Neues Gesetz: Türkei will Theologen zensieren

10

Die türkische Religionsbehörde Diyanet erhält die Deutungshoheit über den Koran in der Türkei. In einem am Mittwoch im Amtsblatt veröffentlichten Gesetz heißt es, das Diyanet dürfe „Koranübersetzungen zerstören, die es für unzulässig befindet“.

Maßstab seien „die grundlegenden Charakteristika des Islams“. Die Veröffentlichung unzulässiger Interpretationen könne untersagt und bereits veröffentlichte Schriften eingezogen werden. Das Verbot gelte auch für religiöse Texte im Internet sowie Audio- und Filmaufnahmen. Eine Klage gegen ein solches Verbot habe keine aufschiebende Wirkung.

Regierungskritische Theologen und Kommentatoren sprachen von Zensur. Sie beklagten ein Ende des religiösen Pluralismus und die Dominanz eines vom Staat vorgegebenen „offiziellen Islams“. Zu den schärfsten Kritikern der Novelle zählt der Theologe Mustafa Öztürk, der für Übersetzungen bekannt ist, die den Koran in seinem historischen Kontext interpretieren.

Ausbildung einer „frommen Generation“ als Ziel

Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte dem Diyanet bereits zuvor per Dekret erweiterte Kompetenzen übertragen. Dies war jedoch vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig verworfen worden. Nun wurden die Neuerungen als Teil eines umfangreichen Gesetzespakets verabschiedet.

In den laizistisch gesinnten Teilen der Bevölkerung trifft auch die wachsende Rolle der Religionsbehörde im Bildungsbereich auf Widerspruch. In dem Gesetz heißt es, das Diyanet dürfe Seelsorge und andere religiöse Dienstleistungen in Schulen, Studentenheimen, Jugendzentren, Freizeitlagern, Krankenhäusern und Gefängnissen anbieten, um „die Gesellschaft über Religion aufzuklären“. Weitere Zielgruppen seien Migranten, Drogensüchtige und Opfer von Naturkatastrophen.

Erdoğan hat schon vor Jahren die Ausbildung einer „frommen Generation“ als Ziel ausgegeben. Ohne Erfolg: Laut einer jüngst veröffentlichten Studie des Instituts Konda ist der Anteil der Türken, die sich als „religiös“ bezeichnen, von 55 Prozent im Jahr 2008 auf aktuell 46 Prozent zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil derer, die sich selbst als Atheisten bezeichnen, von zwei auf acht Prozent.