Bessere Haut, mehr Energie, schlankere Figur: Das erhoffen sich so manche die ihren Blutzucker tracken – ohne dass Diabetes vorliegt. Ziel ist es Glukose-Spitzen zu vermeiden. Was bringt das wirklich?
Mehrmals am Tag den Blutzuckerspiegel messen – für Diabetikerinnen und Diabetiker ist das ein gewohntes Ritual. Gesunde Menschen, deren Insulinproduktion funktioniert, müssen das eigentlich nicht tun. Doch immer mehr entscheiden sich, ihren Blutzucker zu überwachen und erhoffen sich dadurch leichter abzunehmen, weniger müde zu sein und besser zu schlafen. Ob auf Social Media, im Buchhandel oder in Diätforen: Optimierung der Blutzuckerkurve durch Glukose-Tracking erfreut sich immer größerer Beliebtheit.
So funktioniert Glukose-Tracking
Gemessen wird der Blutzucker durch Sensoren, die man aus der Versorgung von Diabetikern kennt: Gewebezucker-Sensoren, auch CGM genannt. Für circa 70 Euro kann diese jeder im Netz bestellen. Damit lässt sich quasi in Echtzeit der eigene Blutzucker messen. Der Sensor wird am Oberarm angebracht. Dieser ist mit einem Messfaden verbunden, der mit einer Nadel in das Unterhautfettgewebe eingeführt wird. Nach etwa 15 Tagen muss der Sensor gewechselt werden. Je nach Anbieter gibt es die passende App dazu.
Ziel beim Glukose-Tracking im Rahmen einer Blutzucker-Diät ist, Blutzuckerspitzen zu vermeiden. Das gelingt, indem nach jeder Mahlzeit der Glukosewert bestimmt wird und die Lebensmittel Stück für Stück so angepasst werden, dass keine hohen Spitzen mehr auftreten und die Blutzuckerkurve möglichst flach bleibt.
Wie wirkt Glukose im Körper?
Kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Brot, Nudeln, Schokolade oder Saft können den Blutzucker schnell nach oben treiben. Glukose gilt generell als Energielieferant für unsere Zellen. Nehmen wir Kohlenhydrate auf, steigt die Glukose-Konzentration im Blut, also der Blutzucker-Spiegel. Bei gesunden Menschen wird daraufhin Insulin ausgeschüttet. Die Folge: Der Blutzucker sinkt wieder.
Als Nüchternblutzucker gilt bei Gesunden ein Wert bis circa 100 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) als optimal. Spätestens zwei Stunden nach einer Mahlzeit sollte er laut Diabetologinnen und Diabetologen nicht über 140 mg/dl liegen.
Gute Erfahrungen mit Glukose-Tracking
Claudia trackt seit Jahren ihren Blutzucker – für sie ist er eine Art Fenster in ihren Körper, der ihr verrät, wie sie auf bestimmte Lebensmittel reagiert. Seitdem hat sie einiges umgestellt bei ihrer Ernährung: Statt Weißbrot isst sie selbstgemachtes Saatenbrot, statt Müsli Skyr mit Früchten.
Dadurch habe sie nicht nur mehr Energie, sagt Claudia, sondern auch abgenommen. Jahrelange habe sie versucht, Gewicht zu verlieren und sich gewundert, warum das nicht funktioniere. “Dann habe ich mit dem Glukose-Tracking angefangen und habe gemerkt: Wenn mein Blutzucker immer Achterbahn fährt, dann kann ich nicht abnehmen. Deswegen mache ich jetzt drei bis fünf bewusste Mahlzeiten am Tag und habe vier Kilo verloren.”
Diabetologin und Ernährungsmedizinerin Diana von Welser bestätigt im BR-Magazin Gesundheit!, dass ständige Aufs und Abs des Blutzuckerspiegels problematisch sein können: “Das Problem ist, dass wir dann zum Teil sehr viel Insulin ausschütten, und dann fallen wir in ein Loch, haben neuen Heißhunger und essen wieder etwas. Den ganzen Tag haben wir dann eine Berg- und Talfahrt, und das führt dazu, dass wir leichter zunehmen. Das Bedürfnis, noch mehr ungesunde Sachen zu essen, nimmt auch zu.”
Glukose-Diät: Der Test
Testperson Dora trackt eine Woche lang für ein Experiment ihren Blutzuckerspiegel. Nach den Mahlzeiten ist sie oft müde – hier erhofft sie sich eine Veränderung. Am Anfang entscheidet sich Dora für ein klassisches Frühstück: Getreideflocken und Cappuccino. Als sie nach dem Essen misst, beträgt ihr Wert 174 mg/dl. Schon bald hat sie wieder Hunger. Zum Mittag gibt es eine Portion Pommes mit einer Saftschorle. Der Wert: 241 mg/dl. Die folgenden Tage probiert Dora drei klassische Tipps der “Blutzucker-freundlichen” Ernährung aus.
Der erste Tipp: Ein herzhaftes Frühstück. Dora macht sich morgens ein protein- und ballststoffreiches Frühstück, etwa Omelette mit Gemüse, Skyr und Beeren. Ihre Glukosewerte sind deutlich niedriger und liegen zwischen 125 mg/dl und 133 mg/dl.
Der zweite Tipp: die richtige Reihenfolge. Dora bemüht sich, zuerst das Gemüse zu essen, dann Protein und Fett und zum Schluss die Kohlenhydrate. Ihre Werte liegen wieder stabil um die 170 bis 180 mg/dl – statt wie vorher 240 mg/dl.
Der dritte Tipp: Bewegung nach dem Essen. Ob Treppensteigen oder ein kleiner Spaziergang nach den Mahlzeiten – selbst ein paar Kniebeugen tun es, so die Theorie. Dora bewegt sich mehr, und das lässt die Zucker-Kurven sinken.
Dora wollte sich fitter fühlen – ihr Fazit: “Das Mittagstief hat sich verbessert, wenn ich mich an diese Reihenfolge gehalten habe, da habe ich mich fitter und besser gefühlt. Beim Schlafen oder vom Gewicht her habe ich keine Veränderung gesehen, auf der Waage auch nicht.”
Keine wissenschaftlichen Belege
Diabetologin von Welser ist nicht überzeugt vom Nutzen des Glukose-Trackings. “Wir haben für diese Blutzuckerspitzen keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass sie bei einem Blutzucker-Gesunden schädlich sind. Dass sie Herzinfarkt, Schlaganfälle, Krebs oder irgendetwas fördern.” Eine flache Blutzuckerkurve sage nichts darüber aus, wie sie entstanden ist. Die könne auch bei einem Grillabend Schweinenacken-Steak, fettiger Wurst und viel Rotwein zustande kommen. “Aber ich habe nichts getan, was für mich gesund ist. Das sagt also nichts über die Nährstoffe, das Salz, die Fette und so weiter aus.”
Wenn der Nutzen nicht bewiesen ist, stellt sich die Frage, welchen möglichen Schaden es es durch das ständige Tracken geben kann. “Im Grunde genommen wird man damit allein gelassen mit seinen Ergebnissen und mit seinen Werten, und anders als ein Diabetiker, der regelmäßig zum Arzt geht und entsprechende Rückmeldungen bekommt, haben die Gesunden das nicht. Wenn man dafür anfällig ist, kann das auch zu einer Essstörung führen”, befürchtet Ernährungswissenschaftlerin Cornelia Klug vom Kompetenzzentrum für Ernährung in Kulmbach im BR-Magazin Gesundheit!.
Kritik an Gewebezucker-Sensoren bei Gesunden
Kritiker bemängeln, dass viele Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit der Glukose-Diät behauptet würden, eins zu eins aus der Diabetes-Forschung auf Gesunde übertragen worden wären. Dass flache Glukosewerte automatisch vor schweren Krankheiten schützen, sei wissenschaftlich nicht bewiesen.
Selbst um Prädiabetes oder Diabetes zu diagnostizieren, taugten die Geräte nach Ansicht von Diabetologinnen und Diabetologen nicht. Denn dazu brauche man eine umfassende Untersuchung und Blutwerte, die erhoben werden müssten. Eine weitere Kritik ist, dass viele Sensoren tendenziell zu hohe Werte anzeigten, weil sie gar nicht für Gesunde entwickelt worden seien.
Auch ohne wissenschaftliche Belege: Claudia hält an der Glukose-Diät fest. Dora hingegen lässt den Sensor in Zukunft lieber weg.