Wieso die Altersvorsorge in Deutschland dringend neue Vorbilder braucht

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Die Altersvorsorge in Deutschland ist dringend reformbedürftig. Das liegt an der gestiegenen Lebenserwartung und am demographischen Wandel, die im kommenden Jahrzehnt besonders starke Wirkung entfalten werden. Dieser Effekt belastet das Umlageverfahren. Der Reformbedarf kommt aber auch zustande, weil die deutsche Politik vor einem Vierteljahrhundert einen ungünstigen Pfad in der eigentlich richtigen ergänzenden Kapitaldeckung eingeschlagen hat.

Doch seit einiger Zeit wird deutlich, dass die Altersvorsorgepolitik längst auf einen neuen, noch viel ungünstigeren Pfad eingeschwenkt ist. Das seit fast zwölf Jahren sozialdemokratisch geführte Bundessozialministerium hat als Vorbild der Renten-, Pensions-, betrieblichen und privaten Altersvorsorge-Politik ausgerechnet Österreich identifiziert. In den Jahren 2004 und 2005 hat das Nachbarland Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung integriert, dem System auf diese Weise neue Beitragszahler zugeführt und sieht aktuell im Hinblick auf finanzielle Stabilität ganz brauchbar aus.

Die Kapitalbildung stärken

Doch weder Wissenschaftler noch die Beratungspraxis würden auf die Idee kommen, Österreich als nachahmenswert für andere Länder zu beschreiben. Das Beratungsunternehmen Mercer untersucht regelmäßig die Qualität der Altersvorsorgesysteme auf der Welt. Seine Kriterien sind Angemessenheit, Nachhaltigkeit und Integrität. Damit ist gemeint, wie viel ausgezahlt wird, wie sicher die Finanzierung und wie vertrauenswürdig das System ist. Deutschland kam zuletzt auf den 20. von 48 Plätzen. Österreich landete im hinteren Drittel auf Rang 40. An der Spitze stehen seit Jahren die Niederlande, Island und Dänemark.

Warum sich deutsche Altersvorsorgepolitik nicht an den Spitzenplätzen orientiert, ist nicht zu verstehen. Die Niederlande erreichen sehr hohe Nettolohnersatzraten durch eine Betriebsrentenpflicht über Pensionsfonds, die in Anleihen und Aktien anlegen. Die skandinavischen Länder bauen auf eine stärkere Finanzierung privater und (wie in Schweden) gesetzlicher Vorsorgebestandteile durch Aktien.

Der Bundeszuschuss für die Rente steigt

Doch die zuständigen Minister vernebeln die Sicht. Bärbel Bas, die neue Sozialministerin, hat als erste öffentliche Debatte ihrer Amtszeit die Einbeziehung von Beamten in die Rentenversicherung angezettelt – wegen der Gerechtigkeit. Wie in Österreich. Ihr Vorgänger Hubertus Heil hat in den sieben Jahren seiner Amtszeit wenig Anstalten gemacht, den Druck der Gewerkschaften gegen chancenreichere Sparpläne in den Betrieben zu brechen, um so die gesetzliche Rente als beste Alternative zu präsentieren.

DSGVO Platzhalter

Derweil steigen der Bundeszuschuss für die Rente aus Steuermitteln und die Beiträge, indem der Nachhaltigkeitsfaktor ausgesetzt wird. Ähnlich wie in Österreich. Die Riester-Reform der Ampelregierung, die von Fachleuten höchstes Lob erhalten hat, versauert nach deren Ende in den Schubladen des Bundesfinanzministeriums. Es ist kaum zu erwarten, dass ein Entwurf der schwarz-roten Koalition noch einmal so marktorientiert gestaltet wird.

Die grundlegend richtige Entscheidung um die Jahrtausendwende, die Kapitalbildung zu stärken, scheiterte leider am Sicherheitsbedürfnis der Deutschen. Trotz Finanzkrise und Corona-Pandemie hätte sich erheblich vom Börsenaufschwung profitieren lassen. Stattdessen finanzierten Versicherer den Rentenmarkt. Dadurch gingen Renditechancen verloren. Das bedeutet geringere Spielräume im Ruhestand.

Ein Blick auf die Vermögensstudien diverser Finanzkonzerne zeigt, welche Konsequenzen das hat. Im jüngsten Vermögensbericht der Bank UBS kommt ein Däne im Median (die Hälfte hat weniger, die andere Hälfte mehr) auf ein Vermögen von 194.000 Euro (Rang sechs), ein Niederländer auf 117.000 Euro (Rang zwölf). Deutsche tauchen in den oberen 25 Plätzen nicht auf. Das ist nicht nur, aber auch eine Folge einer zu sicherheitsorientierten Altersvorsorge, die politisch gewünscht ist.

Deutschland verschenkt viel zu viel Potential. Falsche Vorbilder wie Österreich spielen dabei eine gewichtige Rolle. In der vergangenen Legislaturperiode hatten es Schweden und etwas seltener auch die Niederlande regelmäßig in die Schlagzeilen geschafft. Die Kriterien Vorsorgeniveau, Stabilität und Vertrauen aus der Mercer-Studie sollten auch für die Politik leitend sein. Wer um die vorderen Plätze mitspielen will, sollte sich nicht am hinteren Tabellendrittel orientieren. Ohne mehr Kapitalmarktorientierung wird das Land stärker von der Demographie getroffen sein, als nötig wäre.