Regierung in Polen: Tusk übersteht Vertrauensfrage

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„Ich kenne den Geschmack des Sieges, ich kenne die Bitterkeit der Niederlage, aber das Wort Kapitulation kenne ich nicht“, rief Polens Regierungschef Donald Tusk am Mittwoch im Sejm. „Lasst uns weitermachen!“ Zugleich bat er das polnische Parlament, ihm und seiner Regierung das Vertrauen auszusprechen. Seiner Bitte entsprach eine Mehrheit der Abgeordneten am späten Nachmittag. Für Tusk stimmten 243 der 453 anwesenden Parlamentarier, 210 stimmten dagegen. Damit erhielt er eine Stimme mehr, als seine Koalition Abgeordnete hat. 

Tusk hatte die Abstimmung nach dem Sieg des rechtskonservativen Kandidaten in der Präsidentschaftswahl, Karol Nawrocki, angesetzt. Er wollte damit seine Position festigen. Zuvor waren in einer heftigen Debatte sowohl Unterstützung als auch heftige Kritik an der seit Ende 2023 regierenden Koalition deutlich geworden.

Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zeigte am Mittwoch für alle sichtbar, dass sie Tusk nicht mehr viel Zeit gibt. Ihre Reihen im Sejm blieben leer bei seiner Rede, die nicht nur der Verteidigung der Regierung, sondern auch der Zukunft des Landes gewidmet war. Ein PiS-Abgeordneter bezeichnete Tusk als „pathologischen Lügner“, der bezogen auf Reparationen „vor zwei deutschen Kanzlern bedingungslos kapitulierte“ und „eine Schande für Polen“ sei.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk spricht vor der Vertrauensabstimmung im Parlament. Die Sitze der Abgeordneten der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sind leer.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk spricht vor der Vertrauensabstimmung im Parlament. Die Sitze der Abgeordneten der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sind leer.AFP

Tusk in Kämpferlaune

Beflügelt durch den Wahlsieg in der Präsidentenwahl hatte PiS-Chef Jarosław Kaczyński bereits zuvor erklärt, dass er nichts anderes als einen Rücktritt Tusks zu akzeptieren bereit sei und ihm anderenfalls das Regieren so schwer machen werde, dass diese Koalition noch vor den regulären Parlamentswahlen im Herbst 2027 aufgeben werde. Auch Sławomir Mentzen, Chef der rechtsextrem-libertären Partei Konfederacja erklärte, „der schnellstmögliche Kollaps dieser Regierung“ sei im größten Interesse Polens. 

Tusk jedoch zeigte sich in Kämpferlaune, warb vehement für seine Regierung und zählte Erfolge auf. Polen erwarte mit 3,7 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr so viel wie kein anderes Land in Europa. Die Inflation sei auf gut vier Prozent gefallen, während sie zu PiS-Zeiten noch viermal höher gewesen sei. Die Arbeitslosigkeit sei eine der geringsten in der Europäischen Union, die Gaspreise seien gesunken, während die Reallöhne heute um zehn Prozent höher lägen. Auch das sei „der größte Anstieg in Europa“.

Sodann beschrieb Tusk das „schwere Erbe“ der PiS, die Polens Justizsystem politisiert hatte, und versprach abermals, die Unabhängigkeit der Justiz im Land wiederherzustellen. Wie er das allerdings ohne die Mitwirkung des Präsidenten bewältigen will, der entsprechende Gesetze unterzeichnen muss, erklärte er nicht. In der vergangenen Woche hatte er von einem „Notfallplan“ gesprochen, doch blieb er nähere Erläuterungen auch am Mittwoch schuldig. 

Tusk will Kabinett umbilden

Stattdessen rief Tusk seine Koalition, die aus seiner liberal-konservativen KO, dem Zentrumsbündnis Dritter Weg und der Linken besteht, dazu auf, jetzt zu handeln. Es gelte, die wahlfreie Zeit bis 2027 zu nutzen. „Wir stehen vor zweieinhalb Jahren schwerer, ernster Arbeit unter Bedingungen, die nicht besser werden.“

Er kündigte an, im Juli sein Kabinett umzubilden und dabei nicht nur Minister neu zu besetzen, sondern Strukturen zu verändern. Zudem soll künftig ein Regierungssprecher dafür sorgen, dass die Polen erfahren, welche Aufgaben die Regierung bewältigt hat. Und nicht zuletzt forderte Tusk mehr Teamarbeit ein. „Ich werde keine Streitigkeiten tolerieren, die in öffentliche Auseinandersetzungen umschlagen“, sagte er.

Man habe „gestern in Helsinki gesehen“, wie so etwas ende, sagte er mit Blick auf die Niederlage Polens in der WM-Qualifikation gegen Finnland und das öffentliche Zerwürfnis zwischen Polens Fußballnationaltrainer und dem entmachteten Kapitän Robert Lewandowski.

Tusks Regierung hatte bei den Präsidentschaftswahlen auf einen Sieg „ihres“ Kandidaten Rafał Trzaskowski und damit ein einfacheres Regieren gehofft und auch deshalb wichtige Wahlversprechen bisher nicht oder nur halbherzig eingelöst. Doch vor allem Wähler, die Tusk 2023 zum Sieg verholfen hatten, waren diesmal daheimgeblieben, was dem Bewerber der PiS, Karol Nawrocki, mit 1,8 Prozentpunkten oder knapp 370.000 Stimmen Vorsprung den Weg in den Präsidentenpalast ebnete.

Tusk muss sich auf Gegenwind einstellen

Mit ihm dürfte es für die Regierungskoalition künftig noch schwieriger werden, denn Nawrocki ist ein erklärter Gegner Tusks. „Der Ministerpräsident muss sich darauf einstellen, dass er starken Widerstand aus dem Präsidentenpalast bekommt“, hatte Nawrocki in einem Interview nach seiner Wahl angekündigt. Tusk bezeichnete er als „schlechtesten Regierungschef seit 1989“ und empfahl der Koalition, sie solle diesen „lieber auswechseln“. 

Der so offensiv vorgetragene Wunsch des Gegners einte am Mittwoch die Reihen der Regierung. Doch hatte es nach Trzaskowskis Niederlage auch dort harsche Kritik an Tusk gegeben. Ein Abgeordneter der christlich-konservativen Polnischen Volkspartei, die Teil der Regierung ist, erklärte gar öffentlich, dass Tusk der falsche Regierungschef sei. Und Parlamentspräsident Szymon Hołownia von der Zentrumspartei Polska 2050 forderte, den Koalitionsvertrag neu zu verhandeln und konkrete Vorhaben zu verwirklichen.

Dazu zählen etwa ein Gesetz gegen die Nutzung von Smartphones in Grundschulen, die Neuaufstellung der Wohnungsbauförderung und ein Mediengesetz, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirksam vor politischer Einflussnahme schützt. 

„Wir müssen nicht nur zeigen, dass wir besser sind als die PiS, sondern was wir konkret für die Menschen in Polen besser machen“, sagte Hołownia. Die Polen sind im Hinblick auf eine Fortsetzung der Regierung gespalten. In einer Umfrage für das Portal Wirtualna Polska plädierten am Mittwoch 44,8 Prozent der Befragten für einen Rücktritt Tusks, während 43,3 Prozent dagegen waren.