Vom Beginn der „Ära der grünen Moleküle“ sprach Tim Böltken, der Chef des Start-ups Ineratec. Im Frankfurter Industriepark Höchst eröffnete er am Dienstag die nach Unternehmensangaben bislang größte Produktionsanlage für CO2-neutrales synthetisches Kerosin – zehn Jahre nach der Gründung von Ineratec mit Wurzeln im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und rund zwei Jahre nach Baubeginn.
Grün war vor Ort wenig, als ein überdimensionaler Vorhang vor der neuen Anlage fiel. Die besteht aus weißen Baumodulen mit blauer Schrift, aufgestellt auf einer grauen Betonfläche. Doch die Aussichten seien grün. „Vielleicht sehen wir hier die Antwort auf die Frage, wie unsere Kinder in einer CO2-neutralen Welt leben können“, sagte Böltken. Synthetische Kraftstoffe aus CO2 und Wasserstoff setzen bei der Verbrennung genauso viel CO2 frei, wie zur Herstellung gebunden wurde.
Er pries das Erreichen eines „Meilensteins“. Wie groß der geraten ist, dürfte eine Frage der Perspektive sein. Einerseits gibt es aktuell in Europa keine andere Anlage, die so viel synthetischen Kraftstoff herstellen kann. Andererseits reicht der jährliche Ausstoß von bis zu 2500 Tonnen nur, damit die deutsche Luftfahrt rechnerisch einen Kleinstanteil der von 2030 an greifenden EU-Auflage zur Beimengung synthetischer Kraftstoffe erfüllen kann – und das, obwohl die Beimengung zunächst nur 1,2 Prozent des getankten Kerosins ausmachen muss.
„Erste Schritt immer der härteste“
Bis zum Jahr 2050 soll die Beimischquote auf 35 Prozent steigen. Für Deutschland hatten sich Bund, Länder, Öl- und Luftfahrtwirtschaft sich vor Jahren verständigt, dass 2030 rund 200.000 Tonnen synthetisches Kerosin für den Flugverkehr zur Verfügung stehen sollen. Die Ineratec-Anlage kann rechnerisch einen Beitrag von leicht mehr als einem Prozent dazu leisten.

Die Luftfahrtbranche beklagt seit Längerem, dass die Vorgaben schwer einzuhalten seien. Synthetisches Kerosin sei nicht verfügbar und sehr teuer, für neue Produktionsanlagen fehlten Anreize für Investoren. Alternatives Kerosin, das deutsche Fluggesellschaften aktuell in kleinem Maß als Beimengung tanken, ist rein biogenen Ursprungs, erzeugt aus Biomasse oder altem Frittierfett.
Böltken hält dagegen, die Ziele seien erreichbar. „Der erste Schritt ist immer der härteste, den danach 100 weitere Male zu gehen, ist einfacher“, sagte er der F.A.Z. Ineratec plane weitere Standorte. Auch der in Frankfurt lasse sich erweitern, der im Industriepark Höchst erhältliche Wasserstoff würde ausreichen, um die Produktion zu verzehnfachen.
Weitere E-Fuel-Anlagen geplant
In Frankfurt nutzt Ineratec den Vorteil, dass CO2 aus einer Biogasanlage zu beziehen sei und Wasserstoff in der Chlorgasproduktion anfalle. „Beides sind hier Nebenprodukte, wir schaffen daraus ein Wertprodukt.“ Für weitere Anlagen kämen Standorte infrage, an denen CO2 und Wasserstoff verfügbar oder dank großer Sonneneinstrahlung die energieintensive Wasserstoffproduktion zu niedrigeren Kosten möglich sei. Bis 2040 sei eine Preisparität zwischen herkömmlichen Kraftstoffmolekülen und „grünen“ aus Ineratec-Anlagen zu erreichen.

Martin Schulz, früherer Präsident des Europaparlaments, lobte den Mut der Ineratec-Gründer, ihr Vorhaben umzusetzen. „Wenn wir technologischen Fortschritt haben wollen, kostet das viel Geld. Die schon jetzt absehbaren Folgekosten des Nichtstuns sind aber höher“, sagte Schulz. Die Ineratec-Anlage kostete 40 Millionen Euro. Mittel stammen von der Europäischen Investitionsbank und von Breakthrough Energy Catalyst, einer Stiftung des Techmilliardärs Bill Gates.
Hessens Wirtschafts- und Verkehrsminister Kaweh Mansoori (SPD) mahnte Fluggesellschaften, neuen Kraftstoff auch abzunehmen. „Ich habe den Frankfurter Flughafen immer als Tor zur Welt gesehen, wir brauchen mehr Austausch, mehr Reisen, mehr Begegnung.“ Doch das sei nur möglich, wenn zugleich Verantwortung für kommende Generationen übernommen werde. „Ich habe mich zuletzt starkgemacht für finanzielle Entlastungen für die deutsche Luftfahrt. Ich erwarte aber auch, dass Airlines solche Projekte unterstützen“, sagte Mansoori.
Der Weg hin zu einer klimaneutralen Luftfahrt gestaltet sich mitunter holprig. Die zehn Entwicklungsjahre verglich Boeltken mit einem Flug, während das Flugzeug noch gebaut werde. Die Organisation Atmosfair, die eine erste, kleinere Anlage im Emsland betreibt, teilte zuletzt mit, diese funktioniere „noch nicht annähernd wie geplant“. Hoffnungen aus dem vergangenen Sommer hätten „sich nicht bestätigt“. In der Atmosfair-Anlage sind auch Ineratec-Teile verbaut. Böltken sieht die Marktreife synthetischer Kraftstoffe gleichwohl erreicht, auch andere Anlagen würden schrittweise zu größeren Produktionsmengen kommen.