Wer in diesem Mai Island besuchte, erlebte sein blaues Wunder, genauer: ein lilafarbenes. In der Hauptstadt Reykjavík selbst war es in der Monatsmitte zwar eher ein gelbes: Bei strahlendem Sonnenschein prangte überall der unlängst an dieser Stelle verhandelte Löwenzahn und stahl selbst im botanischen Garten der Stadt allen anderen Pflanzen die Show. Auf den ländlichen Fluren der teilweise vergletscherten subarktischen Insel dagegen dominiert jetzt ein leuchtendes Violett.
Es sind die Blüten des Lupinus nootkatensis, einer der in die Hunderte gehenden Arten dieser Gattung aus der Familie der Hülsenfrüchtler, von denen einige sogar essbare Samen liefern. Allerdings nicht L. nootkatensis, was die Frage aufwirft, warum es insbesondere entlang der Südküste Islands gerade so aussieht, als würden die Pflanzen dort angebaut. Doch die Lupinen haben viele Landstriche dort ganz allein unter ihre Kontrolle gebracht – und das erst in den vergangenen 80 Jahren.

Im Jahr 1945 brachte Hákon Bjarnason zwei Esslöffel Lupinensamen von einer Reise nach Alaska mit. Bjarnason leitete damals die isländische Forstbehörde, was insofern keine besonders erfüllende Aufgabe war, als es auf Island praktisch keinen Wald gab. Dem hatten schon die ersten skandinavischen Siedler den Garaus gemacht, als sie um das Jahr 870 n. Chr. auf die Insel kamen, die damals bis zu vierzig Prozent bewaldet gewesen sein dürfte.
Ähnlich der Osterinsel oder weiten Teilen Neuseelands ist Island damit ein Beispiel dafür, dass es keine Industriegesellschaft braucht, um ein Ökosystem zu ruinieren. Mit ihren eisernen Äxten und den mitgebrachten Weidetieren und deren Vorliebe für gerade keimende Bäumchen waren die Nordmänner allerdings besonders effizient.
„Die haben ihren Job zu gut gemacht“
Die Folge war eine Bodenerosion, die spätestens mit dem Bevölkerungswachstum auf der Insel bis Ende des 19. Jahrhunderts zu einem echten Problem wurde. Zur Lösung wurden nun geeignete Pflanzen gesucht. Das führte schließlich Hákon Bjarnsason in das klimatisch ähnliche Alaska und zur Nootka-Lupine. Sie hat ihren Namen von einer Insel vor Vancouver Island in der kanadischen Provinz British Columbia, dem südöstlichsten Ende ihres Verbreitungsgebietes, das im Westen bis zu den Aleuten reicht.
Wie alle gängigen Hülsenfrüchte bindet sie mithilfe von Bakterien an ihren Wurzeln Luftstickstoff, düngt sich also praktisch selbst. Was man bei der Einführung nach Island aber nicht bedachte, war, dass es in Alaska sehr wohl Wälder gibt, in deren Schatten Lupinen nicht wachsen, was sie auf Flussniederungen und Überflutungszonen beschränkt. Im baumlosen Island dagegen können sie sich hemmungslos ausbreiten – und tun das auch.
Das Ergebnis ist unter den Isländern heute umstritten. Nicht wenige mögen den Anblick der lila Pracht, der ja auch den wirtschaftlich immer wichtigeren Touristen gefällt, zumal das Ziel des Bodenschutzes ja erreicht wurde. Seit den Achtzigern aber macht man sich auch Sorgen.
Die bis zu einem Meter hohen Pflanzen nehmen der niedrigen einheimischen Flora das Licht – auch wenn diese vielerorts ihrerseits erst ein Produkt des frühmittelalterlichen Kahlschlags ist. Und die Hoffnungen, die Lupinen würden, gleich anderen Pionierpflanzen, irgendwann einer neuen Vielfalt Platz machen, haben sich nicht erfüllt. „Die haben ihren Job zu gut gemacht“, sagt ein isländischer Glaziologe und früherer Nationalpark-Ranger, der in diesem Job jedes Jahr um die Junimitte die wenigen Tage abzupassen hatte, in denen man der Lupinen Herr werden kann. „Rupft man sie zu früh heraus, regenerieren sie sich, ist man zu spät, haben sie schon Samen gebildet.“ Dass die Blüten nun schon Mitte Mai derart weit ausgetrieben sind, sei ungewöhnlich – und vermutlich nicht hilfreich.