, auch sie sind für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten Pflicht. Ähnlich wie die Leiterbeauftragten achten sie als Mittler zwischen Arbeitgeber und Belegschaft auf Sicherheit im Alltag, nur mit breiterem Blickwinkel. Um kleinere Betriebe von Zeit- und Schulungsaufwand zu entlasten, schlagen die Arbeitgeber vor, Sicherheitsbeauftragte nur noch in Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten vorzuschreiben.

Zuweilen treten Anwendern von Vorgaben auch schier unauflösliche Widersprüche in den Weg. Beispielsweise müssen schon Kleinbetriebe eine betriebsärztliche Betreuung ihrer Beschäftigten sicherstellen, legt die BDA dar. Tatsächlich aber sei eine Betreuung der 2,6 Millionen Klein- und Kleinstbetriebe „mit der derzeit verfügbaren Anzahl von 9000 Betriebsärzten schon rein rechnerisch nicht möglich“. An­statt dafür nur approbierte Fachärzte für Arbeitsmedizin zuzulassen, müssten andere Gesundheitsfachkräfte mehr Aufgaben übernehmen dürfen. Zudem gehöre die insgesamt elfjährige Ausbildung zum Facharzt für Arbeitsmedizin gestrafft.

Unnötig komplizierte Vorgaben sehen die Arbeitgeber auch im Hinblick auf Ersthelfer, von denen laut DGUV-Vorgabe in jedem Betrieb genügend Kräfte verfügbar sein müssen. Und das Gesetz fordere, dass diese alle zwei Jahre Fortbildungslehrgänge machen. Eines der Ärgernisse liege darin, dass sogar Ret­tungssanitäter, Krankenpfleger und Feu­erwehrleute die Kurse machen müssten – oder nur umständlich von der Schulungspflicht für betriebliche Ersthelfer befreit werden könnten.

„Brauchen bestmöglichen Schutz, aber minimale Bürokratie“

„Arbeitsschutz ist für unsere Unternehmen gelebte Verantwortung“, verteidigt sich Dulger gegen mögliche Vorwürfe, er nehme Gesundheitsrisiken nicht ernst. „Wir brauchen bestmöglichen Schutz, aber minimale Bürokratie.“ Nötig seien weniger Dokumentationspflichten und dafür ein verständlicheres Regelwerk, außerdem mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung von Arbeitgebern und Beschäftigten.

Aussicht darauf besteht insofern, als Union und SPD einige Schritte dazu im Koalitionsvertrag verabredet haben. Mit einem „Sofortprogramm für den Bürokratierückbau“ wollen sie noch in diesem Jahr „insbesondere mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen, Verpflichtungen zur Bestellung von Betriebsbeauftragten abschaffen und den Schulungs-, Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwand signifikant reduzieren“, wie es dort heißt.

Die DGUV weist für 2024 rund 750.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle aus. Das sind etwa 18 je 1000 Vollzeitarbeitskräfte, ein Drittel weniger als vor 20 Jahren. Welchen Anteil ein Ausbau von Vor­schrif­ten daran hatte, klärt die Statistik nicht. Auch der Strukturwandel von Produktions- hin zu Dienstleistungsberufen trägt zu sinkenden Unfallzahlen bei.