„Das tut einfach weh“, sagt Ulrich Flatken über die Verdoppelung der Stahl-Importzölle, die US-Präsident Donald Trump verhängt hat. Flatken ist Vorstandsvorsitzender der Mecanindus Vogelsang Gruppe , eines mittelständischen Metallteile-Unternehmens mit Sitz im nordrhein-westfälischen Hagen. Rund 75 Millionen Euro Umsatz macht er im Jahr, etwa 4,4 Millionen davon stammen aus seinem USA-Geschäft. Neben einer Niederlassung in Kentucky, wo das Unternehmen gerade eine Produktion aufbaut, unterhält Mecanindus Vogelsang eine Distributionsfirma in New Jersey, die in Hagen und der Tschechischen Republik produzierte Ware in den USA verkauft und von den Zöllen direkt betroffen ist.
Die Produkte sind höchst speziell, zum Beispiel kleine Teile in der Gabel vorne an Traktoren, die als Lagerschalen für das Gelenk der Gabel dienen. „Die Zölle gelten nicht nur für große Stahlcoils, sondern auch für unsere verarbeiteten Produkte“, sagt Flatken. Schon die bisherigen Zölle von 25 Prozent habe er „eins zu eins“ an die Kunden weitergeben müssen. Etwa ein Siebtel des amerikanischen Monatsumsatzes habe er zuletzt eingebüßt, „weil die Kunden einfach nicht mehr kaufen“. Er habe „noch keine Ahnung, was jetzt passiert, wenn es nicht mehr 25 Prozent Zoll sind, sondern 50 Prozent. Das ist noch mal eine ganz andere Hausnummer.“
Seit diesem Mittwoch ist Realität, was US-Präsident Donald Trump vor wenigen Tagen angekündigt hatte: Auf Stahl- und Aluminiumimporte in die Vereinigten Staaten gilt nun ein Zollsatz von 50 Prozent. Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbands Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl), sprach von einer „neuen Eskalationsstufe im transatlantischen Handelskonflikt“. Die 50-Prozent-Abgabe auf Stahlexporte sei eine „massive“ Belastung für die Branche, „da sie den Druck auf die ohnehin krisenhafte Konjunktur weiter erhöhen wird und unsere Stahlindustrie auf vielfältige Weise trifft“.
Hoher Stellenwert des amerikanischen Marktes
Nicole Voigt, Stahlexpertin der Unternehmensberatung BCG, wird noch konkreter. Die Einführung der 25-prozentigen US-Zölle auf sämtliche Stahlausfuhren ab dem 12. März 2025 habe zunächst nur begrenzte Auswirkungen auf den EU-Export gehabt, sagt sie. Am Beispiel von Warmband-Stahl zeige sich: „Der europäische Stahl konnte sich im US-Markt behaupten, weil steigende US-Stahlpreise die zusätzlichen Kosten durch Zölle und Transport weitgehend kompensierten.“
Mit der Verdopplung auf 50 Prozent ändere sich dieses Bild jedoch „grundlegend“. Ohne einen weiteren Preisanstieg in den USA um etwa 170 bis 190 Euro pro Tonne werde europäischer Stahl „faktisch aus dem Markt gedrängt“. Allerdings hänge die Entwicklung stark vom Produkttyp ab. Von noch größerer Tragweite für die europäische Industrie sei die Ausweitung der Zölle auf indirekte Stahleinfuhren – also auf Produkte wie Autos, Maschinen oder Elektroteile, die Stahl enthalten. „Damit vervielfacht sich das tatsächlich betroffene Importvolumen auf das Elffache“, rechnet Voigt vor.
Auch Verbandschefin Rippel beschreibt den Stellenwert des amerikanischen Marktes als hoch: Rund 4,1 Millionen Tonnen Stahl schickt die EU laut WV Stahl jährlich in die USA. Betrachtet man ausschließlich Absatzmärkte außerhalb der EU, sind die Vereinigten Staaten das wichtigste Zielland. Gerade für die Stahlindustrie in Deutschland sei der US-Markt von großer Bedeutung mit jährlichen Exporten von rund einer Million Tonnen Stahl. Das entspricht rund 20 Prozent des deutschen Stahlexports, der in Länder außerhalb der EU geht (sogenannte Drittlandexporte). Auf den ohnehin strauchelnden Industriezweig dürfte die Verdoppelung der US-Importzölle „massive Auswirkungen“ haben, prophezeit der Branchenverband.
„Wie eine Bombe“
Auch in der mittelständischen Stahl- und Metallweiterverarbeitung schlügen die „bodenlosen“ Zölle ein „wie eine Bombe“, teilte der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) am Mittwoch in Düsseldorf mit. „Dann produziere doch in den USA“, habe es früher oft geheißen, wenn es um die Zollproblematik ging. Aber: „Investitionen setzen voraus, dass das Zielland rechtssicher und stabil ist.“
Das spürt auch Ulrich Flatken aus Hagen. Schon kurz nach dem Wahlsieg Donald Trumps habe er Vorbereitungen getroffen, um seinen Produktionsstandort in Kentucky auszuweiten. Aber bis er wirklich in der Lage sei, in den USA zu fertigen, dauere es insgesamt ein Dreiviertel- bis ein ganzes Jahr, rechnet er vor. Er benötige vor Ort Fachleute, „die dazu in der Lage sind, die Fertigung zu fahren – das ist komplex“, sagt Flatken. Auch die Maschinen könnten nicht einfach aus der EU verschickt und in Amerika wieder aufgebaut werden, dabei müsse man auch Kleinigkeiten, wie die andere Stromspannung in den USA, beachten. „Und wir müssen schauen, wo wir das passende Material herbekommen.“ Immerhin habe er schon einen Standort in Amerika, was die Dinge erleichtere. „Für andere in der Branche ist es unmöglich“, weiß Flatken, der als Präsident des Verbands WSM gut vernetzt ist.
Doch selbst wenn Unternehmen bereit wären, in den USA zu produzieren, sehe er immer noch als großes Problem, dass Trumps Zollpolitik so „erratisch“ sei. „Es kann ja sein, dass Herr Merz morgen dorthin fliegt und mit einem neuen Deal zurückkehrt, der heißt, dass alle Zölle aufgehoben sind“, spekuliert der Unternehmenschef. Er spielt an auf den viel beachteten Antrittsbesuch des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU), der an diesem Mittwochabend in die USA fliegt und sich am Donnerstag mit Donald Trump treffen wird. Selbst wenn Flatken einen Ausgang der merzschen USA-Reise mit einem „Deal“ begrüßen würde, findet er: „Wirtschaft braucht Verlässlichkeit, und das ist, was nicht mehr da ist.“
„Enorme Belastung für den transatlantischen Handel“
Auch Arbeitnehmervertreter fürchten neue Schwierigkeiten für die ohnehin gebeutelte Stahlbranche. „Mit der jüngsten Volte aus dem Weißen Haus – mitten hinein in die laufenden Verhandlungen mit der EU-Kommission – sorgt die US-Administration einmal mehr für große Unsicherheit“, sagt Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall. „Umso wichtiger ist es, dass sich die Politik in Berlin und Brüssel neben den Verhandlungen mit Washington jetzt auf diejenigen Stellschrauben fokussiert, die sie selbst beeinflussen kann, um Stabilität zu schaffen und damit Arbeitsplätze in der Stahlindustrie zu sichern.“
Kerner fordert unter anderem, dass der von der schwarz-roten Koalition in Berlin angekündigte Industriestrompreis jetzt kommen müsse. Die EU müsse ferner bis zum Jahreswechsel eine „wirksame Lösung gegen die oft unfairen Stahlimporte aus Fernost“ finden. Zudem müsse das Infrastruktur-Sondervermögen „so ausgerichtet werden, dass beim Um- und Ausbau unserer Straßen, Brücken, Gebäude, Pipelines und anderer Projekte ein Mindestanteil hierzulande produzierter Grundstoffe eingesetzt wird“.
Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel in Duisburg teilt anlässlich der nun doppelt so hohen US-Einfuhrzölle mit, diese beträfen das Unternehmen „direkt nur in geringem Maße“, weil der Hauptabsatzmarkt in Europa liege und der Export von Stahlprodukten in die USA „mengenmäßig gering“ sei. Dennoch äußert sich ein Sprecher besorgt. Die nochmals erhöhten Zölle stellten „eine enorme Belastung für den transatlantischen Handel dar“. Er spricht von „verstärkten Umleitungseffekten“, die den Importdruck auf Europa nochmals erhöhten. „Bereits heute wird jede dritte Tonne Stahl importiert. Umso wichtiger ist es, dass die EU-Kommission einerseits schnell zu entschiedenen Gegenmaßnahmen bereit ist und wirksame Handelsschutzinstrumente auflegt und zugleich intensiv mit den USA über ein bilaterales Handelsabkommen verhandelt.“
„Keine Entlassungswelle“, aber „natürliche Fluktuation“
Auch die saarländische Stahlindustrie ist nach eigenem Bekunden direkt nur wenig von den Zöllen betroffen, fürchtet allerdings indirekt negative Folgen im ohnehin schwierigen Markt. Nach eigenen Angaben liefern die Schwesterunternehmen Saarstahl und Dillinger Hütte weniger als zehn Prozent der Produktion in die USA. Kunden seien Anlagen- und Maschinenbauer und die Autoindustrie. Der überwiegende Teil der Produktion gehe nach Deutschland und Europa. In der „extrem angespannten Wirtschaftslage“ wirkten sich Wettbewerbseinschränkungen wie die abermals verschärften Zölle zusätzlich negativ aus, heißt es von der Muttergesellschaft, der Stahl-Holding-Saar . Mit zusammengenommen knapp fünf Milliarden Euro Umsatz und 14.000 Beschäftigten sind die beiden Unternehmen im internationalen Maßstab zwar klein, für das Saarland bleiben sie jedoch der wichtigste industrielle Arbeitgeber.
Um Arbeitsplätze an den europäischen Standorten seines Unternehmens fürchtet auch Ulrich Flatken. Er plane „keine Entlassungswelle“, sondern werde „natürliche Fluktuation“ nutzen, wenn Babyboomer in der Belegschaft in Rente gehen. „Aber es führt natürlich schon dazu, dass es so etwas wie Neueinstellungen nicht geben wird.“