An der Entwicklerkonferenz hat der iPhone-Konzern ein grosses Redesign vorgestellt. Das könnte vorerst reichen, um die Kunden zu vertrösten. Aber Apple muss bald bessere KI-Anwendungen herzeigen.

Der Apple-Chef Tim Cook will die Fans mit einem umfassenden Redesign und kleinen Verbesserungen bei der Stange halten, bis der Konzern endlich bessere KI-Anwendungen vorstellen kann.
Cupertino präsentierte sich am Montag wie in einem Apple-Werbefilm, als Tim Cook am Firmenhauptsitz Apple Park die jährliche Entwicklerkonferenz eröffnete: Die Sonne schien über Kalifornien, und der Himmel war so blau wie das Poloshirt, das sich der 64-jährige Apple-Chef für diese Gelegenheit ausgesucht hatte.
Neue Hülle . . .
Für einmal also blau statt schwarz, aber doch wie immer ein Poloshirt: Cooks Garderobe fasst die Probleme, die das bis vor kurzem grösste Unternehmen der Welt derzeit wälzt, ganz gut zusammen. Zu Beginn der Entwicklerkonferenz, der wichtigsten alljährlichen Veranstaltung von Apple, stellt der Firmenchef sonst immer bahnbrechende neue Produkte und Features vor. 2023 war es die VR-Brille Vision Pro, 2024 waren es neue KI-Angebote, die man unter dem Namen Apple Intelligence bündelte.
Diesmal mussten sich die Zuhörer mit vielen kleineren bis mittelgrossen, inkrementellen Verbesserungen begnügen. Am meisten dürfte externe Entwickler freuen, dass sie besseren Zugang zu Apples eigenen KI-Modellen erhalten; ihre Apps sollen die auf den Geräten eingebauten KI-Kapazitäten künftig sogar im Offline-Modus nutzen können. In Gruppen-Chats kann man leichter Umfragen durchführen oder über Apple Pay die Restaurantrechnung ausgleichen. Zudem verspricht der Konzern, Telefongespräche und Videoanrufe in Echtzeit übersetzen zu können. Die Betriebssysteme aller Apple-Produkte werden nun einheitlich nummeriert.
Apple verpasst seinen Produkten mit Liquid Glass zudem das grösste Redesign seit über zehn Jahren. Suchleisten legen sich wie flüssiges Glas über den Bildschirm, aber verschwinden dezent im Hintergrund, wenn sie nicht mehr gebraucht werden: In den Präsentationen schaut das sehr elegant aus. Wie immer haben die Designer von Apple ganze Arbeit geleistet.
. . . fast derselbe Inhalt
Das war alles gut und recht. An der Börse interessierte aber vor allem, was Apple alles nicht vorstellte. Die Aktie verlor kurz nach dem Start der Konferenz mehr als 1 Prozent an Wert – ziemlich genau dann, als der Software-Chef Craig Federighi sagte, dass KI-Verbesserungen für den Sprachassistenten Siri weiter auf sich warten lassen würden.
Als Tim Cook vor genau einem Jahr auf ebendieser Bühne Apple Intelligence vorgestellt hatte, die schon damals überfällige Antwort auf Chat-GPT von Open AI, fiel den nervösen Investoren ein Stein vom Herzen. Die Aktie sprang damals um mehr als 10 Prozent nach oben. Cook skizzierte in blumigen Worten, wie Apples hauseigene KI Siri revolutionieren würde und das iPhone mit dazu.
Doch Apple hat seither nicht geliefert, was Cook versprochen hatte. Siri kann bis heute keine KI. Seit Jahresbeginn hat der an der Technologiebörse Nasdaq gelistete Titel 17 Prozent an Wert verloren. Den Titel des wertvollsten Unternehmens der Welt musste Apple an Microsoft und den Chiphersteller Nvidia abgeben. Auch viele Finanzanalysten sind pessimistischer geworden und erwarten vorerst keine Kursgewinne der Apple-Aktie.
Apple musste im vergangenen Jahr noch weitere versprochene KI-Funktionen für das iPhone zurücknehmen – etwa die fehlerhaften News-Zusammenfassungen –, andere wie die Emoji-Generatoren sind belanglos und fressen die Batterie des Handys auf. Konsumenten haben Apple inzwischen verklagt, weil das angebliche «KI-iPhone 16» keine KI kann. Eine der wenigen KI-Funktionen, die auf dem iPhone wie versprochen funktionieren, ist die Integration mit Chat-GPT; der Chatbot des Konkurrenten beantwortet komplexe Suchanfragen der Apple-Nutzer.
Schliesslich kam noch Unglück hinzu in Form des Zollstreits, den Donald Trump mit China und anderen Ländern lanciert hat. Er hat den Hardware-Entwickler Apple, der seine Produktion nur langsam aus China heraus verlagern kann, härter getroffen als andere Technologieunternehmen.
Die Konkurrenz investiert
Während Google, Open AI und andere Wettbewerber jede Woche mit neuen KI-Produkten Schlagzeilen machen, versucht Apple noch seine Versprechen von 2024 einzulösen.
Die Analysten sind gespalten, wie sehr diese Verspätung Apple schaden wird; und ab wann es seine Kunden an die Konkurrenz verlieren wird. «Sie haben immer noch einige Jahre Zeit, um es richtig zu machen», schreiben Gene Munster und Brian Baker von Deepwater Asset Management.
Apple müsse hierfür aber seine KI-Investitionen deutlich erhöhen. Der iPhone-Hersteller hat sich bisher nur zurückhaltend am Hype um neue riesige Datencenter beteiligt, wie sie Meta, Amazon, Microsoft oder Google derzeit am Laufmeter in die amerikanische Landschaft pflanzen.
Die Konkurrenten haben ihre Kapitalinvestitionen in den vergangenen zwei Jahren massiv erhöht, während sie bei Apple auf demselben Niveau verharren wie 2021. Amazon und Co. bauen sich damit die Basis auf, um die neueste Generation von riesigen KI-Modellen für ihre eigenen Zwecke zu nutzen und über ihre Cloud-Lösungen an die Kunden zu bringen.
Der Bloomberg-Autor Mark Gurman, der als einer der besten externen Kenner der inneren Verhältnisse von Apple gilt, schreibt in seiner Kolumne, dass Apple durchaus Fortschritte gemacht habe bei manchen KI-Projekten. So soll das Unternehmen ein eigenes grosses Sprachmodell aufgebaut haben, das auf 150 Milliarden Parametern beruht. Die Zahl der Parameter bietet einen groben Anhaltspunkt, wie mächtig ein Modell ist und mit welcher Komplexität es umgehen kann. Auch das KI-Update für Siri wird früher oder später kommen.
Wie von den Experten prognostiziert, hat Apple an der Entwicklerkonferenz nun auch ein KI-Feature vorgestellt, das die Batterielaufzeit des iPhones verbessern soll. Hinzu kommen zahlreiche mit künstlicher Intelligenz aufgebesserte Helferlein, etwa die Fitness- und Messaging-Apps oder die erwähnte Live-Übersetzung von Gesprächen.
Die Kunden wollen nicht weg
Dass Cook und Federighi sich an der diesjährigen Entwicklerkonferenz mit grossen Ankündigungen zurückhalten, war zu erwarten. Es hat auch mit Vorsicht zu tun, nachdem man sich 2024 mit übertriebenen Versprechen rund um Apple Intelligence blamiert hatte. Lieber einmal zu wenig versprechen und zu viel erfüllen.
Derzeit profitiert Apple weiterhin von der grossen Loyalität seiner Kunden. Viele besitzen nicht bloss ein iPhone, sondern auch ein Tablet, ein MacBook oder eine Fitnessuhr von Apple. Sie schauen über Apple TV+ fern und haben ihre Daten im Cloud-Speicher von Apple gesichert. Sie profitieren davon, dass all ihre Geräte mühelos miteinander kommunizieren – was sie aber auch in der iPhone-Welt gefangen hält.
Munster und Baker schätzen, dass dieser Vorteil Apple rund zwei Jahre Zeit gibt, um punkto künstliche Intelligenz aufzuholen. Der Konzern profitiere davon, dass KI-Hardware generell noch hinter der Softwareentwicklung herhinke. Es gebe kein Konkurrenzprodukt, das über genügend einzigartige KI-Anwendungen verfüge, um Apple-Nutzer von einem Wechsel zu überzeugen.
Dass der frühere Apple-Chefdesigner Jony Ive künftig für Open AI ein für KI-Anwendungen optimiertes Gerät entwickelt, das womöglich komplett ohne Bildschirm funktioniert, könnte zwar eine Bedrohung für Apple sein – falls es das iPhone überflüssig macht. Allerdings werden Jahre vergehen, bis ein solches Gerät Verkaufsreife erlangt.
Das heisst: Apple hat wohl mehr Zeit als andere Technologiefirmen, um im KI-Rennen aufzuholen. Aber es sollte langsam aus den Startblöcken kommen. Eine weitere Entwicklerkonferenz ohne das nächste «one more thing», wie Steve Jobs die grössten Apple-Innovationen jeweils angekündigt hatte, liegt nicht mehr drin.