China produziert zwar selbst Computerchips – doch die Maschinen dafür kommen alle aus dem Westen. Peking versucht seit zwanzig Jahren erfolglos, das zu ändern. Jetzt läuft dem Regime die Zeit davon.

China versucht seit Jahrzehnten eine eigene Computerchip-Industrie aufzubauen. Bisher ohne Erfolg.
Niemand will mit chinesischen Maschinen Computerchips produzieren. Das hat sich diesen Frühling an der Computerchip-Messe in Schanghai gezeigt. Chinesische Unternehmen konzipieren zwar mittlerweile passable Chips. Aber die Maschinen, die es braucht, um diese Chips herzustellen, kommen immer noch aus dem Westen. Das Unternehmen Shanghai Micro Electronics Equipment (SMEE) hätte in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich eine chinesische Chip-Industrie aufbauen sollen. Doch die Produkte von SMEE sind so schlecht, dass der Messestand des Anbieters in Schanghai komplett verwaist ist.
Equipment zur Chip-Herstellung ist Chinas grösste Schwachstelle im Technologiekrieg mit den USA. Das Land ist für die Herstellung moderner Computerchips vollkommen von westlichen Maschinen abhängig. Jeder Chip, den der heimische Branchenführer Huawei für Anwendungen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) produziert, ist ohne westliche Technologie undenkbar.
Die Entscheidungsträger in Peking hofften zwanzig Jahre lang, SMEE würde Chip-Maschinen für die technologische Unabhängigkeit bauen. Aber bis heute sind Produkte von SMEE nicht konkurrenzfähig. Jetzt scheint die Regierung die Firma fallengelassen zu haben. Ihre neue Hoffnung: ein Unternehmen namens Sicarrier. Das Unternehmen stellte an der Schanghaier Messe erstmals Maschinen zur Chip-Herstellung aus, und die Besucher standen Schlange. Beobachter schliessen daraus: SMEE war gestern, Sicarrier gehört die Zukunft.
Die Geschichte von SMEE und die Gerüchte um Sicarrier zeigen, wie schwer sich China bei der Entwicklung der Schlüsseltechnologie tut. Dabei ist offensichtlich: Wenn China nun scheitert, hat es den Technologiekrieg verloren.
1. Akt: Die Hoffnung auf eine eigene Chip-Industrie
Chinas Entscheidungsträgern war die Bedeutung einer eigenen Chip-Produktion bewusst, lange bevor Xi Jinping die Losung «Made in China 2025» ausgab und die USA den Technologiekrieg ausriefen.
Im Jahr 2002 unterstützt der Staat die Gründung des Unternehmens SMEE. Es steht am Anfang von Chinas Streben nach technologischem Fortschritt und fokussiert sich auf einen zentralen Schritt in der Chip-Produktion: Deep Ultraviolet Lithography (DUV).
Dabei werden Transistoren sozusagen gedruckt. Licht, üblicherweise von einem Laser, wird durch eine Maske mit einem Abbild des Schaltplans auf den Wafer, die Basis des Computerchips, fokussiert. Eine Linse verkleinert das Abbild, so dass die resultierenden Transistoren auf dem Chip winzig klein sind.
DUV-Maschinen arbeiten im Nanometerbereich. Ein Nanometer ist ein Millionstel Meter – oder 10 Atome nebeneinander. Alle Instrumente müssen fehlerfrei und extrem präzis aufeinander abgestimmt sein, damit am Ende ein brauchbarer Chip herauskommt.
Die Leistung von Computerchips hängt direkt damit zusammen, wie viele Transistoren sich darauf befinden. Und je kleiner die Transistoren, umso mehr davon passen auf einen Chip. Um ähnlich leistungsstarke Chips zu bauen wie die amerikanische Konkurrenz, muss das chinesische Unternehmen also diese Nanotechnologie beherrschen.
2006 ruft China das sogenannte Sonderprojekt 02 aus. Eines der Ziele: eine heimische Chip-Industrie bis 2020. Im Zentrum dieses Plans steht SMEE, die Firma soll DUV-Maschinen für die Herstellung modernster Chips bauen. Um das Unternehmen entsteht ein Ökosystem aus Forschungsinstituten, Firmen, Spin-offs, die sich auf die einzelnen Bestandteile von DUV spezialisieren. Und SMEE integriert alles in eine Maschine.
Die SMEE-Ingenieure entwickeln die Technologie Schritt für Schritt, versuchen, sich den internationalen Branchenstandards zu nähern. Über die Jahre entstehen so zwar chinesische Lösungen beispielsweise für Laser und Linsen. Doch die Maschinen von SMEE sind nicht konkurrenzfähig. Sie sind zu wenig präzise.
2. Akt: Der Technologiekrieg beginnt
Tatsächlich verkauft SMEE zwischen 2011 und 2014 bloss eine Handvoll Maschinen. «Die sind so minderwertig, dass niemand sie freiwillig verwendet», sagt Antonia Hmaidi, Expertin für Chinas technologische Entwicklung bei der Berliner Denkfabrik Merics.
Dem chinesischen Staat ist das egal. Er hält Firmen dazu an, Produkte von SMEE zu kaufen. Obwohl die Maschinen qualitativ immer noch weit hinter jenen der ausländischen Konkurrenz liegen. Experten gehen davon aus, dass manche Firmen SMEE-Maschinen kaufen, um staatliche Zuschüsse zu erhalten. Und dann stehen sie einfach unbenutzt in den Fabriken. Ohne Nutzerfeedback und Produktionsdaten stagniert die DUV-Technologie von SMEE.
Zwischen 2015 und 2019 ist es sogar noch schlimmer: SMEE verkauft keine einzige DUV-Maschine. Entgegen den Wünschen der Regierung kaufen die chinesischen Chip-Produzenten westliches Equipment, etwa solches vom niederländischen Branchenführer ASML.
China verfügt über Hunderte westliche DUV-Maschinen.
Im gleichen Zeitraum verändert sich die Weltlage. Die USA und China sehen sich zunehmend als Rivalen.
2015 ruft der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping die Initiative «Made in China 2025» aus. Ab jetzt geht es der Regierung explizit um Unabhängigkeit vom Westen: Möglichst viele Technologien wie ebenjene zur Chip-Produktion sollen durch chinesische ersetzt werden.
Und die USA beschliessen, Chinas Zugang zu modernsten Computerchips so stark wie möglich einzuschränken. Diese Chips sind längst essenziell für Technologien wie KI und zahlreiche militärische Anwendungen. Zu der Strategie gehört Washingtons Entscheid 2018, Peking die modernsten Maschinen zur Chip-Produktion zu verwehren. Der Technologiekrieg hat begonnen.
Jetzt geht es bei der Entwicklung der Lithografietechnologie für China nicht mehr um Nationalstolz oder Unabhängigkeit vom Westen. Es geht ums technologische Überleben.
Aber SMEE bleibt ein Totalausfall.
Zwar verkünden die chinesische Regierung und SMEE 2020: Ingenieure forschten an einer DUV-Maschine für Strukturgrössen von bis zu 28 Nanometern. Was wie eine Erfolgsmeldung klingen soll, ist in Wahrheit der Beweis für den riesigen Rückstand von SMEE. In der Branche hatte dieser Standard bereits 2010 Einzug gehalten.
Der Ankündigung von SMEE sind bis heute keine Taten gefolgt. Nicht einmal einen Prototyp hat SMEE präsentiert. Über zwanzig Jahre nach der Gründung von SMEE ist China bei der Chip-Produktion vom Westen noch genauso abhängig wie damals.
3. Akt: Im Wettlauf gegen alternde Maschinen
Die Regierung in Peking braucht ein neues Unternehmen, das das Land bei der Chip-Technologie tatsächlich unabhängig macht. Und entscheidet sich für Sicarrier – ein Unternehmen, gegründet vor gerade einmal vier Jahren.
Über Sicarrier ist kaum etwas bekannt. Seit Beginn des Technologiekriegs informieren chinesische Unternehmen und Behörden immer spärlicher. Sie wollen damit verhindern, dass das amerikanische Handelsministerium sie mit Exportkontrollen und Sanktionen belegen kann. Sicarrier selbst ist dennoch seit Ende 2024 Ziel amerikanischer Massnahmen.
Das Unternehmen arbeitet gemäss Medienberichten eng mit Huawei zusammen. Dort laufen die chinesischen Bemühungen, vom Westen unabhängig zu werden, zusammen. Der Staat unterstützt Huawei und Sicarrier nach Kräften. Die Provinzregierung von Shenzhen, wo Sicarrier beheimatet ist, gehört zu den Investoren. SMEE habe Ingenieure an Huawei abstellen müssen, sagt Hmaidi. Und Huawei schicke seinerseits Ingenieure zu Sicarrier.
Gleichzeitig versucht Huawei, für Sicarrier Spitzenkräfte von westlichen Technologieführern abzuwerben. Zum Beispiel von Zeiss, einem deutschen Hersteller von Linsen und Spiegeln für modernste Chip-Maschinen. Huawei habe Zeiss-Mitarbeiter auf Linkedin angeschrieben und ihnen das dreifache Gehalt geboten, schreibt das «Wall Street Journal».
Was die Ingenieure bei Sicarrier entwickeln, ist derweil unklar. Zu gross ist die Geheimhaltung. Vielleicht konzentrieren sie sich wie einst ihre Kollegen bei SMEE zunächst auf DUV. Oder sie versuchen, gleich bei der modernsten Technologie einzusteigen. Jener, die die USA und ihre Verbündeten China vorenthalten: Extreme Ultraviolet Lithography (EUV).
Gegenwärtig ist die niederländische ASML weltweit der einzige Hersteller von EUV-Equipment. Die Technologie ermöglicht es, Chips mit noch deutlich kleineren Transistoren herzustellen als mit DUV.
ASML hat zwanzig Jahre lang an der Technologie geforscht. Experten bezeichnen EUV-Maschinen gemeinhin als die komplexesten, die die Menschheit je gebaut habe.
Es ist unmöglich, zu sagen, wie lange China brauchen wird, um eine konkurrenzfähige EUV-Technologie zu entwickeln. Douglas Fuller forscht an der Copenhagen Business School zu Chinas technologischem Fortschritt. Er sagt: «Die Hürden auf dem Weg zu EUV sind sehr hoch.» Sogar Nikon und Canon, die Konkurrenten von ASML im DUV-Markt, hätten es nicht geschafft, mit der technologischen Entwicklung mitzuhalten.
Noch schaffen es chinesische Ingenieure, auch ohne EUV konkurrenzfähige KI-Chips herzustellen. Sie nutzen dazu DUV-Maschinen von ASML, die chinesische Firmen bis Ende 2020 noch importieren konnten.
Die USA wollen China auch diesen Weg zu modernster Technologie versperren. Auf Geheiss der USA darf ASML die Maschinen seit Anfang Jahr nicht mehr warten. Hmaidi sagt, ehemalige lokale ASML-Mitarbeiter könnten den Routineunterhalt wahrscheinlich bewerkstelligen. Aber bei Problemen, die darüber hinausgingen, könnte es schwierig werden.
China könnten also überlebenswichtige westliche Maschinen ausgehen, noch bevor es eine Alternative entwickelt hat. Wenn das passiert, hat es den Technologiekrieg verloren.