„Wir können dem Magnetfeld quasi beim Entstehen zusehen“

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Herr Hirzberger, der Solar Orbiter von ESA und NASA hat vor vier Jahren die Erde verlassen. Sie sind hauptverantwortlich für die Beobachtungen mit einem der Instrumente an Bord, den Polaritmetric and Helioseismic Imager, kurz SO/PHI. Der hat jetzt die ersten Bilder vom Südpol unseres Heimatsterns gemacht. Warum sollte man sich überhaupt den Südpol der Sonne anschauen?

Die Sonne ist ein magnetisches Objekt, von dem wir wissen, dass es einen Zyklus durchläuft, ungefähr alle elf Jahre kehren sich die Pole um. Man spricht auch vom sogenannten Sonnendynamo: Im Inneren der Sonne gibt es elektrisch geladene Teilchen, die sich durch Rotation und Konvektion bewegen und so das Magnetfeld erzeugen. Den Prozess dahinter verstehen wir schon recht gut. Aber viele Details sind noch unbekannt und wir vermuten, dass diese Details in den Polen der Sonne verborgen liegen.

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Geht es hier vor allem um Erkenntnisfragen, oder verspricht man sich auch einen pragmatischen Nutzen von der Forschung?

Das Magnetfeld der Sonne genauer zu verstehen, ist allein schon deshalb wichtig, weil auch die gesamte Sonnenaktivität in irgendeiner Form mit dem Magnetfeld zusammenhängt. Dazu zählen auch Sonnenstürme, die unmittelbare Auswirkungen auf die Erde haben können. Sonnenstürme beziehungsweise daraus resultierende Teilchenwolken, die Richtung Erde geschleudert werden, erzeugen nicht nur die Polarlichter bei uns. Sie können auch Satelliten zerstören, oder, wie es schon einmal in Kanada vorgefallen ist, sogar Transformator-Stationen außer Gefecht setzen. Die Forschung in diesem Bereich kann eventuell einen Beitrag dazu leisten, solche Ereignisse besser vorherzusehen.

Warum hat man nicht schon früher einen Blick auf die Sonnenpole geworfen?

Die Erde bewegt sich auf einer flachen Bahn um die Sonne, von der aus man die Pole nicht direkt beobachten kann. Für Satelliten ist es schwer, aus dieser Bahn herauszukommen, dafür braucht es extrem viel Energie. Normalerweise nutzt man dafür die Anziehungskraft eines anderen Planeten. Vor mehr als 20 Jahren hat es eine Mission gegeben, Ulysses, die genau das gemacht hat. Die ist Richtung Jupiter geflogen, der schwerste Planet in unserem Sonnensystem, und so aus der Erdbahn herausgeschleudert worden. Ulysses war die erste Mission, die über die Sonnenpole geflogen ist. Allerdings war es zu dieser Zeit technisch nicht möglich, Kameras mitfliegen zu lassen. Es gab also Messungen von Teilchenströmen, aber keine Bilder oder sogar Magnetfeldkarte, wie das jetzt der Fall ist. Im Gegensatz zu Ulysses hat der Solar Orbiter die Anziehungskraft der Venus genutzt, um aus der Erdbahn zu gelangen.

Die Bildertafel zeigt Aufnahmen des Südpols der Sonne durch verschiedene Messinstrumente an Bord der Solar Orbiter.
Die Bildertafel zeigt Aufnahmen des Südpols der Sonne durch verschiedene Messinstrumente an Bord der Solar Orbiter.ESA

Die Aufnahmen scheinen sich für einen Laien erst einmal nicht groß von anderen Sonnenbildern zu unterscheiden. Was sehen Sie darauf?

Wir sehen, dass wir nichts sehen – die Bilder sind extrem langweilig. Das gilt sowohl für die Bildaufnahmen als auch für die Magnetfeldkarten. Es gibt keine beeindruckenden Bilder zum Beispiel von Ausbrüchen, wie man sie von anderen Aufnahmen der Sonne kennt. Aber genau das ist eigentlich schon das Spannende. Wir befinden uns gerade in der Mitte des Sonnenzyklus. Normalerweise hat der Pol eine dominierende Feldstärke, aber aktuell zeigen die Magnetfeldkarten ein uneinheitliches Bild, beide Feldstärken sind mehr oder weniger gemischt. Das heißt, dass jetzt genau der Zeitpunkt ist, an dem sich das Magnetfeld umpolt. Richtig turbulent geht es momentan am Sonnenäquator zu, da lassen sich zahlreiche Sonnenflecken, Ausbrüche und dergleichen beobachten. An den Polen ist es ganz ruhig. Aber für uns ist das genau der richtige Zeitpunkt, denn jetzt wir können dem Magnetfeld quasi beim Entstehen zusehen.

Aktuell läuft die Auswertung der Daten. Lassen sich jetzt schon irgendwelche Schlüsse ziehen?

Wirklich belastbare Ergebnisse gibt es natürlich noch nicht. Aber wir konnten bereits eine interessante Beobachtung zur der Rotationsgeschwindigkeit der Sonne machen. Es ist schon lange bekannt, dass sich die Sonne in Äquatornähe in 27 Tagen einmal um sich selbst dreht. An den Polen scheint das nicht zu gelten, unsere Aufnahmen deuten darauf hin, dass die Rotationsgeschwindigkeit hier stark abnimmt, an den Polen selbst sehen wir sogar fast gar keine Bewegung mehr. Wir müssen noch prüfen, ob das tatsächlich der Fall ist, oder ob es sich hier um geometrische Projektionseffekte handelt. Aber interessant ist das schon, weil auch die Sonnenrotation unmittelbar mit dem Magnetfeld der Sonne zusammenhängt. Das heißt, wenn sich unsere Beobachtungen bestätigen, müssten die Parameter für die Modellrechnungen des Sonnendynamo und des Aktivitätszyklus’ der Sonne stark verändert werden.

Johann Hirzberger ist Astrophysiker am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und hauptverantwortlich für die Beobachtungen mit dem Polaritmetric and Helioseismic Imager (PHI), der an Bord des Solar Orbiter Aufnahmen von der Sonne macht.