Wieso ein freiwilliges Gesellschaftsjahr besser wäre

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Über die Verteidigung der Freiheit ist nicht zu sprechen, ohne von denen zu sprechen, die bereit sind, diese Freiheit zu verteidigen!“ – begleitet vom Applaus des Deutschen Bundestages nutzte Bundeskanzler Friedrich Merz seine erste Regierungserklärung, um herauszuheben, welch wertvollen Dienst Soldaten und Soldatinnen für unsere freiheitliche Gesellschaft leisten. Und er versprach, einen neuen, attraktiven freiwilligen Wehrdienst zu schaffen, der die personelle Einsatzbereitschaft der Bun­des­wehr schnell verbessert: „Es gibt viele junge Menschen in unserem Land, die Verantwortung übernehmen wollen für Deutschland, seine Wehrhaftigkeit und Sicherheit. Das wollen und werden wir fördern.“

Seither ist die öffentliche Debatte heftig entbrannt, ob es möglich sei, auf freiwilligem Weg die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu sichern. Von verschiedenen Seiten melden sich Menschen zu Wort, die dem Konzept eines neuen freiwilligen Wehrdienstes jede Erfolgschance absprechen. Das, was im Koalitionsvertrag zu Attraktivität, Sinnhaftigkeit und zu den Qualifikationsmöglichkeiten für Wehrdienstleistende zu lesen ist, wird grundsätzlich in Zweifel gezogen. Es ist in diesen Tagen viel vom schwedischen Modell die Rede, aber es gibt kaum Fürsprecher einer auf Freiwilligkeit basierenden Variante.

Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa auf einem Bild aus dem Mai 2022
Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa auf einem Bild aus dem Mai 2022Ilkay Karakurt

Tatsächlich wird das von Schweden inspirierte Konzept, das Verteidigungsminister Boris Pistorius seit mehr als einem Jahr prüfen und mit konkreten Vorschlägen ausgestalten lässt, kein Selbstläufer. Wer allein die männlichen Schulabgänger anschreibt, um sie auf der Grundlage einer modernisierten Wehrerfassung auf den neuen Wehrdienst hinzuweisen, wird nicht damit rechnen können, dass plötzlich vor den Kasernen junge Männer Schlange stehen.

Daher lohnt der gründlichere Blick auf das, was das schwedische Modell auszeichnet. Es steht für einen breiten Ansatz, um unsere Freiheit zu verteidigen und unsere Sicherheit zu fördern. Es richtet den Fokus nicht auf den Dienst mit der Waffe allein, sondern berücksichtigt, dass es weiterer Dienste bedarf, um als Gesellschaft resilient und verteidigungsbereit zu sein. Auf Deutschland über­tragen heißt das: Der Wehrdienst, der Dienst im Bevölkerungs- und Zivilschutz und das klassische Freiwillige Jahr sind die drei Säulen dessen, was es für eine Zukunft in Frieden und Freiheit braucht. Ihr Dreiklang muss als Akkord verstanden werden, dessen Teile einzeln gespielt die eigentliche Wirkung verfehlen.

Es gibt viele junge Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen – da ist Friedrich Merz unbedingt zuzustimmen: Männer und Frauen, solche mit der Fähigkeit, sich um alte und pflegebedürftige Menschen zu kümmern, und solche, die es wagen, mit dem Fallschirm hinter den tiefen Feindraum verbracht zu werden. Es sind junge Freiwillige, die Keller auspumpen und Dämme befestigen, wenn Flutwellen heranströmen. Viele unterschiedliche Fähigkeiten werden gebraucht, und es ist gut, wenn in einem freiwilligen Gesellschaftsjahr möglichst viele junge Menschen die Chance erhalten, diese Fähigkeiten zu erproben, wenn sie Gemeinschaft erfahren und in den verschiedensten Einsatzstellen den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken, die Demokratie und die Freiheit verteidigen. Je besser die Einsatzstellen zu den Werten und Kernkompetenzen der Freiwilligen passen, umso größer der Nutzen für alle.

Die Zahl derer, die sich für einen freiwilligen Wehrdienst entscheiden, wird nur dann ausreichend schnell steigen, wenn das Konzept des neuen freiwilligen Wehrdienstes als integraler Bestandteil eines freiwilligen Gesellschaftsjahrs für alle gestaltet wird. Es braucht einen Rechtsanspruch auf Förderung jeder Freiwilligenvereinbarung. Es braucht ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld, das für Wehrdienstleistende als Sold nicht höher ist als für Freiwilligendienstleistende im Altenheim. Und es braucht eine auffordernde Einladung und eine Beratung aller Schulabgänger zu den drei Säulen, die das Gesellschaftsjahr tragen. Dem Engagement für die äußere Sicherheit, dem Engagement für die innere und dem für die soziale Sicherheit werden so wahrnehmbar gleiche politische und gesellschaftliche Wertschätzung entgegengebracht – die alten Hierarchien zwischen Wehrdienst und „Ersatzdienst“ werden nicht wiederbelebt.

Die aktuelle Bundesregierung hat es jetzt in der Hand, die Verantwortung der Menschen für dieses Land, für seine Sicherheit und für die gesellschaftliche Krisenfestigkeit entscheidend zu fördern. Die Passagen, die im Koalitionsvertrag 25 Seiten vor den Sätzen zum neuen Wehrdienst stehen, bilden den richtigen Rahmen: „Wir stärken die Freiwilligendienste, stellen die überjährige Finanzierung sicher und bauen die Strukturen und Plätze sukzessive aus.“ Wenn Bundesfamilienministerin Karin Prien und Bundesverteidigungsminister Pistorius sich zusammensetzen und im Bundeshaushalt 2025 die Weichen für eine auskömmliche Finanzierung aller Freiwilligendienste stellen, dann kann für den Schutz unserer Freiheit Freiwilligkeit zur attraktiven Zauberformel werden.

Eva Welskop-Deffaa ist Präsidentin des Deutschen Caritasverbands.