Wilders setzt einem Experiment ein jähes Ende

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Nach dem Austritt der Rechtsaußenpartei PVV ist in den Niederlanden die Koalition zerbrochen. Ministerpräsident Dick Schoof kündigte am Dienstagnachmittag nach einer Krisensitzung des Kabinetts seinen Rücktritt an, eine Neuwahl ist wahrscheinlich. Die Ministerriege sei zu dem Schluss gekommen, dass es „in der Zweiten Kammer mit dem Abgang der PVV unzureichend Unterstützung für dieses Kabinett gibt“. Die Regierung arbeitet geschäftsführend weiter. Schoof nannte den Fall des Kabinetts „unnötig und unverantwortlich“ angesichts der vielen Herausforderungen, daheim und international. Nicht zuletzt wird der NATO-Gipfel Ende Juni in Den Haag stattfinden.

Der PVV-Anführer Geert Wilders hatte am Morgen den Rückzug seiner Partei aus der Vier-Parteien-Koalition bekanntgegeben. Als Grund gab er an, die Asylpolitik sei nicht scharf genug. Das Thema Migration und Asyl erweist sich damit wiederum als Koalitionsspalter: 2023 war das vierte Kabinett unter der Führung der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) von Mark Rutte auseinandergefallen: ein Bündnis aus Rechtsliberalen und Liberalen, Christdemokraten und gemäßigten Calvinisten. Nach den darauffolgenden Wahlen bildete sich in monatelangen Verhandlungen eine Koalition ohne linke Beteiligung – und unter Einschluss von Wilders’ PVV, die als stärkste Kraft aus der Abstimmung hervorgegangen war. Diese Allianz hat nach einer langwierigen, erst im Sommer vorigen Jahres abgeschlossenen Regierungsbildung weniger als ein Jahr gehalten.

Regierungsbildung zog sich über Monate

Wilders bringt damit zum zweiten Mal eine von ihm mitgetragene Regierung zu Fall: 2010 hatte er „Rutte I“ gestützt, Ruttes erste von vier Koalitionen, eine Minderheitsregierung mit den Christdemokraten. Diese Tolerierung zog Wilders 2012 wegen des Sparkurses der Regierung zurück. Als jemand, der „wegläuft“, wurde er am Dienstag denn auch von Politikern verschiedener Couleur in Den Haag kri­tisiert. „Wütend und enttäuscht“ zeigte sich Dilan Yeşilgöz, Ruttes Nachfolgerin an der VVD-Spitze.

Sie hatte auch am meisten Grund dazu. Denn Yeşilgöz, die auch in ihrer eigenen Partei umstritten ist, hatte im Wahlkampf die Tür für eine Zusammenarbeit mit Wilders einen Spalt geöffnet: Während Rutte in den Jahren zuvor jegliche Zusammenarbeit mit Wilders für unmöglich erklärt hatte, entschied Yeşilgöz, eine Kooperation mit dem Rechtsaußen nicht auszuschließen. Viele machten eben diese Entscheidung für Wilders’ Wahlerfolg Ende 2023 verantwortlich. Die PVV wurde dann mit knapp einem Viertel der Stimmen größte Fraktion in der Zweiten Kammer. Der „cordon sanitaire“ – das Pendant zur deutschen Brandmauer für die AfD – war kaum mehr zu halten.

Nicht ohne Schmerzen formten nach der Wahl im November 2023 vier Parteien ein Bündnis. Die wählerstärkste war die PVV, die formal aus Wilders als einzigem Mitglied besteht. Zweitstärkste Kraft in dem Bündnis war die VVD. Partner Nummer drei und vier waren der kurz vor der Wahl gegründete NSC (Neuer Gesellschaftsvertrag), eine Neugründung des früheren Christdemokraten Pieter Omtzigt und die 2019 nach Bauernprotesten entstandene gemäßigt rechtspopulistische BBB (Bauer-Bürger-Bewegung), die als Stimme der Peripherie galt. Die BBB-Vorsitzende Caroline Van der Plas äußerte wie VVD-Chefin Yeşilgöz Frustration und Unverständnis über Wilders’ Bruch mit der Koalition.

Wilders legte einen Zehn-Punkte-Plan vor

Der bedeutet auch das vorläufige Scheitern eines Experiments: eines Kabinetts, das im Kern eine von den Fraktionsvorsitzenden beschlossene Politik ausführte – unter Führung eines parteilosen Ministerpräsidenten. Wilders wollte als Anführer der stärksten politischen Kraft Regierungschef werden, musste aber auf Druck der Koalitionspartner, vor allem des NSC, verzichten. Als Regierungschef bestellt wurde stattdessen Schoof, ein früherer Spitzenbeamter und Sozialdemokrat, der sich von seiner alten Partei entfremdet hatte.

Schoof hat sich immer wieder als ausführende Figur erwiesen, während aus dem Parlament heraus die Fraktionschefs die Fäden zogen: Wilders, Yeşilgöz, van der Plas und für den NSC Nicolien van Vroonhoven, die dem krankheitsbedingt ausgeschiedenen Omtzigt gefolgt ist. Der Konflikt zeigte sich auch in einzelnen Ressorts, vor allem in den von der PVV besetzten. Beispiel Gesundheit: Die von der PVV aufgestellte Ministerin Fleur Agema stellte sich gegen die Wünsche ih­rer Partei, Investoren aus dem Medizinsektor zu bannen. Für Asyl und Migration war Marjolein Faber zuständig, sie sollte die „strengste Asylpolitik aller Zeiten“ ausführen. Doch Faber scheiterte in dem Versuch, Verschärfungen per Notverordnung am Parlament vorbei zu beschließen.

Wilders äußerte zuletzt immer lauter seinen Unmut. Der Rechtspopulist legte einen Zehn-Punkte-Plan vor und wollte unter anderem die Schließung der Grenze für Asylbewerber. Er verwies dabei auf den verschärften Kurs im Ausland, einschließlich Deutschland. Am Dienstagmorgen versuchten die Koalitionsparteien den Bruch in einer Krisensitzung noch abzuwenden. Laut Yeşilgöz wäre eine Einigung möglich gewesen, aber es sei Wilders nicht mehr um den Inhalt gegangen. „Wir haben ihn noch auf die Tatsache hingewiesen: Wenn du das jetzt machst, ist die Chance klein, wieder ein rechtes Kabinett in den Niederlanden zu bilden. Mach es nicht. Die Menschen zu Hause wollen rechte Politik. Wir haben jetzt die Chance, das zu erfüllen.“