Als Amerika einen “Kaiser” hatte – der den Kongress stürmen wollte

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Er ernannte sich selbst zum Herrscher der USA und warf mit Dekreten geradezu um sich: 1859 bekamen die Vereinigten Staaten einen “Kaiser”, der sogar den US-Kongress mithilfe des Militärs abschaffen wollte.

Im Januar 1860 riss Joshua Norton der Geduldsfaden. “Unverzüglich”, wies er General Winfield Scott an, mit seinen Soldaten in Washington, D.C. einzurücken. Dort sollte der Oberbefehlshaber des US-Heeres “mit dem nötigen Nachdruck die Hallen des Kongresses räumen”.

Wer war dieser Joshua Norton, der sich erdreistete, dem US-Kongress den Kampf anzusagen? Nun, er war kein Geringerer als der “Kaiser von Amerika”. “Von Gottes Gnaden” hatte Norton sich am 17. September 1859 in San Francisco zum Herrscher der Vereinigten Staaten ausgerufen. Die Machtübernahme war gut vorbereitet gewesen: Eine Zeitung in der Stadt hatte seine Proklamation gehorsam verbreitet, die Bürger erfuhren auf diesem Wege, dass sie fortan in einer Monarchie anstelle einer Republik lebten:

“Den Wunsch einer großen Mehrheit vorwegnehmend, erkläre und ernenne ich, Joshua Norton, ehemals Algoa Bay (Südafrika), und nun seit neun Jahren und zehn Monaten San Francisco, Kalifornien, mich selbst zum Kaiser dieser Vereinigten Staaten.”

Ernst nahm Nortons Selbstermächtigung zum “Kaiser” niemand, aber dafür löste sie Heiterkeit allerorten aus – und brachte dem frischgebackenen Monarchen in San Francisco auch reichlich Sympathie ein. Dieser war um 1811 in England geboren worden, später mit seiner begüterten Familie nach Südafrika ausgewandert und schließlich nach Kalifornien gegangen, um dort während des Goldrausches aus einem kleinen Vermögen ein großes zu machen. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings, Norton verzockte sich beim Spekulieren mit Reis aus Peru und stand schließlich mittellos in seiner neuen Heimat San Francisco da.

Nach seiner Pleite war Joshua Norton zunächst von der Bildfläche verschwunden, am 17. September 1859 trat er dann mittels seiner Proklamation zum “Kaiser” ins Rampenlicht – das er nicht mehr verlassen sollte. Bereits einen Monat nach seiner “Amtsübernahme” verfügte Norton I. die Auflösung des Kongresses in Washington. Als diese unterblieb, befahl er General Winfield Scott den besagten Einsatz von Soldaten – zu dem es aber nicht kam, weil ihn eben niemand ernst nahm.

Warum aber hegte Norton I. eine Antipathie gegen den Kongress? Dort herrschte seiner Meinung nach die blanke Korruption. Damals war diese Annahme in der US-Gesellschaft durchaus verbreitet – so wie auch aktuell wieder. Donald Trump, in gewisser Weise eine Art Nachfolger von Norton I., wurde auch deshalb ins Weiße Haus wiedergewählt, weil er das Image pflegt, nicht zum Washingtoner Establishment zu gehören, dieses als korrupt darstellt und im Wahlkampf versprach, es zu bekämpfen. Allerdings scheint das Gegenteil der Fall zu sein: So ließ Trump sich soeben von Katar einen Luxusflieger verehren und macht mit einer eigenen Kryptowährung Kasse.

Norton I.: Der Kaiser von Amerika hatte seine eigene Währung.Vergrößern des Bildes
Norton I.: Der Kaiser von Amerika hatte seine eigene Währung. (Quelle: Wikimedia Commons)

Norton I. hingegen war harmlos – und eine ehrliche Haut. Der “Kaiser von Amerika” wollte sich nach Ansicht seiner Zeitgenossen tatsächlich für die “normalen” Bürger einsetzen. Wie hart das Leben in Armut und Not war, hatte der Bankrotteur schließlich am eigenen Leib erfahren. Nach Nortons “Thronbesteigung” ging es ihm allerdings besser: Er trug eine geschenkte Uniform – goldfarbene Schulterstücke inklusive – zur Schau, dazu einen Zylinder, gefertigt aus Biberfell. Bisweilen wurde Norton I., der sich später auch noch zum “Schutzherrn von Mexiko” machte, bei seinen Spaziergängen durch San Francisco von zwei Straßenhunden namens Bummer und Lazarus eskortiert. In manchen Restaurants, die sich als “Hoflieferanten” bezeichnen durften, speiste der Monarch kostenlos. Die Eigentümer lockten mit dieser Betitelung wiederum Gäste an.

Die Einwohner San Franciscos schätzen ihren “Kaiser”, der bald weit über die Grenzen der Stadt hinweg bekannt war und sogar Touristen anzog. Darunter auch Prominente: 1876 hielt sich Brasiliens – echter – Kaiser Dom Pedro II. in San Francisco auf; er äußerte den ausdrücklichen Wunsch, sich mit Norton I. zu treffen. Eine gute Stunde unterhielten sich die beiden Kaiser.