Für Spaniens Volkspartei PP gibt es nur eine Wahl: „Mafia oder Demokratie“ lautete am Sonntag das Motto der Demonstration, zu der die spanischen Konservativen auf der Plaza de España im Herzen Madrids aufgerufen hatten. Wenn sie schon nicht wählen dürften, sollten die Spanier wenigstens auf der Straße sagen, was sie von ihrer Regierung hielten, so der Tenor. Bei hochsommerlichen Temperaturen kamen nach Behördenangaben etwa 50.000 Menschen mit unzähligen spanischen Flaggen.
Seit Tagen verbreitet die PP ein Video, das den Ministerpräsident Pedro Sánchez als „Den Paten“ zeigt – wie Marlon Brando im gleichnamigen Film. Der spanische Regierungschef sei ein „Mafiaboss“, seine Regierung eine „kriminelle Organisation“, sagt Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo: „Wir werden sie vertreiben“. Dafür müsse es sofort Wahlen geben; regulär stehen sie in Spanien erst 2027 an.
Die PP mobilisierte zum sechsten Mal, seit es ihr 2023 nicht gelungen war, die Linksregierung abzulösen, obwohl die Konservativen in der Parlamentswahl stärkste Kraft geworden waren. Am Sonntag war es die zweitgrößte Demonstration in den vergangenen beiden Jahren. Die Proteste hatten sich bisher gegen die politischen Zugeständnisse gerichtet, die Sánchez den katalanischen Separatisten gemacht hatte. Dieses Mal fordert die PP eine „Regierung von ehrenhaften Menschen und nicht von Korrupten“.
Korruptionsvorwürfe häufen sich
Entsprechende Vorwürfe gegen das Umfeld des Regierungschefs hatten sich zuletzt gehäuft. Gegen Sánchez‘ Bruder und mehrere Politiker seiner PSOE-Partei wurden vor kurzem in der Extremadura Anklage erhoben; der Dirigent hatte dort den Posten des regionalen Musikchefs erhalten. Gegen seine Ehefrau Begoña Gómez und seinen früheren Vertrauten, den ehemaligen Verkehrsminister José Luis Ábalos laufen Ermittlungen, wie gegen den Generalstaatsanwalt.
Vor wenigen Tagen kam der undurchsichtige Fall eines PSOE-Mitglieds hinzu: Leire Díez soll belastendes Material gegen eine Sondereinheit der Polizei gesammelt haben, die eine wichtige Rolle bei den Ermittlungen in Sánchez Umfeld spielt.
Selbst spanischen Politik-Aficionados fällt es schwer, einen Überblick über die neuesten Anschuldigungen und Gerüchte zu behalten. Klar ist nur, dass bisher gegen den Regierungschef selbst keine Korruptionsvorwürfe erhoben werden. Und Sánchez denkt nicht daran, die Wahl vorzuziehen: Laut Umfragen würden PP und die rechtspopulistische Vox-Partei gewinnen. Das liegt aber auch am heftigen Streit unter den linken Partnern von Sánchez, die sich selbst schwächen.
Vergiftetes politisches Klima
Spanische Kommentatoren nennen das politische Klima „toxisch“. Die PP setzt vor ihrem Parteitag im Juli auf Konfrontation. Wieder dominiert die alte „Crispación“, die ständige Gereiztheit und der Generalverdacht gegen das andere politische Lager. Das wurde am Freitag bei der großen Konferenz der Regionalpräsidenten mit Sánchez deutlich, zu der auch König Felipe nach Barcelona gekommen war. Selbst die Zeitung „El País“, die der Regierung nahesteht, schreibt von einem „Gipfel, der alle Brücken abbrach“ und einem „Punkt ohne Wiederkehr“.
Die Regierung wollte in Barcelona ein Notprogramm voranbringen, das die Ausgaben für den Wohnungsbau verdreifachen sollte – das Problem, das in Umfragen den Spaniern derzeit die größten Sorgen bereitet. Auch die Migrationskrise auf den Kanaren und der regionale Finanzausgleich standen auf dem Programm. Doch es wurde kein einziger Beschluss gefasst und nur eine Forderung erhoben: Die PP-Führung hatte laut Presseberichten die Linie ihrer Regionalpräsidenten koordiniert. 13 von insgesamt 19 – wenn man die Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla einbezieht – verlangten einer nach dem anderen sofortige Neuwahlen.
Ein weiteres Mal gelang es der Madrider Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso, die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Unter Protest verließ sie den Konferenzsaal, als der baskische Regierungschef auf Baskisch redete und der katalanische auf Katalanisch – beides sind offizielle Sprachen in Spanien. „Sie wollen, dass wir uns in Spanier wie Ausländer fühlen“, schimpfte sie, nachdem es schon beim Begrüßungsdefilee zu einem ersten Eklat mit Gesundheitsministerin Mónica García gekommen war. „Wirst Du eine Mörderin begrüßen“, fragte sie provozierend Ayuso. Garcías Partei hält Ayuso vor, dass ihre Politik während der Pandemie zu vielen Toten in den Madrider Altersheimen geführt habe.
Die Regierung tut indes, als wäre nichts geschehen. Am Wochenende verbreitete sie eine offizielle Erklärung, die die „institutionelle Normalität“ lobte, mit der die Präsidentenkonferenz abgelaufen sei. Man werde weiterhin den Regionalpräsidenten konstruktive Vorschläge unterbreiten.
Im Moncloa-Palast, dem Amtssitz von Sánchez, hofft man darauf, dass sich die Aufregung spätestens nach dem PP-Parteitag und mit dem Beginn der langen Sommerferien wieder legt. Noch zuvor will das Verfassungsgericht sein Urteil über das Amnestiegesetz für katalanische Separatisten verkünden, gegen das die PP auf früheren Demonstrationen protestiert hatte. Es heißt, die Richter hätten keine größeren Einwände.