Apple stehe wegen seines Rückstands bei künstlicher Intelligenz am Abgrund, sagen manche Beobachter. Das ist masslos übertrieben.

Apple hat KI-Innovation versprochen – und bei der Entwicklerkonferenz enttäuscht.
Die gestrige Entwicklerkonferenz des Apple-Konzerns hat viele Anleger enttäuscht. Sie hatten magisch anmutende KI-Anwendungen erwartet – stattdessen bekamen sie nur überarbeitetes Design. Diese «Innovation» reichte nicht aus, um die Apple-Aktie aus ihrem schwachen Kurs herauszureissen. Seit Jahresbeginn sank dieser um 26 Prozent.
Enttäuscht hat vor allem Apple Intelligence, Apples KI-System, das Siri klüger machen und den Umgang mit dem iPhone verbessern sollte. Doch die Funktionen kamen verspätet und funktionierten, wie häufig bei generativer KI, nicht verlässlich.
Nun sei es höchste Zeit für Apple, bei KI aufzuholen. Ein, zwei Jahre habe die Firma noch, sonst stehe sie am Abgrund. Manche sprechen gar vom «Kodak-Moment» für Apple – in Anlehnung an den Fotografie-Konzern, der unterging, weil er die Umstellung auf Digitalkameras verpasst hatte.
All das ist masslos übertrieben – und überschätzt den Stellenwert von KI für Apple-Käufer.
Konsumenten kaufen Smartphones nicht wegen der KI
Während Tech-Nerds und Branchenbeobachter gebannt alles beobachten, was mit KI zu tun hat, interessiert sich der Durchnittskonsument dafür nur mässig. Das zumindest zeigt ein Blick auf die Suchanfragen bei Google. Welches Handy hat die beste Kamera? Die längste Akku-Laufzeit? Das interessiert mehr als KI-Funktionen.
Die Auto-Vervollständigung bei Google gibt einen Hinweis darauf, was Leute bei der Entscheidung für ein Smartphone interessiert.
Apple-Produkte gelten als hochwertig, verlässlich und sicher und – auch das darf man nicht unterschätzen – sind nach wie vor ein Statussymbol.
Dazu kommt, dass Apple seit Jahren daran arbeitet, seine Kunden an ein Ökosystem zu binden, in dem alle Produkte ohne Hürden ineinandergreifen. Fotos kann man sich auf allen Geräten anschauen, das WLAN-Passwort, das man am iPhone eingegeben hat, überträgt sich automatisch auf den Laptop.
Es sind diese kleinen Erleichterungen im Alltag, die Konsumenten an eine Marke binden. Um Apple-Nutzer aus ihrem goldenen Käfig zu locken, braucht es mehr als bessere KI-basierte Übersetzer und coolere Bildbearbeitungs-Apps bei der Konkurrenz.
Nicht nur Apples KI-Assistenz funktioniert schlecht
Klar, wenn die Versprechen der KI-Vermarkter stimmen würden und KI-Assistenten bereits heute den Alltag ihrer Nutzer spürbar vereinfachen würden, dann müsste sich Apple sputen. Doch solche Assistenten gibt es noch nicht.
Googles Gemini-Assistent und Alexa Plus sind weit davon entfernt, kaufentscheidend zu sein. Auch sie machen Fehler. Das ist bei generativer KI inhärent. Sie leistet zwar Beeindruckendes, ist aber immer noch nicht verlässlich. Bei Chat-GPT akzeptiert man das, bei Apple aber nicht.
Dazu kommt, dass Apple-Nutzer viele KI-Funktionen ganz einfach durch fremde Apps nutzen können. Etwa Google Lens, die Foto-basierte Such- und Übersetzmaschine, die besser funktioniert als das Pendant von Apple. IPhone-Nutzer können auch direkt auf Chat-GPT zugreifen. Laut Medienberichten muss Apple dafür nicht einmal Geld an Open AI bezahlen. Das zeigt: Menschen wählen immer noch erst ihr bevorzugtes Smartphone und dann die KI, nicht umgekehrt.
Apples Fehler war, sich vom KI-Hype mitreissen zu lassen
Das heisst nicht, dass es einfache Zeiten für Apple sind. Der Zollstreit mit China trifft das Unternehmen besonders hart. Zugleich holt Google in Sachen Design und Kamera seiner Smartphones auf – und macht auch dabei Fortschritte, einen synchronisierten Kosmos von Laptop, Handy und Smartwatch anzubieten. Währenddessen überbieten sich Chinas Tech-Firmen mit günstigen Smartphones, in denen Spitzentechnologie steckt.
Trotzdem – von einer Zeitenwende wie dem Umstieg von analoger auf digitale Fotografie sind wir weit entfernt. Künstliche Intelligenz bringt Veränderungen. Doch dank Spitzenpersonal und Unmengen Geld ist Apple dafür gut gerüstet.
Der grösste Fehler des Konzerns war, sich überhaupt so vom KI-Hype mitreissen zu lassen. Apple versprach zu früh zu viel, um Investoren bei Laune zu halten, statt souverän auf seine Stärken zu setzen: Verlässlichkeit und Qualität. Darauf geben seine Nutzer mehr als auf KI-Gimmicks.