Wie können Unterwasserkabel vor Sabotage geschützt werden?

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Globalisierungsdebatten, Blockbildung und Donald Trump hin und her – die meisten Menschen wollen heute miteinander verbunden sein. Das heißt auch Daten auszutauschen und Energie zu übertragen, wenn diese anderswo günstiger ist. Doch wie lassen sich Telekommunikationsnetze und Stromtrassen über die Kontinente hinweg eigentlich realisieren und bei den zunehmenden Sabotageakten auch sichern?

Fast die ganze Datenkommunikation zwischen den Kontinenten erfolgt heute über Unterwasserkabel, Satelliten spielen noch eine untergeordnete Rolle. Gleichzeitig treten weltweit pro Jahr 150 bis 200 Fälle von reparaturbedürftigen Beschädigungen an Unterwasserkabeln auf, berichtet das Internationale Kabelschutzkomitee (ICPC). Darunter befinden sich auch mutwillige und gezielte Zerstörungen wie möglicherweise im November an zwei Tagen hintereinander in der Ostsee.

An der Küste Finnlands, 40 Autominuten westlich von Helsinki, lassen sich die Herausforderungen erahnen. Aus der Ferne erinnern die geschwungenen Stahlgerüste in der Kabelfabrik des italienischen Herstellers Prysmian an eine Achterbahn, als würden im nächsten Augenblick vergnügungslustige Menschen über sie hinwegrauschen. Stattdessen wird hier im Zeitlupentempo ein 130 Kilometer langes Stromkabel vom Uferrand über die Stahlgerüste auf ein nahe gelegenes Schiff gezogen. Zuvor ist das Kabel in einem 185 Meter hohem Turm – dem höchsten von Finnland – aufgehängt worden. Dort wurde es mit einer erhitzten und daher weichen Plastikschicht umhüllt. Dank der Schwerkraft fließt das Plastik am Kabel entlang nach unten, statt sich wie bei horizontaler Aufhängung falsch zu verformen.

Wie Kabel in 300 Meter Tiefe vergraben werden

Auf dem Schiff namens „Monna Lisa“ wird das rund 30 Zentimeter dicke Kabel in zwei Kreisen aufgeschichtet, seine Umhüllung besteht inzwischen nicht mehr nur aus Polyethylen, sondern auch aus Blei und Stahl. In zwei Kreisen in der Höhe von Mehrfamilienhäusern lastet das Kabel mit einem Gewicht von 17.000 Tonnen auf dem Schiff. Wenn die „Monna Lisa“ dann ablegt, wartet die nächste Schwierigkeit: Kabel herzustellen, die jahrzehntelang auf dem Meeresgrund Hochspannungsstrom übertragen, ist eine Sache – die andere ist, sie auf der richtigen Trasse bis zu 2000 Meter unter der Meeresoberfläche zu verlegen.

Einsatzbereit: Kabelspezialschiff „Monna Lisa“
Einsatzbereit: Kabelspezialschiff „Monna Lisa“Christian Schubert

In großen Tiefen werden sie einfach auf dem Grund abgelegt, denn dort stören sie niemanden und gelten als sicher vor Saboteuren. 300 bis 400 Meter unter dem Meeresspiegel dagegen, wo auch kein Taucher mehr hinkommen kann, vergraben die Kabelleger zumeist ihre Ware. Im Fall der „Monna Lisa“ vor der finnischen Küste, geschieht das über einen besonderen Pflug, den das Schiff auf dem Meeresgrund hinter sich herzieht. Auf sandigem Boden gräbt sich das Gefährt mit seinem Gewicht von 47 Tonnen bis zu drei Meter tief durch den Meeresgrund, es zieht gleichzeitig das Kabel hinter sich her und drückt es in die Furche. Wenn der Boden weich ist, schließt er sich hinter dem Pflug wieder und bedeckt so das Kabel. Bei Gestein und Felsen werden Fräsen und Bohrer eingesetzt. Und es gibt auch Techniken, bei denen das Kabel mit Steinen bedeckt wird, die vom Schiff durch ein Rohr herunterfallen.

So zumindest sieht das Vorgehen in jüngerer Zeit zumeist aus. Doch alles ist eine Kostenfrage, und es gibt auch noch viele ältere Kabel, die in niedrigeren Tiefen ungeschützt auf dem Meeresgrund liegen und daher nicht nur von Saboteuren, sondern auch von Ankern oder Schleppnetzen der Fischer beschädigt werden können. Allgemein gelten Telekom-Netze als verletzlicher als Stromkabel, denn sie werden aus Kostengründen selten eingegraben und von weniger dicken Schutzschichten umhüllt.

EU: Für die Sicherheit muss mehr getan werden

Die EU-Kommission hat die Telekom- und Energiebranche nun aufgefordert, sich stärker um die Sicherheitsfragen zu kümmern. Mit Sorge beobachtet sie, dass etwa im Februar vor Taiwan Kommunikationskabel durchtrennt wurden, möglicherweise von China. Und Russland hat schon bei der Eroberung der Krim vor mehr als zehn Jahren gezeigt, dass es durch das Kappen von Unterwasserleitungen auch die Hoheit über die Kommunikation gewinnen kann. „Das Bewusstsein steigt, dass wir eine strategische Branche sind“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Kabelherstellers und -Verlegers Prysmian, Massimo Battaini, im Gespräch mit der F.A.Z..

Das Unternehmen mit Sitz in Mailand gilt als Weltmarktführer, weil es fast alle Segmente des Kabelgeschäfts abdeckt und bei einem Umsatz von 17 Milliarden Euro ungefähr einen Börsenwert in der gleichen Höhe erreicht hat. Der französische Verfolger Nexans ist nur rund ein Viertel so viel wert und der europäische Drittplazierte NKT aus Dänemark noch weniger. Prysmian ist vor allem bei langen Stromkabeln stark und hat etwa schon das Viking-Projekt in einer Länge von 1200 Kilometern zwischen Dänemark und Großbritannien verlegt. Kabel in einem Stück von bis zu 250 Kilometern kann das Unternehmen herstellen. Große Muffen sorgen dann für die Verbindung zum nächsten Stück.

Am Ende 45.000 Kilometer lang: Telekomunterseekabel nahe Barcelona
Am Ende 45.000 Kilometer lang: Telekomunterseekabel nahe Barcelonadpa

Die Branche profitiert stark von der allgemein wachsenden Elektrifizierung und Digitalisierung sowie vom Umstand, dass immer mehr Strom aus Offshore-Windkraftanlagen kommt, die lange Kabel bis zum Land brauchen. Zudem steigt der Bedarf an „Interkonnektoren“, die den grenzüberschreitenden Stromtransport ermöglichen, denn weiträumige Vernetzung macht die Energieversorgung effizienter und sicherer. Der Blackout in Spanien wäre bei besseren Verbindungen nach Frankreich nicht möglich gewesen, ist der Prysmian-Chef überzeugt. Weil es mit den Trassen zu dem eifersüchtig seine Atomkraft schützende Nachbarn im Norden schwierig ist, denkt Spanien jetzt über neue Verbindungen nach Italien und Nordafrika nach – alles potenzielles Geschäft für Prysmian und seine Konkurrenten.

Marktführer Prysmian kann schneller reparieren

Prysmian will nun auch seinen Service im Sicherheitsbereich ausbauen und hat eigens ein Schiff abgestellt, das sich nur um Überwachung und Reparaturen kümmert. Ein Glasfaser-Kabel läuft durch jedes Stromkabel, das Unregelmäßigkeiten aufzeichnet und schnelle Reaktionen ermöglichen soll. Der Zeitgewinn beim Flicken ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. „Früher dauerte es oft drei bis vier Monate, bis ein Kabel repariert war, jetzt schaffen wir es in anderthalb Monaten“, sagt Prysmian-Chef Battaini.

Beschädigte oder durchtrennte Kabel werden von einem Schiff wie der „Monna Lisa“ an die Oberfläche gezogen und an Bord etwa durch den Einsatz eines neuen Stückes oder einer Muffe repariert. Auch der italienische Schiffbauer Fincantieri will auf diesem Feld tätig werden. Er hat kürzlich eine Absichtserklärung zur Übernahme des italienischen Unternehmens Graal Tech unterzeichnet, das Unterwasser-Drohnen zur Überwachung von Kabeln entwickelt.

Wie groß der Bedarf ist, zeigt die regelrechte Explosion des Marktes für Stromverbundleitungen auf dem Meeresgrund: Von 2019 bis 2023 wuchs er von 4 auf fast 20 Milliarden Euro. Prysmian schätzt, dass mindestens bis 2027 rund 15 Milliarden Euro jährlich dazukommen. Auch in Deutschland ist Prysmian ein großer Anbieter, allerdings auf Land für Kabel, die den Strom von den Windkraftanlagen im Norden zu den industriellen Kunden im Süden bringen. „Heutzutage verlegt man solche Kabel in der Erde. Das ist zwar sieben bis achtmal teurer als Überlandleitungen, doch dafür brauchen Überlandleitungen in der Regel zehn Jahre länger, bis sie genehmigt sind“, sagt Battaini.

F.A.Z.

Chinesische Wettbewerber schlafen nicht

Die Nachfrage ist so groß, dass Prysmian jetzt seine Gewinnmargen hochfährt. Höhere Preise finanzierten die Investitionen in den technischen Fortschritt, der wiederum das Angebot für die Kunden vergünstige, rechtfertigt sich Prysmian. So könnten die neuesten Kabel etwa 525 statt 380 Kilovolt transportieren, und der Bau des hohen Kabelturms in Finnland sei möglich gewesen. Die Anschaffung des Verlegeschiffs „Monna Lisa“ kostete Prysmian 230 Millionen Euro, ein weiteres Schiff soll in zwei Jahren kommen, womit das Unternehmen über neun Verlegeschiffe verfügt – die mit Abstand größte Flotte in der Branche.

Der wichtigste Markt ist Europa, weil keine andere Weltregion so eng miteinander verbunden ist. Doch die chinesischen Anbieter schlafen nicht, etwa das chinesische Unternehmen HMN Technologies (früher Huawei Marine Networks), das besonders in Asien Aufträge für Telekom-Kabel gewinnt und nach Branchenschätzungen auf einen Weltmarktanteil von rund 11 Prozent kommt.

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Vor zwei Jahren hätte HMN beinahe eine lange Telekom-Verbindung zwischen Singapur und Frankreich legen dürfen, doch unter dem Druck der amerikanischen Regierung ging der Auftrag an den amerikanischen Anbieter Subcom, der bei den Telekom-Kabeln als die Nummer zwei hinter dem französischen Unternehmen Alcatel Submarine Networks gilt. „Die europäische Führungsposition wird zunehmend durch den wachsenden Wettbewerb durch China herausgefordert“, stellt Alessandro Viviani, Partner der italienischen Beratungsgesellschaft Teha, in Bezug auf den gesamten Energiesektor fest. Bei den chinesischen Milliarden-Subventionen könne die EU nicht mithalten.

„Die Chinesen können ruhig kommen“

Prysmian gibt sich indes gelassen. Das Unternehmen bezeichnet sich als Technologieführer mit einem Marktanteil von 40 Prozent bei Unterwasser-Stromkabeln, die als technisch anspruchsvoller gelten als Telekomverbindungen. „Es geht nicht um Kapitalinvestitionen. Die Chinesen können ruhig kommen, sie haben Fähigkeiten in der Herstellung, doch keine im Kabellegen“, sagt Prysmian-Chef Battaini. Die richtige Positionierung sei der Knackpunkt, weil sie die langfristige Nutzung des Kabels sichere. Auch Reparaturen erforderten Erfahrung durch jahrzehntelang geschultes Personal.

In dem Unternehmen ist zudem die Erwartung zu spüren, dass letztlich die Politik mit schützender Hand die Chinesen aus Europa fernhalten werde. Diese nähern sich freilich auf verschiedenen Ebenen der Wertschöpfungskette: Die chinesische Werft Zhejiang Shipbuilding hat etwa für den niederländischen Anbieter Van Oord ein Verlegeschiff gebaut, das die Kabel in einer Tiefe bis 1000 Meter mit Steinen bedecken kann.

Italiens Regierung hat strategisches Interesse

In Italien herrscht besonders viel Aufmerksamkeit für die Branche, weil führende Anbieter von dort stammen. Der Schiffbauer Fincantieri hat über seine Tochtergesellschaft Vard schon sechs Kabellegeschiffe gebaut und zählt derzeit drei weitere im Auftragsbuch, darunter eines für einen japanischen Hersteller. Der italienische Kabelnetzbetreiber Sparkle ist zudem ein großer internationaler Anbieter, den die Regierung in Rom zusammen mit einem spanischen Telekom-Fonds kürzlich Telecom Italia abgekauft hat.

Der Einstieg des Staates belegt das strategische Interesse. Das Schattendasein der Branche ist Vergangenheit. Einst baute der Reifenhersteller Pirelli in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die erste Telegraphenleitung zwischen den USA und Italien. Vor zwanzig Jahren dann meinte Pirelli, das Kabelgeschäft nicht mehr zu brauchen und verkaufte es an Goldman Sachs.

Zwei Jahre später ging Prysmian an die Börse und wuchs dann gezielt durch Übernahmen von Konkurrenten wie Draka, General Cable, Encore Wire, Warren&Brown und zuletzt Channel. Besonders in den USA expandierte Prysmian kräftig, so dass das Unternehmen heute dort über eine zweite Börsennotierung neben Mailand nachdenkt. Nachdem sich die Prysmian-Leute bei der Trennung von Pirelli einst wie verstoßene Kinder fühlten, blicken sie heute mit tiefer Befriedigung auf die Abnabelung. Prysmian ist bei einem Börsenwert von rund 17 Milliarden Euro mehr als 2,5 mal so viel wert wie die frühere Muttergesellschaft.

Kabelverlegeschiffe sind knapp

Und der Übernahmedurst – laut Battaini „Teil unserer DNA“- ist noch nicht gestillt. „Es gibt interessante Sektoren etwa Hersteller von Spezialkabeln in den USA oder in europäischen Ländern wie Portugal“, sagt er.

Die Nachfrage nach Strom- und Telekomleitungen übersteigt das Angebot bei weitem. So ist Geduld gefragt. Die Politik müsse verstehen, dass große Unterwasserprojekte oft zehn oder mehr Jahre dauern, fordert der Prysmian-Chef. „Da braucht man viel politische und finanzielle Stabilität“. Und die Industrie muss entlang der gesamten Wertschöpfungskette liefern können. Wer heute die „Monna Lisa“ bucht, kommt frühestens 2029 an die Reihe.