Am Steg von Gardi Sugdub wartet eine kleine Gruppe mit Säcken und Taschen. Die Frauen tragen bunte Gewänder, rote Kopftücher und aus unzähligen Perlen angefertigte Armbänder. Sie blicken auf das Meer, das sie gleich in einem Boot überqueren werden. Hier, auf der Insel an Panamas Karibikküste, ist kaum noch Platz für das indigene Volk der Guna. Denn der Meeresspiegel steigt.
Schon jetzt drängen sich die Häuser auf der 400 Meter langen und 150 Meter breiten Insel bis ans Wasser. Die meisten bestehen aus Holz, ihre Dächer aus Blech oder Schilf, die Wege dazwischen aus festgetretenem Sand. Außer einigen Bäumen und Palmen wächst hier nichts. Während der Regenzeit steht das Wasser in Gardi Sugdub oft in den Häusern, das Trinkwasser ist knapp, und die Wege zum Arzt oder zur Schule sind lang. Die Bevölkerung des Dorfes, die schon bei über 1300 Bewohnern lag, lebt vor allem vom Fischfang und von den Touristen.
Vor fast 20 Jahren stieß der Kongress der Guna-Ältesten wegen der Überbevölkerung der Insel die Diskussion über einen Umzug der Gemeinde an. Die panamaische Regierung baute ein neues Dorf auf dem Festland, das vor knapp einem Jahr von rund 300 Familien aus Gardi Sugdub bezogen wurde. Dabei leben die Guna seit fast 200 Jahren überwiegend auf den Inseln der Küste.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Im dunklen Versammlungshaus von Gardi Sugdub liegt Nelson Morgan in einer Hängematte. Morgan ist einer der Dorfältesten, die hier Saila genannt werden. „Wir dachten nie daran, aufs Festland zu ziehen“, sagt er in der Sprache der Guna, Dulegaya, das jeder auf der Insel spricht. Die Umsiedlung der Gemeinde werde oft mit dem steigenden Meeresspiegel erklärt, sagt Morgan, doch die Überbevölkerung sei auch ein Motiv. Gerade die junge Generation wolle nicht mehr unbedingt auf der Insel leben. „Sie wollen Geld verdienen“, sagt der Saila und blickt durch seine dicke Brille ins Leere.
Die Guna sind gut organisiert
In den Gassen von Gardi Sugdub flattern rote, gelbe und grüne Fahnen von Guna Yala im Wind. Die offizielle hat acht Sterne, Pfeil und Bogen, die an den Widerstand und die Helden der Guna erinnern. Eine zweite Flagge ist rot und gelb mit einer Swastika, einem jahrtausendealten Symbol, das in der Kultur der Guna für die vier Himmelsrichtungen und den Ursprung steht. Es ist die Flagge der Revolution vor hundert Jahren. Damals kam es zum bewaffneten Aufstand der Guna gegen die panamaische Verwaltung. Die Friedensverhandlungen bereiteten dem späteren Autonomiestatus der Guna den Weg. Heute verwaltet das Volk den Landkreis an der östlichen Karibikküste politisch und administrativ. Die Guna gelten als eines der politisch am besten organisierten indigenen Völker Lateinamerikas.

Die Autonomie ist der Stolz des Volkes mit seinen 49 Gemeinden und rund 50.000 Angehörigen. Die Guna sehen sie als eine Voraussetzung für den Fortbestand ihrer Kultur, die ihren Ursprung nicht auf den Inseln, sondern auf dem Festland hat. Das Volk besiedelte einst weite Teile Panamas, floh nach der Ankunft der Spanier jedoch in das Gebiet des Darién-Dschungels, an die Küste und auf die Inseln. Krankheiten und Plagen führten im 19. Jahrhundert zu einem weiteren Rückzug auf die Inseln, auf denen das Volk überlebte. Doch nun kehrt sich die Geschichte um: Die Gemeinde hat sich bereits aufgeteilt zwischen Insel und Festland.
Andere Inseln in Guna Yala kämpfen mit denselben Problemen wie Gardi Sugdub. Ihnen könnte es ähnlich ergehen. Erst recht, wenn sich die Prognosen von Wissenschaftlern bewahrheiten: Modelle zeigen einen klimabedingten Anstieg des Meeresspiegels vor der Küste Panamas von jährlich rund sechs Millimetern. Die Inseln von Guna Yala, die im Durchschnitt nur einen halben Meter über dem Meeresspiegel liegen, dürften künftig stärker von Überflutungen betroffen sein als bisher.
Keiner wird gezwungen zu gehen
Einige der kleineren Inseln, auf denen lediglich ein paar Palmen und Sträucher wachsen, hat das Meer bereits geschluckt. Untersuchungen der Direktion für Klimawandel des panamaischen Umweltministeriums mit Unterstützung panamaischer und spanischer Universitäten gehen davon aus, dass Panama bis 2050 durch den Anstieg des Meeresspiegels etwas mehr als zwei Prozent des Küstengebiets verlieren wird. 38.000 Einwohner wären davon betroffen. Die Kosten für eine Umsiedlung werden auf über eine Milliarde Euro geschätzt.
Kein Bewohner wird gezwungen, gegen seinen Willen zu gehen. Viele glauben auch nicht an den steigenden Meeresspiegel. Und doch stehen bereits zahlreiche Häuser in Gardi Sugdub leer. Am Ufer, das zugleich Dorfrand ist, endet eine der Sandstraßen vor einer zerfallenen Hütte aus Holz und Wellblech, die auf Stelzen steht. Hinter einem zerschlissenen rosafarbenen Plastikauto nagt das Meer an der Insel und den Häusern an ihren Rändern. Plastikflaschen und angeschwemmter Müll treiben im Wasser, dahinter ein Boot mit den Flaggen von Guna Yala.
Die Einwohner pendeln nun zwischen der Insel und dem Festland. Jeder hat Familie und Freunde an beiden Orten, im alten Dorf und im neuen. Bisher fuhren die Bewohner der Inseln nur zum Festland, um zu Verwandten nach Panama zu fahren, Besorgungen zu machen oder eine Gruppe von Touristen abzuholen, die die einzigartige Inselwelt besuchen, die auch als das Archipel von San Blas bekannt ist. Nun leben selbst die Dorfältesten in beiden Welten.
300 Häuschen in Reih und Glied
Am kleinen Festlandhafen beginnt eine ausgezeichnet asphaltierte Straße, die nach Panama führt. Ein paar Hundert Meter landeinwärts biegt eine Ausfahrt nach Isber Yala ab – jenem neuen Dorf, das auf einer gerodeten Lichtung errichtet wurde. In Reih und Glied stehen hier 300 identische Häuschen mit roten Ziegeldächern und grauen Betonwänden wie Spielzeugbauten in einem Planquadrat. Dazwischen verlaufen schnurgerade Straßen, Stromleitungen spannen sich durch die heiße Luft, und das Gras am Rand wächst bereits wild zurück. Die Siedlung wurde im Rahmen des sozialen Wohnbauprogramms „Techos de Esperanza“ von der panamaischen Regierung gebaut. Internationale Organisationen haben das Projekt begleitet und mitfinanziert – als eine der ersten klimabedingten Binnenumsiedlungen in einem indigenen Gebiet Lateinamerikas.

Isber Yala liegt kaum mehr als einen Kilometer von Gardi Sugdub entfernt – und doch in einer anderen Welt. Hier gibt es fließendes Wasser, durchgehend Strom, eine Gesundheitsstation und sogar einen Sportplatz. Einige Bewohner haben kleine Gärten angelegt oder Hühnerställe gezimmert. Bunte Wäschestücke wehen auf Leinen, aus einem der Häuser dringt Musik. Kinder spielen barfuß auf dem heißen Asphalt. Und dennoch wirkt die Siedlung karg, beinahe steril – als müsste sie erst mit Leben gefüllt werden.
„Als wir hier ankamen, gab es noch keinen Strom, dafür viele Moskitos. Das waren wir nicht gewohnt“, sagt Miroslavia Dick. Sie ist 65 Jahre alt, Aktivistin, Mutter, Großmutter und eine Stimme, die in Isber Yala viel Gehör findet. Auch heute seien viele Probleme noch nicht gelöst, besonders das mit dem Abfall. In Gardi Sugdub werde der meiste Müll ins Meer geworfen, erzählt Dick. Das sei nicht ideal. Hier auf dem Festland sammle sich der Abfall auf einer kleinen Halde an und bereite zunehmend Probleme. Dick bemängelt fehlenden politischen Willen der Regierung in Panama-Stadt. Das Umsiedlungsprojekt sei von der Vorgängerregierung geplant worden. Die neue Regierung kümmere sich nicht mehr darum. „Was passiert mit uns in fünf Jahren?“, fragt Dick.
Die meisten haben sich an den Komfort gewöhnt
Der Umzug aufs Festland war für alle eine große Umstellung. Die meisten haben sich rasch an den Komfort gewöhnt, den das neue Dorf bietet. Miroslavia Dick führt durch ihr Häuschen, in dessen Eingangsbereich sie einen kleinen Kiosk eingerichtet hat. Auf dem Fliesenboden in der Küche steht ein Gasherd, im Hinterhof eine große Tiefkühltruhe, an der Wand hängt ein Fernseher. Auf einem Stuhl sitzt ihre jüngste Tochter und schaut aufs Handy. In Isber Yala sind die äußeren Einflüsse noch sichtbarer. Alte und neue Lebensformen überlagern sich.

Die Guna hatten durch den traditionellen Handel mit Kokos, Hummer und Textilien sowie durch den wachsenden Tourismus immer einen regen Kontakt mit der Außenwelt. Viele Guna besuchen weiterführende Schulen und Universitäten oder arbeiten in Panama-Stadt, wo es eine Art Exilgemeinde der Guna gibt. Doch andere Einflüsse von außen machen dem Volk zu schaffen. Auf ihrem Weg nach Norden zogen in den letzten Jahren immer mehr Migranten durch den Darién-Dschungel und durch Guna Yala.
Auch Rauschgiftschmuggler nutzten die Route durch die Karibik, erzählt Ansberto Ehrmann, Erster Sekretär von Gardi Sugdub und Isber Yala: „Sie fahren nachts mit Schnellbooten die Küste hoch. Wenn sie entdeckt werden, werfen sie Säcke mit der Fracht ab, die sie später suchen.“ Ehrmann vermutet, dass einzelne Angehörige seines Volkes mit den Schmugglern zusammenarbeiten. Es sei ein Tabuthema unter den Guna. Doch der plötzliche Reichtum einiger Leute steche ins Auge.
Die Guna haben sich angepasst
Auch die Familien, die im Tourismus tätig sind, bringen es zu einem gewissen Wohlstand. Viele Familien vermieten einfache Hütten auf den kleineren Inseln, bieten Ausflüge an oder verkaufen Molas, die traditionellen Gewänder und Stoffe der Guna-Frauen. Ein gutes Geschäft macht, wer einen Geländewagen für den Transport zwischen Panama-Stadt und Guna Yala oder ein gutes Boot für die Fahrt zu den Inseln hat – und die richtigen Kontakte in der Stadt. „Der Tourismus bringt Geld, das wir brauchen“, sagt Miroslavia Dick. Doch er führe auch dazu, dass viele die Arbeit auf dem Feld oder in der Fischerei aufgeben. Dick ist besorgt, dass dadurch Wissen und ein Teil der Traditionen verloren gehen. „Es hängt von uns ab. Damit unsere Kultur weiterlebt, müssen wir unsere Jugend einbinden.“
In Isber Yala, wo die Guna der Welt der Weißen noch ein bisschen näher sind, ist das eine noch größere Herausforderung. Doch das Volk der Guna sei ihr gewachsen, glaubt José Davis. Der 83 Jahre alte dürre Mann mit feiner Stimme ist der andere Saila von Gardi Sugdub. Er vertritt die Gemeinde im Kongress der Guna, wo er zu den Initiatoren und Befürwortern der Umsiedlung zählte. Viele Guna von den Inseln würden gerne nach Isber Yala ziehen, sagt Davis, doch man könne keine weiteren aufnehmen im Moment. „Unsere Kultur und unsere Bräuche werden sich nicht verändern wegen der Umsiedlung“, sagt er. Die Guna hätten es immer verstanden, sich anzupassen, und bis heute überlebt.
Auch Davis wohnt heute in einem Neubau aus Backstein und Ziegeldach in Isber Yala. Die meiste Zeit verbringt er jedoch im großen Versammlungshaus, das es auch hier gibt und dessen traditionelle Bauweise im scharfen Kontrast zu den Fertighäusern rundherum steht. Der Bau dient nicht nur politischen, sondern auch spirituellen Zwecken: Der Saila gibt hier mit Gesang die Legenden, Geschichten, Traditionen und Gesetze der Guna weiter. Er soll das Weltwissen des Volkes erhalten. Isber Yala sei kein Bruch mit den Traditionen oder der Geschichte der Guna, sagt Davis. „Unsere Geschichte begann nicht am Meer. Wir kamen von den Flüssen – und kehren jetzt dorthin zurück.“