Es ist ein Fenster in eine verborgene Welt: Unter dem Eis der Antarktis liegt eine urzeitliche Landschaft, geformt von Flüssen und Fjorden. Nun haben Forscher sie erstmals sichtbar gemacht.
Unter dem dicken Eispanzer der Antarktis verbirgt sich eine Welt, die seit 34 Millionen Jahren unberührt ist. Die Region liegt unter einer Eisdecke von rund zwei Kilometern Dicke. Jetzt haben Forscher mit moderner Satellitentechnik einen Blick in diese verborgene Vergangenheit der Erde geworfen.
Das Forschungsteam um Stewart Jamieson von der britischen Universität Durham hat mit einer Kombination aus Satellitenbildern, Radarvermessung und geophysikalischen Modellierungen nicht nur eine urzeitliche Flusslandschaft unter dem Ostantarktischen Eisschild identifiziert – es konnte auch deren geologische Geschichte rekonstruieren.
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Dabei zeigte sich: Unter dem sogenannten East Antarctic Ice Sheet (EAIS) – dem größten zusammenhängenden Eismassenkörper der Erde – liegt eine dreigeteilte, von Flüssen geprägte Hochlandregion. “Es ist, als würde man eine Zeitkapsel öffnen”, erklärte Jamieson. Die Landschaft sei so gut erhalten, dass sie wohl seit Beginn der Vergletscherung unverändert geblieben sei.
Es handelt sich um drei große Landschaftsblöcke, die gemeinsam als “Hochland A” bezeichnet werden. Jeder dieser Blöcke ist zwischen 121 und 173 Kilometer lang sowie 73 bis 85 Kilometer breit. Zusammen ergibt sich eine Fläche von über 32.000 Quadratkilometern – somit ist das Gelände nur etwas kleiner als Baden-Württemberg (35.751 Quadratkilometer).
Die Experten sprechen von einem zusammenhängenden Talnetzwerk, das durch Erosion in mehrere Blöcke zerlegt wurde. Diese drei Hochlandblöcke sind heute durch tief eingeschnittene Fjorde getrennt.
Die Untersuchungen zeigen: Vor der Vergletscherung war das Gebiet von Flüssen durchzogen, die ein baumartig verzweigtes Talnetzwerk geformt hatten. Solche Strukturen gelten als typisch für Flusserosion.

Wie alt ist diese Landschaft?
Die Entstehung dieser Landschaft reicht mindestens bis in das mittlere Miozän vor rund 14 Millionen Jahren zurück – womöglich ist sie sogar älter als die erste großflächige Vergletscherung vor etwa 34 Millionen Jahren.
Damals war die Antarktis kein lebensfeindlicher Eiswüstenkontinent. Vielmehr war sie Teil des Urkontinents Gondwana. Statt Gletschern gab es dort Flüsse, Wälder und Dinosaurier. Erst vor etwa 20 Millionen Jahren setzte die Vereisung ein. Die neu entdeckte Landschaft stammt also aus einer Zeit, als in der Region noch Leben möglich war.
Die Entdeckung dieser alten, weitgehend unberührten Landschaft unter dem zentralen Ostantarktischen Eisschild liefert wichtige Hinweise auf die Klimageschichte des Kontinents. Auffällig ist vor allem der hohe Erhaltungsgrad der Topografie.
Normalerweise zerstört ein Eisschild solche alten Landschaften. Wenn sich Gletscher bewegen, schleifen sie mit enormer Kraft das darunterliegende Gestein ab. Das gilt besonders für sogenanntes warmbasiertes Eis – also Eis, das an seiner Unterseite durch Druck oder Wärme schmilzt. Dieses Schmelzwasser wirkt wie Schmieröl und beschleunigt die Erosion.
Doch in der Region Highland A ist das anders. Die Forscher konnten nachweisen: Das Eis war hier durchgehend kaltbasiert, also an seiner Basis gefroren. Ohne flüssiges Wasser bleibt der Untergrund weitgehend unberührt – auch über Millionen Jahre hinweg. Nur vereinzelt zeigen sich Spuren lokaler Gletschererosion. Das Talnetzwerk selbst blieb intakt.

Das spricht dafür, dass der Eisschild über dieser Region seit seiner Entstehung entweder kaltbasal geblieben ist – also am Untergrund festgefroren – oder dass Veränderungen zwischen kleineren und größeren Eisausdehnungen sehr schnell erfolgten. Solche abrupten Wechsel ließen dem Eis wenig Zeit, die Landschaft im Untergrund signifikant zu verändern.
Auch die heutigen Eisbewegungen im Untersuchungsgebiet bestätigen dieses Bild: Die Fließgeschwindigkeit des Eises liegt bei unter fünf Metern pro Jahr – ein extrem langsamer Wert. Nur in den umliegenden Senken ist das Eis etwas schneller unterwegs. Insgesamt deutet alles darauf hin, dass das unter dem Eis liegende Gelände seit Millionen Jahren weitgehend unangetastet geblieben ist – und damit ein Fenster in eine Zeit öffnet, in der noch Flüsse die Antarktis prägten.