Sogar Kritik kann schmeichelhaft sein. Als Donald Trump seinen Gast Friedrich Merz am Donnerstag „schwierig“ nannte, war dem nicht nur ein Lob für Merz’ Sieg bei der Bundestagswahl vorausgegangen und die schmeichelhaften Bemerkungen, dieser sei ein „großartiger Vertreter Deutschlands“ und „sehr respektierter“ Mann. Vielmehr fügte der amerikanische Präsident im Oval Office hinzu, Merz wolle doch sicher nicht als einfach bezeichnet werden.
Nach all den Jahren, in denen Trump als Topakteur der Weltbühne zu beobachten ist, setzt sich ein Eindruck fest: Der amerikanische Präsident kann die Stärken und auch die Schwächen anderer Menschen schnell erkennen. Friedrich Merz hat sich zumindest in der Zeit, als er die Politik vom Spielfeldrand aus betrachtete, oder als er Oppositionsführer war, gerne als harter Hund gegeben, der mit Vorliebe nach dem Motto klare Kante handelt. Seit der Zeit, als er auf das Kanzleramt zuwanderte, wurde aber erkennbar, dass es nicht so leicht ist mit der klaren Kante. Ob das die Wende in der Verschuldungspolitik ist, der schwankende Kurs im Umgang mit der AfD oder die 180-Grad-Drehung in der Schuldenpolitik.
Anerkennung für Trump als halbe Miete
Auch wenn Trump all diese Details der deutschen Innenpolitik kaum kennen wird, so hat er offenbar gespürt, dass es Merz schmeichelt, vom gefürchteten amerikanischen Präsidenten als schwieriger Typ dargestellt zu werden. Das wirkte wie ein Beleg dafür, dass Merz in den bisherigen Telefonaten mit Trump oder beim Treffen vor der Pressekonferenz im Oval Office hart seine Positionen vertreten habe.

Dabei war der Auftritt des Kanzlers im Oval Office erkennbar nicht von dem Willen geprägt, seinem selbstbewussten Gastgeber ordentlich die Meinung zu sagen. Im Gegenteil. Schon vor der Abreise war in Berlin deutlich gemacht worden, dass nichts dagegen spräche, Trump für das, was er gut mache, Anerkennung zu zollen. Auch unmittelbar vor dem Treffen mit dem Präsidenten, schon in Washington, sagte Merz, er rechne nicht mit Durchbrüchen. Er machte deutlich, dass es ihm zunächst vor allem um das Herstellen einer ordentlichen Gesprächsebene gehe. Nach dem Treffen sagte der Kanzler, dass das gelungen sei.
Dass Merz freundlich und nicht auf Krawall gebürstet war, ist leicht erklärlich. Es ist schwierig genug, mit dem mächtigen Mann an der Spitze Amerikas umzugehen, aber es muss sein. Dass Merz keineswegs einen unkritischen Blick auf Trump hat, blitzte öffentlich auf, als er etwa kürzlich auf einer Bühne in Berlin spöttisch nachmachte, wie schwärmerisch Trump mit dem Prädikat „great“ umgeht.
Auch Trump braucht eine europäische „Telefonnummer“
Warum aber war Trump ähnlich freundlich gegenüber seinem Gast? Sucht er einen Freund in Europa, jemanden, mit dem er einen guten Draht entwickelt? Der Eindruck wurde nach dem Treffen am Donnerstag auf deutscher Seite zumindest nicht bestritten. Er wäre nicht der erste amerikanische Präsident, der nach einer „Telefonnummer“ Ausschau hält, unter der man denjenigen erreichen kann, der in Europa das Sagen hat.
Trump hat nicht nur innenpolitisch gerade erhebliche Schwierigkeiten, wie vor allem der Streit mit Elon Musk zeigt. China und die Herausforderung in der nahöstlichen Welt könnten ein guter Grund sein, in Europa jemanden zu suchen, der ihm dort hilft, Probleme zu lösen. Etwa das Problem Russland.
Trump zeigte Merz und seiner Delegation nicht nur den Raum im Weißen Haus, der mit Trump-Devotionalien von der Schirmmütze bis zur signierten Bibel gefüllt ist. Er schenkte dem begeisterten Piloten Merz auch den Bauplan eines historischen Flugzeugs. Nicht nur der freundliche Ton im Oval Office, auch eine solche Nettigkeit sollte Merz wohl schmeicheln.
Auf der Reise des Kanzlers entstand der Eindruck, dass die beiden im Alter nur ein Jahrzehnt auseinanderliegenden Männer einen Draht zueinander entwickeln könnten, bei aller Vorsicht, die gegenüber dem wetterwendischen Trump angebracht ist. Vielleicht ist Merz der Mann, den Trump als Ansprechpartner in Europa sucht.
Während der Reise schien es so, dass Merz eine solche Rolle wohl annehmen würde, wenn auch stets darauf bedacht, dadurch nicht in ein zu offensichtliches Konkurrenzverhältnis zu anderen EU-Anführern zu geraten wie dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron oder der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Jedenfalls erklärte Merz seinem Gastgeber Entstehungsgeschichte und Funktionsweise der von Trump so kritisch betrachteten Europäischen Union.
Trump überreichte Merz noch ein kleines Geschenk, zumindest etwas Ähnliches. Er stichelte gegen dessen einstige politische Konkurrentin Angela Merkel. Etwa im Zusammenhang mit dem Bau der Gaspipeline Nord Stream 2, die er abgelehnt, Merkel aber befürwortet habe. Seinen Gast Merz sprach Trump in diesem Zusammenhang von aller Verantwortung frei.
Merz orientiert sich im Umgang mit Trump auch an Merkel
Friedrich Merz ist der erste Bundeskanzler, der Trump in Washington als Präsidenten besucht, seit Angela Merkel Ende April 2018 zu Gast im Weißen Haus war. Die Kanzlerin war anschließend zwar noch an der amerikanischen Ostküste, aber nicht bei Trump. Schon bald darauf ließ die Corona-Pandemie solche Besuche nicht mehr zu, 2021 endete Trumps erste Präsidentschaft. Als er zu Beginn dieses Jahres zum zweiten Mal gewählt wieder ins Weiße Haus einzog, war in Berlin die Kanzlerschaft von Olaf Scholz schon auf ihren letzten Metern angekommen. Scholz war froh, es nicht mit Trump, sondern dem Demokraten Joe Biden als Präsident zu tun zu haben. Nun also Merz.

Wie auf anderen Politikfeldern erinnert auch im Umgang mit Trump manches, was Merz tut, an Merkel. Das beginnt mit dem Gastgeschenk, das mit der Herkunft von Trumps Familie zusammenhängt. Sie stammt aus dem in Rheinland-Pfalz liegenden Städtchen Kallstadt. Hatte Merkel Trump einen Kupferstich aus dem Jahre 1705 mitgebracht, der eine Karte der Rheinpfalz zeigt, so überreichte Merz ein Faksimile der Geburtsurkunde von Trumps Großvater aus Kallstadt nebst einer ins Englische übersetzten Version. Im Goldrahmen. Wie Merz jetzt hatte auch Merkel damals Trump eingeladen, Kallstadt zu besuchen. Der Präsident hat das Angebot der Kanzlerin allerdings nie angenommen. Bleibt abzuwarten, ob er es mit Merz‘ Einladung anders hält.
Jenseits solcher Kleinigkeiten waren damals manche politischen Umstände ähnlich. Am Morgen, als Merkel bei ihrem Besuch in Washington im Hotel Ritz Carlton in Georgetown erwachte, konnte sie im Fernsehen sehen, wie sich die Regierungschefs von Nord- und von Südkorea trafen. Wenig später lobte sie ihren amerikanischen Gastgeber, an dessen Seite stehend: „Wir treffen uns heute an einem Tag, an dem deutlich wird, dass die Stärke, mit der der amerikanische Präsident Donald Trump darauf gesetzt hat, dass die Sanktionen gegen Nordkorea wirklich eingehalten werden, Erfolge zeitigt und erste Möglichkeiten eröffnet.“ Nord- und Südkorea sind allerdings bis heute noch weit von einer Annäherung entfernt.
Auch beim Merz-Besuch haben Sanktionen eine wichtige Rolle gespielt. Nur dass es dieses Mal nicht um Nordkorea ging, sondern darum dessen großen Verbündeten Russlands zu einer Beendigung des Krieges gegen die Ukraine zu bringen. Hier könnten Trump und Merz, Amerika und Europa, an einem Strang ziehen. Merz konnte allerdings keine Zusagen des amerikanischen Präsidenten mit nach Hause nehmen. Aber er hatte ja gesagt, dass er nicht mit Durchbrüchen rechne bei seinem Besuch.