Herr Wildberger, Ihr Ministerium ist ganz neu. Wie tauschen Sie sich mit Ihrem Team gerade aus – haben Sie schon alle verschlüsselte Geräte?
Wir sind vollständig ausgestattet, seit Tag eins arbeiten wir. Derzeit bringen wir Kolleginnen und Kollegen aus sechs verschiedenen Häusern zusammen. Da sind vor allem der persönliche Austausch und das Kennenlernen wichtig, um ein Team zu werden. Natürlich haben verschiedene Häuser andere Prozesse und damit in Teilen auch andere technische Lösungen. Entscheidend für die Digitalisierung sind aber nicht die Geräte, sondern das Mindset für die Modernisierung und Digitalisierung.
Mit welcher Priorität sind Sie denn ins Amt gestartet?
Ich fange mal mit der Staatsmodernisierung an: Wir wollen entbürokratisieren und das Land schneller machen. Dazu wollen wir die Bürokratiekosten für die Wirtschaft um rund 16 Milliarden Euro reduzieren. Da müssen wir schauen: Was können wir kurzfristig umsetzen? Zum Beispiel beim Lieferkettengesetz oder beim Baurecht. Brauche ich bei jeder Brücke, die erneuert werden muss, ein Planfeststellungsverfahren, oder geht das auch schneller, wenn es eine Ersatzinvestition ist? Wir haben einen klaren Plan entlang des Koalitionsvertrags. Den ordnen wir gerade danach, wie groß die positive Wirkung und wie komplex die Umsetzung ist. Wir wollen in der neuen Bundesregierung in einer Matrix-Struktur quer über die Ressorts arbeiten. Im Querschnitt, im Team. Auch wenn wir nicht bei jedem Projekt federführend sein werden, verstehen wir uns als Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung hier als Antreiber. Das ist nicht so einfach, weil Ministerien traditionell unabhängig arbeiten.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Das ist schon in Unternehmen nicht leicht.
Absolut. Aber wenn so eine Matrix-Organisation in Unternehmen funktioniert, kann sie eine richtige Kraft entfalten – und stellen wir uns vor, das gelingt uns auch in der Politik. Was für ein Potential! Wie wir das prozessual in den Abläufen und Zuständigkeiten abbilden, stimmen wir gerade mit dem Bundeskanzleramt ab. Und dazu ist die Verbindung zur Digitalisierung sehr wichtig. In diesem Bereich haben wir das Recht, einen Vorbehalt bei Ressortplanungen einzulegen. Das klingt nach Bremse, aber die gilt es konstruktiv zu nutzen, im Sinne einer zukunftsorientierten, pragmatischen Lösung. Zum Beispiel werden wir bei Gesetzesvorhaben prüfen, wie digitalisierungsfähig sie sind oder wie komplex.
Bei der Digitalisierung haben Sie auch noch jede Menge zu tun.
Das fängt schon bei der Infrastruktur an, die besser werden muss: Glasfaser, Mobilfunk. Eines haben wir nach drei Wochen schon geschafft: Das Beschleunigungsgesetz für den Netzausbau haben wir im Kabinett beschlossen. Ziel ist, dass das entsprechende parlamentarische Verfahren vor der Sommerpause abgeschlossen ist.
Die alte Bundesregierung hat das nicht mehr auf den Weg gebracht. Was ist Ihnen denn gelungen, woran die gescheitert ist?
Grundsätzlich gab es eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag, den Mobilfunk- und Glasfaserausbau als überragendes öffentliches Interesse zu definieren. Innerhalb von drei Wochen haben wir es geschafft, die noch offenen und kritischen Punkte im direkten Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen im Kabinett aufzulösen. Ein Beispiel für gute Teamarbeit.
Und was ist mit dem Umweltschutz?
Der ist selbstverständlich auch wichtig. Aber im Leben muss man eben auch mal priorisieren, wenn man vorankommen will. Das heißt aber nicht, dass man das eine macht und das andere ignoriert. Am Ende ist Netzausbau kein permanenter Eingriff in die Natur. Wenn das Kabel einmal liegt, ist man da durch. Und den Mobilfunkmast stellt man auch eher auf ein Gelände mit geeigneter Bodenbeschaffenheit. Und was wir darüber hinaus auch schaffen sollten: dass die Glasfaserkabel nicht nur an den Häusern vorbeilaufen, sondern auch ins Haus hinein.
Viele Leute bestellen das nicht, weil es ihnen zu teuer ist. Planen Sie eine Förderung?
Die Anschlüsse zu legen und zu vermarkten, ist Aufgabe der Unternehmen. Sie müssen den Verbraucherinnen und Verbrauchern attraktive Angebote machen. Den regulatorischen Rahmen möchten wir weiter verbessern, etwa wenn es darum geht, Glasfaser auch im Haus zu verlegen. Klar ist, wir müssen viel besser erklären, was so ein Glasfaseranschluss eigentlich bringt.
Glasfaser hat entscheidende Vorteile: mehr Tempo und Stabilität, kurze Latenzzeiten, das heißt wenig Verzögerung. Das ist die Zukunft. Viele Anwen dungen brauchen viele Daten. Und das brauchen wir im Übrigen auch im Alter. Telemedizin zum Beispiel wird ein Riesenthema, vor allem auf dem Land. Und denken wir an die Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz.
Die Telekom erzählt gerne, wie viele Behörden sie braucht, um ein Kabel zu legen. Die wenigsten davon unterstehen der Bundesregierung. Was machen Sie da?
Indem wir den Netzausbau als überragendes öffentliches Interesse definieren, geben wir den Entscheidungsträgern vor Ort einen Rahmen, schneller zu entscheiden. Das braucht dann trotzdem Mut und Entschlossenheit. Und wir haben Kommunen, die ein bisschen fortschrittlicher sind als andere – da kann man voneinander lernen. Es geht allerdings auch ums Projektmanagement in vielen Unternehmen. Eine Baustelle muss man in drei Jahren auch mal fertigkriegen. Und gleiches gilt auch für die Politik. Ich will auf transparentere Weise nachhalten, wie wir bei der Umsetzung unserer Vorhaben vorankommen.
Das muss stärker so laufen wie in Unternehmen, wo das Prinzip gilt: „Was man misst, das wird auch gemacht.“ Wir müssen zum Beispiel prüfen, ob der Faktor Zeit bei Ausschreibungen eine ausreichende Rolle spielt. Das ist eine Zielgröße, die man kontrollieren kann. Das ist nicht leicht, aber möglich.
Der Staat war da bisher nicht besonders vorbildlich. 575 staatliche Leistungen von der Anmeldung nach einem Umzug bis zur Kfz-Zulassung sollten flächendeckend digitalisiert werden, die Frist ist schon Ende 2021 ausgelaufen.
Auch darum geht es: Welche Leistungen kommen bei den Bürgerinnen und Bürgern an? Hier liegt die Messlatte sehr hoch. Es beschäftigt mich sehr, wie wir eine andere Geschwindigkeit hinbekommen. Wir operieren heute in einem komplexen, dreistufigen System mit sehr dezentralen Strukturen, auch was die Datenhaltung angeht. Um ans Ziel zu kommen, gibt es zwei Wege: Der eine berücksichtigt alle Ebenen und unsere Wirklichkeit: Bund, Länder und Kommunen, denn so sind nun mal die Regeln. Aber die Frage ist, wie können wir im bestehenden System beschleunigen? Bei der zweiten Lösung würden wir einen gänzlich anderen Weg gehen. Diese Lösung parke ich jetzt aber erst einmal.
Das ist schade. Darauf hatten wir unsere Hoffnungen gesetzt.
Ja, Moment. In vielen Ländern und Kommunen ist ja schon mehr passiert, als bekannt ist. Da gibt es große Unterschiede. Wir prüfen zum Beispiel, wie wir jetzt besonders nachgefragte Leistungen wie Wohnungswechsel oder KFZ-Ummeldung, für die es schon gute Lösungen gibt, im Schulterschluss mit Ländern und Kommunen als Partner schneller ausgerollt bekommen. Man muss auch nicht alles direkt in 16 Bundesländern schaffen. Es reicht, wenn der Nachweis gelingt, dass es grundsätzlich geht. Und dann müssen wir als Bund bessere Grundlagen schaffen: zum Beispiel die Daten der Bürgerinnen und Bürger zu digitalisieren und mit der komplexen Registermodernisierung vorankommen. Da brauchen wir einheitliche Standards und bessere Plattformen, die der Bund bereitstellen kann. Das wird ein längerer Prozess.
Und dann kommt der zweite Weg ins Spiel?
Ja, und dazu braucht man eine ganz klare Vorstellung davon, wie es alternativ aussehen könnte. Ein Zielbild. Besser für die Bürgerinnen und Bürger und besser für die Menschen in der Verwaltung. Denkbar ist eine einzige, komplett digitalisierte Lösung in der Cloud, natürlich sicher und unter Beachtung des Datenschutzes. Und es gibt für jede Leistung nur einen, klar definierten Prozess, mit einer sehr guten Benutzeroberfläche. Jede Kommune wählt sich über eine Schnittstelle ein und nutzt den dort angebotenen Standardprozess. Warum muss eigentlich eine Ummeldung in Ort X anders funktionieren als in Ort Y? Technologie entwickelt sich immer nach vorne. Wenn man die nutzen will, ist der zweite Weg ganz klar besser. Aber ehe wir den einschlagen können, muss ich erst einmal verstehen, wie das überhaupt technisch ginge und was man politisch ändern müsste, um es überhaupt umzusetzen zu können. Aber wir brauchen zunächst auch den ersten Weg. Der hilft uns dann auch für Weg zwei.
Machen wir es mal konkret: An der Zulassung von neuen Autos arbeitet sich das Land auch schon eine Weile ab. Das wäre so eine standardisierte Sache.
Da geht es dann auch darum, wie die Daten in dieses System kommen. Ich verstehe Kommunen, die sagen: Das Ziel ist gut, aber der Weg dahin ist für mich schmerzhaft und teuer. Da müssen wir die Antworten liefern. Aber dieser Weg wird dauern, deshalb gehen wir auch den ersten, weil wir schnell zu messbaren Ergebnissen kommen müssen.
Sie wollen einen digitalen Geldbeutel, in dem Ausweis und Führerschein, aber auch Kreditkarten zusammengefasst werden. Wann kommt der?
Es geht um das große Thema digitale Identität, die Frage, wie befähigen wir die Menschen im Land, sich digital in den verschiedenen Lebensbereichen sicher zu identifizieren. Das vereinfacht das Leben. Bis spätestens zum ersten Quartal 2027 werden wir die erste sogenannte Wallet haben, die digitale Brieftasche. Viele Bürgerinnen und Bürger sind vier oder fünf Stunden am Tag am Smartphone, viele Teile unseres privaten Lebens regeln wir online. Die Frage ist doch, wie können wir Geburtsurkunden, Zeugnisse oder Personalausweise sicher auf dem Smartphone hinterlegen, um sie jederzeit einsetzen zu können, wenn wir sie brauchen – und zwar europaweit? Das muss uns gelingen.
Das sieht nicht jeder so.
Viele Menschen bringen dem Staat tiefes Misstrauen entgegen. Das treibt mich um. Wir sind ein freiheitlicher Staat, ein Rechtsstaat – und wenn wir unsere Freiheit sichern wollen, müssen wir mit der Gegenwart und mit der Zukunft Schritt halten. Und die Digitalisierung mit unseren Werten und Grundrechten umsetzen. Darin sehe ich keinen Widerspruch, sondern eine Chance. Und die Wallet ist ja nicht nur ein staatlicher Service, sondern ein Standard, den Unternehmen nutzen können: Banken, Krankenversicherungen, Telekommunikationsunternehmen und viele mehr. 65 Prozent unserer Kreditkartenzahlungen werden außerhalb von Europa verarbeitet. Das sind sensible Daten. Die elektronische Wallet kann und muss auch zu einem europäischen Bezahldienst werden. Wir können nicht nur immer – zu Recht – über digitale Souveränität reden, wir müssen auch selbst etwas tun.
Digital unabhängiger werden wollen viele. Aber in der Praxis geht das oft zu Lasten der Funktionalität, vor allem bei KI.
Irgendwo müssen wir anfangen. Bei Rechenzentren könnten wir das zum Beispiel, diese Fähigkeit haben wir, und die öffentliche Hand ist ein großer Auftraggeber. Und was KI-Modelle angeht: Da gibt es große Unterschiede. Aus China sind Modelle gekommen, von denen niemand dachte, dass man die so effizient machen kann. Da liegt auch eine Chance für Europa. Wir haben auch diese Fähigkeiten. Wir müssen uns nur mehr zutrauen und mehr machen. Und in ein, zwei Jahren kann man in der KI riesige Fortschritte machen.
Unter europäischem Recht hätte man solche Modelle nicht bauen können.
Es gibt auch Anbieter in Europa. Da kann man eine Menge machen – mehr, als man glaubt. Hätte ich mir die DSGVO so gebaut? Nein. Hat sie mich im Unternehmen an der Digitalisierung gehindert? Auch nicht. Klar geht das besser, aber die Regeln dürfen keine Ausrede sein.
Was hat Sie am meisten überrascht, als Sie aus der Unternehmenswelt in die Regierungswelt kamen?
Wie hochmotiviert die Menschen sind. Diese Bereitschaft, alles zu geben – das kann man nicht kaufen. Davor habe ich großen Respekt. In verschiedenen Ländern und Unternehmen habe ich gelernt, die unterschiedlichen Kulturen zu schätzen. Denn die Kultur ist die Wirklichkeit, in der sie sich bewegen. Wir sind allerdings in einem System, das über viele Jahrzehnte extrem kompliziert geworden ist: unsere Bürokratie. Die Frage ist jetzt: Wie verwirklichen wir unsere Vorhaben? Und welche Hebel muss man umlegen, damit es innerhalb des Systems vorangeht. Da ist vielleicht der größte Unterschied: Der Fokus auf die Umsetzung ist in der Politik nicht so ausgeprägt wie in einem Unternehmen. Aber am Ende ist Umsetzung immer das, was entscheidet. Diese Überzeugung und mentale Unabhängigkeit will ich mir erhalten.