Muss die SPD das aushalten?

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Das „Manifest“ der SPD-Friedenspolitiker lässt die Partei über grundlegende Fragen diskutieren: Wie umgehen mit Russland? Was muss eine Volkspartei aushalten? Und ist dem eigenen Parteivorsitzenden zu trauen? Zwar hat sich niemand Bedeutendes mit Amt auf die Seite der Autoren gestellt. Gerade einmal fünf Bundestagsabgeordnete gehören zu den Erstunterzeichnern, obwohl das Papier mehrere Tage in den Reihen zirkulierte.

Doch werden in dem vierseitigen Papier Themen angesprochen, die für viele in der SPD, vor allem auf Funktionärsebene, anschlussfähig sein dürften. Und auch in der Fraktion hatte es in der Vergangenheit Unmut gegeben, als nach der Verkündung vom damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in Deutschland keine Debatte im Bundestag angesetzt worden war, sondern die Genossen das Thema für sich verdauen mussten.

Zu denen, die die spärliche Kommunikation von Scholz in der Frage kritisch sahen, gehört Lars Klingbeil. Gleichzeitig teilt Klingbeil die meisten der in dem Papier geäußerten Unterstellungen, historischen Ableitungen und Forderungen nicht. Der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler bringt beide Überlegungen auf den Nenner: So was muss die Volkspartei SPD aushalten. Nach dem Motto: Wäre es besser, wenn die Stegners und Mützenichs dieser Welt Mitglied des BSW wären, deren Vorsitzende das Papier ausdrücklich lobte?

Pistorius: „Dieses Papier ist Realitätsverweigerung“

Deutlicher wurde der Verteidigungsminister. „Dieses Papier ist Realitätsverweigerung“, sagte Boris Pistorius, SPD-Mitglied, der Deutschen Presse-Agentur. Pistorius teilt mit den Autoren des Papiers den Wunsch nach Frieden. Nur sei es Putin, der alle Angebote aus der Ukraine nach einem bedingungslosen Waffenstillstand als Beginn eines Friedensprozesses ausschlage. Das Papier missbrauche deswegen den Wunsch der Bürger nach einem Ende des Krieges, sagte Pistorius.

Rolf Mützenich (SPD) verteidigte am Donnerstag den Vorstoß. In dem Papier stehe nichts Anrüchiges, sagte der Erstunterzeichner der „Süddeutschen Zeitung“. Stattdessen beobachte er eine „Diskussionsfaulheit“ in der SPD. Tatsächlich finden sich in dem „Manifest“ viele bekannte Positionen der Friedensbewegten. Gerade deswegen muss die Veröffentlichung des Papiers zwei Wochen vor dem Bundesparteitag nicht nur als Angriff auf die Neupositionierung der SPD in der Russlandfrage von 2023 gelten. Es ist vor allem ein Angriff auf die Personen, die diesen Kurs vertreten: Klingbeil und Pistorius.

In deren Umfeld werden den Autoren des Papiers bestimmte Sätze besonders vorgeworfen. Etwa der, wonach „die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen“ verknüpft werden müsse mit den „berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität“. Oder auch der, wonach auch der Westen zur Eskalation der Weltlage beigetragen habe – etwa als die NATO Serbien 1999 angegriffen habe. Nicht erwähnt werden die Beweggründe der NATO, wonach die jugoslawische Regierung von ethnischen Säuberungen im Kosovo abgehalten werden sollte.

Ein mäßiges Ergebnis bei der Wiederwahl zum Parteivorsitzenden ist schon eingepreist

Klingbeil hatte seiner Partei 2023 einen Paradigmenwechsel in der Russland- und Aufrüstungsfrage verordnet. Er ist auch Beschlusslage. Aber das wird die SPD-Delegierten nicht daran hindern, auf dem Parteitag über das Thema zu streiten. Klingbeil wird dann vermutlich wiederholen, was er am Mittwochabend in einem Instagram-Gespräch mit Kevin Kühnert schon sagte: Es gebe keine Kehrtwende in der Ukrainepolitik, Diplomatie und Verteidigungsfähigkeit seien zwei Seiten einer Medaille. Gleichzeitig dürfe der Raum für Debatten in der SPD nicht enger werden. Denn dass der neue sicherheitspolitische Kurs von oben verordnet worden ist und sich viele Mitglieder darüber ärgern, weiß Klingbeil natürlich auch.

Ein mäßiges bis schlechtes Ergebnis bei der Wiederwahl zum Parteivorsitzenden auf dem Parteitag hat man im Team Klingbeil schon eingepreist. Man hatte es quasi schon abgehakt, weil es in eindeutiger Verbindung stehen dürfte mit dem machtvollen Durchregieren des Parteichefs, bei dem einige verdiente Genossen am Wegesrand zurückblieben. Nach der Veröffentlichung des „Manifests“ kommt eine inhaltliche Kritik dazu, die an Klingbeils Person festgemacht werden wird. Der Parteichef wird künftig wohl deutlich mehr Zeit damit verbringen müssen, als Integrationsfigur alle Parteiauswölbungen bei der Stange zu halten. Es ist die Voraussetzung für Klingbeils Ziel: Die SPD stärken und selbst Kanzlerkandidat werden.

Gut für ihn, dass das „Manifest“ die Regierungsarbeit bislang nicht zu belasten scheint. Die Union hat beschlossen, das Papier zu ignorieren. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagte, er setze darauf, dass die Einigkeit in der Regierung bezüglich der Unterstützung der Ukraine bestehen bleibe.