Konferenz der F.A.Z.: Welche Chancen Trump bietet

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Der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger hat die derzeitigen weltökonomischen Verwerfungen als Chance für Europa bezeichnet. „Trumps Handelspolitik und Chinas Umarmung und Erpressung erschrecken die Welt, damit schlägt die Stunde für Europa.“ Doch Europa müsse die Chance auch nutzen, sagte Oettinger auf der European Economic Conference in Berlin, zu der die F.A.Z. in die internationale Wirtschaftshochschule ESMT Berlin rund 200 Wirtschaftspolitiker und Unternehmer eingeladen hatte.

Ein Beispiel für die Chancen sei die Schuldenpolitik von US-Präsident Donald Trump. Derzeit debattiert der Kongress ein Haushaltsgesetz, das nach Berechnungen mehrerer Institute die Staatsschulden in den nächsten zehn Jahren um rund drei Billionen Dollar steigern könnte. In dieser Situation könne sich Europa Anlegern als sicherer Hafen anbieten. Aber dafür dürften die EU-Mitglieder nicht ebenfalls ihre Schulden massiv ausbauen. „Ich rate der Eurozone zu mehr finanzpolitischer Stabilität“, sagte Oettinger, der bis 2019 in der EU-Kommission die Haushaltspolitik verantwortete. Gerade in Deutschland jedoch seien Sonderschulden in dreistelliger Milliardenhöhe geplant. Wenn die Bundesrepublik in Haushaltsfragen nicht seriös bleibe, zögen andere EU-Mitglieder nach.

Plädoyer für den Freihandel

Zudem rief Oettinger dazu auf, stärker auf den Freihandel zu setzen. Zwar gebe es in einigen europäischen Staaten Kritik am geplanten Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. In Frankreich etwa protestieren Bauern gegen die billigen Agrarimporte aus Südamerika. Doch wenn Europa das Handelsabkommen nicht hinbekomme, verpasse die Union eine Chance, Südamerika einzubinden, mahnte Oettinger, der inzwischen Präsident der Wirtschaftsuniversität EBS in Hessen ist.

Dass die amerikanische Politik auch in anderen Bereichen Chancen für Europa bietet, berichtete Jörg Rocholl, Präsident der ESMT Berlin: Er erhalte täglich Anrufe amerikanischer Professoren, die nach Europa wechseln wollten. Wenn man 500 von ihnen gewinnen wolle, müssten dafür 500 Millionen Euro bereit gestellt werden. Diese Summe, „um die besten Köpfe zu holen“, sei sinnvoller investiert als etwa in die Mütterrente.

Rat zu mehr Künstlicher Intelligenz

Zuvor hatte F.A.Z.-Herausgeber Gerald Braunberger dafür plädiert, nun stärker über eine „Grand Strategy“ für Europa zu debattieren, eine Strategie, die wirtschaftliche, politische und militärische Ziele definiere und bündele. Daran fehle es den Europäern. Die Folge: „In nicht wenigen Bereichen ist Europa abgehängt.“ Ein Beispiel dafür seien die Satelliten: Von den rund 10.000 betriebsfähigen Satelliten im All gehörten rund 7600 dem Unternehmen Starlink von Elon Musk, das Genehmigungen für 20.000 habe – während die europäische Raumfahrtagentur sich schwertue, 300 ins All zu bringen.

Google-Manager Karan Bhatia rät den Europäern, stärker die Chancen der Künstlichen Intelligenz nutzen. Regierungen in Europa seien noch deutlich zögerlicher als andere in der Welt, auf diese Technologie zu setzen. Zwar gebe es berechtigte Sicherheitsbedenken, aber ebenso erhebliche Chancen, damit die Produktivität zu steigern. Die Ankündigungen im Koalitionsvertrag der neuen deutschen Bundesregierung seien vielversprechend. „Aber Visionen müssen auch umgesetzt werden.“

Der italienische Reifenhersteller Pirelli hat auf der Konferenz betont, er setze weiter auf die Produktion in Deutschland. Bis 2030 seien strategische Investitionen am Standort Breuberg im südhessischen Odenwaldkreis geplant, sagte Wolfgang Meier, Deutschlandchef von Pirelli, in Berlin. Unter anderem wolle das Unternehmen dort das Entwicklungszentrum ausbauen, in dem Produkte virtuell entwickelt werden. Breuberg sei neben dem Stammsitz Mailand das wichtigste Entwicklungszentrum des Unternehmens, das in Deutschland rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt.