Friedrich Merz hat einen Nerv getroffen. Seitdem der Bundeskanzler die Deutschen aufgefordert hat, mehr zu arbeiten, werden Statistiken gewälzt, Experten befragt und Leitartikel verfasst. Aber wie sehen die Deutschen, die der Appell des Kanzlers schließlich betrifft, die Sache eigentlich? Eine Allensbach-Umfrage, die der F.A.Z. vorab vorliegt, zeigt: 56 Prozent der Bundesbürger, also mehr als jeder Zweite, stimmen der Aussage zu, dass „wir mehr und härter arbeiten müssen, um den Wohlstand zu erhalten“. Nur jeder Vierte lehnt das dezidiert ab.
Allerdings sind diese Aussagen mit Vorsicht zu genießen, denn mehr arbeiten sollen offenbar vor allem die anderen: „Insgesamt zeigt sich eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Überzeugung der Mehrheit, dass in Deutschland härter und auch länger gearbeitet werden müsste, und der Bereitschaft, entsprechende Veränderungen der Rahmenbedingungen zu akzeptieren“, heißt es in der repräsentativen Auswertung, die der Verband „Die Familienunternehmer“ in Auftrag gegeben hat.
Nicht einmal jeder zehnte Deutsche sorgt sich um seinen Arbeitsplatz
Für eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit, die alle Beschäftigten treffen würde, sprechen sich nur elf Prozent aus. Persönlich bereit, mehr Stunden zu arbeiten, ist knapp jeder Vierte. Feiertage streichen wollen sechs Prozent, das Rentenalter erhöhen sieben Prozent. Größere Offenheit besteht lediglich dafür, Anreize zu schaffen, dass ältere Berufstätige später in Rente gehen (38 Prozent). Weitverbreitet ist zudem der Irrglaube, dass die Deutschen im Schnitt mehr arbeiten als die Beschäftigten in anderen EU-Ländern. Nicht einmal jeder Dritte weiß demnach, dass die Statistik etwas anderes ausweist.
Ganz ähnlich sieht es mit der grundsätzlichen Bereitschaft für Reformen aus. Gut zwei von drei Deutschen halten die Stagnation der deutschen Wirtschaft für gravierender als eine gewöhnliche Schwächephase. Etwa genauso viele halten Reformen deshalb für dringend notwendig, damit Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt und der Lebensstandard nicht sinkt. Diese Einsicht sei aber „kein Garant dafür, dass auch Veränderungen mitgetragen werden, die in eigene Interessen eingreifen“, heißt es in der Auswertung. Mehrheitlich befürwortet werden Bürokratieabbau, Entlastungen bei Energiekosten und Steuern und eine schnellere Digitalisierung. Alle diese Maßnahmen hätten eines gemeinsam: „dass sie nicht unmittelbar in Besitzstände der Bevölkerung eingreifen“.
Der Eingriff in Besitzstände werde nur da von einer überwältigenden Mehrheit befürwortet, wo eine begrenzte Gruppe betroffen ist, etwa wenn es darum geht, die staatliche Unterstützung für Bürgergeldempfänger zu kürzen. Marie-Christine Ostermann, die Präsidentin des Verbands der Familienunternehmer, zeigt sich dennoch überzeugt: „Jetzt ist die Zeit für echte Reformpolitik. Die Menschen sind bereit.“
Weshalb die Bereitschaft, zumindest bei sich selbst den Gürtel enger zu schnallen und mehr zu arbeiten, überschaubar ist, könnte daran liegen, dass die lang andauernde Stagnation die Menschen bisher nicht sonderlich getroffen hat. Nicht einmal jeder zehnte Deutsche macht sich Sorgen um den Arbeitsplatz. In der Wachstumskrise im Jahr 2005 war der Anteil viermal so groß, in der Pandemie mehr als doppelt so groß.
Die große Mehrheit rechnet für die kommenden Jahre der Befragung zufolge auch nicht damit, dass sich ihre materielle Lage nennenswert verschlechtern wird. Vor allem die Jüngeren, die am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn stehen, erwarten fest, dass es ihnen in fünf Jahren besser gehen wird als heute. Die Inflation bleibt trotz abnehmender Raten die größte Sorge der Deutschen, der Handelskonflikt treibt nur jeden zweiten Deutschen um.
Zu denken gibt das schwindende Vertrauen der Bürger in Politik und Wirtschaft, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Den Unternehmen wird in dieser Hinsicht zwar mehr zugetraut als der Politik, doch das Vertrauen erodiert. Vor zehn Jahren hatten noch 38 Prozent der Befragten „großes Vertrauen“ in die Wirtschaft, heute sagen das nur noch 25 Prozent. Die „Aneinanderreihung von Krisen und die Probleme einzelner Branchen“ könnten diesen Vertrauensverlust ausgelöst haben, heißt es in der Umfrage.
Als vertrauensbildend hat sich zumindest bislang nicht ausgewirkt, dass die neue Bundesregierung die Staatsschulden massiv erhöhen wird. Zwei von drei Deutschen haben Zweifel, dass sich die bestehenden Probleme damit lösen lassen. In der Zukunft steigende Zinslasten sind absehbar. Wie sie geschultert werden sollen?
Die größte Zustimmung unter den Deutschen finden zwei Maßnahmen, die nur bestimmte Gruppen treffen: Subventionen kürzen und Sozialausgaben zurückfahren. Höhere Steuern befürwortet dagegen nur jeder fünfte Deutsche.