Zwar sind die Direktinvestitionen seit Beginn des russischen Angriffskriegs deutlich gesunken, doch stehen die deutschen Unternehmen weiter zur Ukraine. Wie eine der F.A.Z. vorliegende Auswertung von Zahlen der Deutschen Bundesbank durch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) zeigt, sind die Direktinvestitionen um zwei Drittel gesunken.
Im Jahr 2023 beliefen sich diese auf weniger als 1,5 Milliarden Euro, im Jahr 2021, also vor dem russischen Überfall am 24. Februar 2022, waren es noch knapp vier Milliarden Euro. Für das Jahr 2024 liegen noch keine Angaben über die Direktinvestitionen vor, doch der VBW vermutet wegen erster Daten zu Investitionsflüssen einen weiteren Rückgang.
Das lässt sich auch mit dem Einbruch der ukrainischen Wirtschaft im Jahr 2022 erklären: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) reduzierte sich damals um fast 30 Prozent. „Seitdem hat sich die Wirtschaft in der Ukraine stabilisiert – 2023 wuchs das BIP um 5,5 Prozent, 2024 um 2,9 Prozent“, berichtet VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt auf Anfrage der F.A.Z.
Vom Niveau der Vorkriegsjahre sei die ukrainische Wirtschaft jedoch weiterhin weit entfernt. Das Gleiche gelte für den Außenhandel, der im Jahr 2022 ebenfalls dramatisch eingebrochen sei, vor allem aufgrund der russischen Blockade der Schwarzmeerhäfen, und sich seitdem wieder leicht erholt habe.
Erste Stabilisierung
Dass der Wert der deutschen Direktinvestitionsbestände stärker als das BIP zurückgegangen sei, führt Bossardt vor allem auf die dramatisch schlechtere Sicherheitslage zurück. Die Investoren hätten ihre Investitionen neu – und dabei deutlich niedriger – bewerten müssen. Konkrete Desinvestitionen hätten nicht oder nur selten stattgefunden, betont er. Im Jahr 2023 lasse sich eine Stabilisierung der deutschen Direktinvestitionen beobachten.
Zwar sei der Wert der Investitionsbestände gegenüber 2022 noch einmal um 12,7 Prozent gesunken, gleichzeitig habe sich der Umsatz der Betriebe mit deutschen Investoren mit einem Plus von 7,2 Prozent etwas erholen können. „Diese Entwicklung ähnelt der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung in der Ukraine“, sagt Brossardt.
Weniger Umsatz
Erfreulich ist die Treue der deutschen Unternehmen zu dem Land, das schwere Zeiten durchmacht. „Die Anzahl der Unternehmen, an denen deutsche Investoren beteiligt sind, ist über die Jahre nahezu konstant geblieben. Es wurden kaum Betriebe geschlossen oder verkauft“, erklärte er. Wie schwierig die Bedingungen sind, zeigt sich neben dem Investitionsrückgang auch am Umsatz und an der Beschäftigung. Nach der VBW-Auswertung ging die Beschäftigung in Unternehmen mit deutscher Beteiligung zwischen 2021 und 2023 um rund 19 Prozent auf 61.000 Beschäftigte zurück.
Im gleichen Zeitraum sank der Umsatz dieser Unternehmen um mehr als 40 Prozent auf 5,2 Milliarden Euro. „Dass es nicht deutlich mehr Geschäftsaufgaben beziehungsweise Beteiligungsbeendigungen gegeben hat, ist dem Durchhaltevermögen der deutschen Unternehmen zu verdanken“, hebt Brossardt hervor. Seinen Worten zufolge halten die deutschen Unternehmen am Standort Ukraine fest. Für ihn muss die Souveränität der Ukraine erhalten bleiben.
Rüstungsgüter auf Rekordhoch
Zwischen 2021 und 2024 hat sich der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands mit der Ukraine in ein Defizit gedreht. Vor dem russischen Überfall waren es plus 3,6 Milliarden Euro, 2024 minus 791 Millionen Euro. Doch hat sich das Leistungsbilanzdefizit gegenüber den beiden Vorjahren deutlich reduziert. Im Jahr 2022 waren es noch minus 3,2 Milliarden Euro und 2023 minus 2,3 Milliarden Euro.
Im Zuge des russischen Angriffskriegs sind die Primäreinkommen Deutschlands aus der Ukraine, also die grenzüberschreitend gezahlten Arbeitsentgelte und Einkommen aus Vermögensanlagen, gesunken und gleichzeitig die Sekundäreinkommen aus Deutschland in die Ukraine gestiegen. Dazu zählen zum einen die Hilfsleistungen Deutschlands, zum anderen die Rücküberweisungen der nach Deutschland geflüchteten Ukrainer in ihre Heimat.
Insbesondere der Export von Hilfs- und Rüstungsgütern in die Ukraine hat ein Rekordhoch erreicht. So erhöhte sich der Überschuss beim Warenhandel auf 6,1 Milliarden Euro. Ein Großteil des Anstiegs ist laut Statistik auf „Sonstige Waren“ sowie auf „Sonstige Fahrzeuge“ zurückzuführen. Der VBW geht davon aus, dass viele Rüstungsgüter den beiden Wirtschaftszweigen zuzuordnen sind. So ist der Export von „Sonstigen Fahrzeugen“ zwischen 2019 uns 2024 um 1404 Prozent nach oben gesprungen, bei „Sonstigen Waren“ legten die Ausfuhren um 1677 Prozent zu.