interview
Auf der UN-Ozeankonferenz in Nizza treffen sich Menschen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Plan: Den Schutz der Meere beschleunigen und sie nachhaltig nutzen, denn das sei dringend notwendig, sagt Meeresforscher Boersma.
tagesschau.de: Herr Boersma, Sie leiten seit einem Monat das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Sie haben selbst lange vor Sylt und um Helgoland erforscht, wie der Mensch das Meer verändert. Was macht Ihnen am meisten Sorgen, wenn Sie an die Weltmeere denken?
Maarten Boersma: Es ist eine ganze Reihe von Sachen, die mir Sorgen machen. Einerseits haben wir natürlich sehr viele absichtliche Eingriffe im Meer vorgenommen, so wie die Fischerei, und wir machen das noch immer, zum Beispiel mit Ölplatformen und jetzt Windparks, mit denen wir sehr stark in das Ökosystem Meer eingreifen. Andererseits haben wir natürlich auch vieles gemacht, was wir eigentlich nicht wollten: Erwärmung der Meere, Versauerung der Meere, und die Kombination dieser gewollten und ungewollten Eingriffe – die macht mir Sorgen.

Maarten Boersma
Der Niederländer ist Biologe und seit dem 1. Mai 2025 kommissarischer Direktor des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten an den Universitäten in Amsterdam und Kiel wurde er 2012 zum Professor für Experimentelle Küstenökologie an der Universität Bremen ernannt. Er forscht vor allem über die Auswirkungen verschiedener Stressfaktoren auf das Zooplankton in Gewässern.
Ozeane geben Nahrung und Sauerstoff
tagesschau.de: Warum ist es wichtig, die Ozeane zu schützen?
Boersma: Die Meere machen sehr viel für uns. Sie geben uns ganz viel Nahrung durch die Fischerei, durch Aquakultur. Die Mikroalgen im Meer produzieren sehr viel Sauerstoff. Der Sauerstoff in jedem zweiten Atemzug, den wir machen, wird im Meer produziert. Und der Ozean nimmt viel Kohlendioxid und Wärme auf und spielt deshalb auch eine extrem wichtige Rolle in der Regulation unseres Klimas.
tagesschau.de: Ein Thema der Konferenz in Nizza ist auch die Plastikvermüllung. Was kann man dagegen tun?
Boersma: Alles, was schon im Wasser ist, ist natürlich schwierig rauszukriegen. Bei größeren Objekten kann man vielleicht noch direkt sammeln. Das wird auch versucht in kleinen Projekten, entweder im Meer oder schon am Land. Aber die wichtigste Sache ist, dass wir Plastikvermüllung vermeiden, dadurch, dass wir weniger Plastik nutzen und auch dadurch, dass wir unsere Abfallströme vernünftig lenken und das Recycling ernst nehmen.
Tiefseebergbau: “Wir wissen nicht, was wir kaputt machen”
tagesschau.de: Ein weiteres Thema der Konferenz ist der Tiefseebergbau. Da sind sich ja nicht alle einig. Die USA, Norwegen und China würden gerne Tiefseebergbau betreiben. Was sind da die Gefahren?
Boersma: Die EU ist gegen den Tiefseebergbau. Sie spricht sich für ein Moratorium aus. Die Gefahren sind klar: Wir wissen so wenig von dem, was in der Tiefsee passiert. Wir kennen nicht mal einen Bruchteil aller Organismen, die dort leben. Wenn wir jetzt mit Bergbau anfangen und das Ökosystem zerstören, wissen wir nicht, was wir kaputt machen. Und wir wissen nicht, was für eventuell weitreichende Folgen das hat. Also ohne vernünftige Forschung sollten wir das nicht machen, weil wir einfach nicht wissen, was passiert.
UN-Ozeankonferenz
Vom 9. bis 13. Juni beraten in Nizza an der französischen Mittelmeerküste Vertreter aus 70 Staaten über einen besseren Schutz der Ozeane. Es ist die dritte UN-Ozeankonferenz, die finanzielle Zusagen und politische Selbstverpflichtungen auf den Weg bringen soll. Die Weltmeere sind mit einer ganzen Reihe von Gefahren konfrontiert: Erwärmung des Wassers, Versauerung des Wassers, Plastikvermüllung, Überfischung und Tiefseebergbau.
tagesschau.de: Kann ein Land wie Deutschland überhaupt etwas machen, wenn die USA, China und andere Länder unbedingt Tiefseebergbau betreiben wollen?
Boersma: Ja, natürlich können wir was machen. Was die Amerikaner in ihren eigenen Gewässern machen, ist natürlich schwierig zu beeinflussen. Aber ein sehr großer Teil der Weltmeere, die Hohe See, gehört uns allen. Und da sollte sich Deutschland zusammen mit der EU sehr stark engagieren und versuchen, ein Umdenken herbeizuführen, so dass wir aufpassen, was wir mit unserer Umwelt machen.
“Nicht mehr rausnehmen, als wieder produziert wird”
tagesschau.de: Ein weiteres großes Thema der Konferenz ist ja auch die Nachhaltigkeit. Kann man denn das Meer überhaupt nachhaltig nutzen, und wenn ja, wie?
Boersma: Ja, wir sollten es nachhaltig nutzen. Sehr viele Leute leben an der Küste. Wir haben das Meer immer genutzt, und das wird auch weiter passieren. Und wenn man zum Beispiel Fischerei studiert, dann kriegt man quasi in der ersten oder zweiten Stunde beigebracht, wie eine nachhaltige Fischerei zu machen ist: nicht mehr rausnehmen, als wieder produziert wird. Das bedeutet aber, dass wir uns da natürlich einschränken müssen, dass wir nicht die maximalen Bestände abfischen, aber auch, dass wir wissen müssen, was nachhaltig ist. Also einerseits brauchen wir den Willen, das zu machen, aber wir brauchen auch die Kenntnisse und den Transfer dieser Kenntnisse von der Wissenschaft in die Politik.
tagesschau.de: Schauen wir mal auf Nord und Ostsee. Wie steht es denn um die Meere direkt vor unserer Tür?
Boersma: Abgesehen von der insbesondere in den letzten Jahren beobachteten deutlichen Erwärmung und den noch immer fortdauernden Einträgen von Schadstoffen ist die Nordsee in bestimmten Bereichen deutlich besser dran als vor 40, 50 Jahren. Wir haben viel weniger Nährstoffe in der Nordsee, und das ist gut. Das Wasser ist klarer, und wir haben kein Sauerstoffproblem.
Sauerstoff ist ein Problem in Gewässern mit vielen Nährstoffen. Und das sehen wir noch immer in der Ostsee. Die Nordsee ist in dieser Hinsicht auf einem guten Weg. Bei der Ostsee sind wir noch nicht so weit. Und dann kommt natürlich auch bei der Ostsee hinzu, dass wir gerade da sehr, sehr viele Munitionsprobleme haben, die wir jetzt angehen.
tagesschau.de: Zurzeit auch ein Thema auf der Konferenz in Nizza.
Boersma: Über Munition wird auf vielen Veranstaltungen gesprochen. Es ist natürlich etwas, was nicht nur Deutschland betrifft. Es gibt im Mittelmeer etliche Stellen, wo sehr viel Munition im Meer deponiert wurde und auch in anderen Ländern.
“Ich hoffe auf verbindliche Abmachungen”
tagesschau.de: Was sind denn Lichtblicke? Was sind Sachen, die gut laufen, wenn Sie jetzt an den Meeresschutz denken?
Boersma: Na ja, wir machen schon sehr viel. Es wird über ganz viele Aspekte sowohl in nationalen, aber auch in internationalen Gewässern geredet. Wir versuchen zum Beispiel, Meeresschutzgebiete zu errichten, auch in internationalen Gewässern. Es muss jetzt nur noch in die Umsetzung kommen. Der Wille ist bei ganz vielen Ländern und auch bei Individuen da. Jetzt muss es noch umgesetzt werden.
tagesschau.de: Was erhoffen Sie sich persönlich von der Konferenz?
Boersma: Ich erhoffe mir, dass wir es schaffen, als Weltgemeinschaft verlässliche und verbindliche Abmachungen zu treffen. Es ist alles freiwillig. Das ist gut. Die Intentionen sind da. Aber jetzt müssen natürlich Taten folgen. Was die EU mit ihrem European Ocean Pakt macht, wo wirklich alles gesammelt werden soll – dieser Drive, um unsere Ozeane zu schützen und nachhaltig zu nutzen -, ist gut. Ich erhoffe mir, dass das wirklich einen Schub bekommt.
Das Interview führte Inga Wonnemann für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung überarbeitet und leicht gekürzt.