Als italienischer Ministerpräsident hat Matteo Renzi längst abgedankt, doch sein „Jobs act“ zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, den Mitte des vergangenen Jahrzehnts etwa auch Angela Merkel unterstützt hatte, lebt weiter. Denn am Montag ist in Italien nach zweitägiger Abstimmung ein vor allem von den Gewerkschaften beantragtes Referendum gescheitert, das die Arbeitnehmerrechte stärken sollte. Das nötige Quorum von 50 Prozent der Wahlberechtigten wurde deutlich verfehlt. Nicht einmal jeder Dritte nahm an der Abstimmung teil. Damit bleibt alles beim Alten – und somit auch die vergleichsweise hohe Flexibilität am italienischen Arbeitsmarkt.
Vier der fünf vorgelegten Referendumsfragen hatten arbeits- und sozialpolitische Forderungen enthalten: Die Obergrenzen für finanzielle Entschädigungen bei ungerechtfertigter Entlassung abzuschaffen, bei ungerechtfertigter Entlassung das Recht auf Wiedereingliederung in das frühere Unternehmen zu erhalten, den beauftragenden Arbeitgeber auch bei den Zulieferern für die Einhaltung von Arbeitssicherheits-Vorschriften verantwortlich zu machen, und die Unternehmen zu verpflichten, die Einrichtung einer befristeten Arbeitsstelle zu begründen. Gut 14 Millionen Italiener nahmen an der Abstimmung teil und befürworteten die Forderungen zu jeweils mehr als 87 Prozent. Unter den größeren Städten war die Wahlbeteiligung am höchsten in Florenz mit 46 Prozent und am niedrigsten in Bozen mit knapp 16 Prozent.
Niedrige Löhne gelten als wichtigere Frage
„Die Fragen zur Arbeit waren ideologischer Natur und auf die Vergangenheit gerichtet“, teilte Renzi mit, der von Februar 2014 bis Ende 2016 italienischer Ministerpräsident war und heute der Splitterpartei „Italia Viva“ vorsteht. Damals leitete er die sozialdemokratisch geprägte Partei Partito Democratico, die sich von seinem Erbe jedoch abgewandt hat.
„Die Italiener bewegen heute andere Fragen, etwa die Höhe der oft geringen Löhne und die Frage, ob ihre Arbeitsstelle dem technischen Fortschritt zum Opfer fällt. Das Referendum war anachronistisch“, sagt Maurizio Del Conte, ein Professor für Arbeitsrecht an der Mailänder Universität Bocconi. In der Nachkriegsgeschichte Italiens ist etwa jedes zweite Referendum an der niedrigen Beteiligung gescheitert. Die Fragen waren diesmal besonders technisch und daher schwer zu verstehen. Die Medien hatten zuvor ausführlich darüber diskutiert und Übersetzungshilfe geleistet. Dennoch machte sich nur eine Minderheit der Italiener auf den Weg zur Wahlurne.
Meloni ist zufrieden
Die drei Regierungsparteien mit den Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni im Mittelpunkt zeigten sich zufrieden. Die Regierung hatte im vergangenen Jahr die Flexibilität für die Arbeitgeber noch erhöht, indem sie den Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen mit einer Dauer von mehr als zwölf Monaten erleichtert hatte. Meloni betont, dass Italien den Rekordwert von 24 Millionen Beschäftigten erreicht hat, rund eine Million mehr als vor fünf Jahren. Die Arbeitslosigkeit sank in diesem Zeitraum von rund zehn auf sechs Prozent. Allerdings ist die Beschäftigungsquote bei jungen und älteren Menschen im internationalen Vergleich immer noch recht niedrig. Und die geringe Vergütung, auch wenn es zuletzt gewisse Steigerungen gab, sind der Grund für vielfache Klagen. Im vergangenen Jahr lagen die Reallöhne immer noch rund 6 Prozent unter dem Niveau vor der Pandemie. Kein anderes der größeren OECD-Länder erlebte einen derart starken Rückgang, berichtete die Organisation mit Sitz in Paris.
„Eine gewisse Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt wird in Italien als etwas Unvermeidliches angesehen“, sagt Professor Del Conte. In verschiedenen internationalen Vergleichen gilt der italienische Arbeitsmarkt als flexibler als etwa der von Deutschland und erst recht der von Frankreich. In seiner extremsten Form führt die Flexibilität so weit, dass manche Arbeitskräfte in der italienischen Landwirtschaft in Umständen beschäftigt werden, die als Ausbeutung charakterisiert werden können. Der Beschäftigungsaufschwung hat in jüngerer Zeit jedoch stark den Abschluss von unbefristeten Arbeitsverträgen gefördert.
Das Referendum sei „ein Wahnsinn“, hatte der Präsident der Arbeitgebervereinigung Confindustria, Emanuele Orsini, in einem Interview gesagt. Er räumte ein, dass etwas gegen eine Minderheit von Tarifverträgen unternommen werden müsse, die schlechte Arbeitsbedingungen erlauben, oft unterzeichnet von Gewerkschaften, die als wenig repräsentativ gelten. Das Hauptproblem sei jedoch die geringe Produktivität der Unternehmen. Nur ihre Steigerung könne zu höheren Löhnen führen, sagte Orsini. Außerdem litten viele Unternehmen darunter, dass sie keine Arbeitskräfte finden. Die neuen Stellen sind in Italien besonders im Dienstleistungssektor wie im Tourismus, der Gastronomie und etwa im Pflegebereich entstanden.