In klassisch-liberaler Perspektive war das Strafrecht immer auf einen Kernbereich von Rechtsgüterschutz beschränkt. Allen Ausweitungen wurde mit gut begründetem Misstrauen begegnet. Denn es ist das schärfste Schwert in der Hand des Staates. Kriminalisierungen und Sanktionen mussten entsprechend gut begründet sein, sie verbanden sich stets auch mit wechselnden Vorstellungen darüber, was die Gesellschaft besonders schützen muss. Schon seit einigen Jahrzehnten hat hier eine Ausweitung in Form des Umweltstrafrechts stattgefunden.
Kann das Strafrecht aber noch ganz anders? Diese Frage stand an der Frankfurter Goethe-Universität jetzt im Zentrum eines Vortrags ihres Strafrechtlers Christoph Burchard mit dem griffigen Titel „Planetary Crime“. Darin bildet sich eine Aufmerksamkeitsverschiebung zugunsten neuer, im Einzelnen noch zu identifizierender Rechtsgüter ab, da Lebensgrundlagen des Menschen nachweislich gefährdet sind. Klimawandel, Biodiversitätsverlust und anderes sind als Polykrise vernetzt und geben deswegen Anstöße, ganz neu über gesellschaftliche Verantwortung und die Gestaltung der Zukunft nachzudenken.
Arbeitsteilig verursachte Schäden
Die Schwäche des traditionellen Umweltstrafrechts war und bleibt die fehlende Passgenauigkeit. Denn das Strafrecht sucht nach individueller Zurechnung von Verantwortung, und die kollektiv oder sehr arbeitsteilig verursachten Umweltschäden schon vergangener Jahrzehnte passten nicht in dieses Raster. Entsprechend wurde die Verrechtlichung, die sich hier vollzog, schon in den Achtzigerjahren als „symbolisches Strafrecht“ gebrandmarkt. Es gab wenig Anwendungsfälle, was darauf hindeutet, dass es eher um eine beschwichtigende politische Kommunikation des nationalen Gesetzgebers ging: Wir kümmern uns drum!
Längst ist aber klar, dass die derzeitigen Herausforderungen globale oder noch moderner gesprochen „planetare“ Dimension haben. Sie werfen die Frage auf, ob wir überhaupt noch handlungsfähig sind oder das Politische als solches in eine Krise geraten ist. Der aufsehenerregende Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 setzte hier an: Wenn künftige Generationen überhaupt noch Entscheidungsspielraum haben sollen, muss unter Geltung des Grundgesetzes jetzt gehandelt werden. Übrigens wird die damals zuständige Berichterstatterin im Ersten Senat, Gabriele Britz, die seit dem Sommersemester 2024 in Frankfurt lehrt, am 12. Juni die nächste Vortragende in der Reihe sein.

Diese Verengung von Handlungsspielräumen griff auch Burchard in seiner strafrechtlichen Analyse auf: Umweltzerstörung mag ein Verbrechen sein, aber ab einem bestimmten historischen Punkt ist das Schutzobjekt womöglich schon so stark zerstört, dass Wiedergutmachung ausgeschlossen ist. Deswegen muss man sich jetzt schon Gedanken über alternative Funktionslogiken des Strafrechts machen. In Anknüpfung an Burchard könnte man überlegen, ob sich hier nicht eine Parallele zur Ausweitung des Völkerstrafrechts durch das Weltrechtsprinzip abzeichnet. Wie das deutsche Strafrecht in Fällen von extremem Unrecht wie Genozid auch jenseits der eigenen nationalen Grenzen zuständig ist, so könnte jetzt eine Erweiterung in temporaler Dimension anstehen: Zum Raum wird hier die Zeit. Es ist der fundierte Alarmismus der Naturwissenschaften, wonach es einen „Tipping Point“ geben kann, der auch traditionell konservative juristische Disziplinen wie das Strafrecht welthellsichtig macht.

Für das Strafrecht sind solche interdisziplinären Einsichten potentiell erschütternd: Burchard nannte als Beispiele den Übergang zu einem ökozentrischen Weltbild, die Frage nach dem konkreten Schutzobjekt und dem Mensch-Natur-Verhältnis. Auch andere Vorverständnisse geraten ins Wanken: Unter anthropozänen Voraussetzungen fällt womöglich jetzt die Unterlassensverantwortlichkeit schwerer ins Gewicht als im klassischen Strafrecht, welches primär an aktivem Handeln anknüpft. Und welche Rolle spielen überhaupt die verschiedenen Akteure, beispielsweise auch wir Verbraucher, die wir über den Konsum von Fleisch oder Sojamilch zu solcher Zerstörung beitragen? Es hatte schon früher einen kolonialen Beigeschmack, mit dem Zeigefinger auf Regenwaldzerstörung zu deuten, während man sich im globalen Norden auf seinem Wohlstandsniveau gut eingerichtet hat.
Der Vortrag von Burchard fand im Kontext einer Ausstellung im Museum Giersch der Goethe-Universität statt: „Fixing Futures. Planetare Zukünfte zwischen Spekulation und Kontrolle“ soll durch den Haupttitel-Plural daran erinnern, dass wir immer noch die Wahl haben. Im oberen Stockwerk konnten sich die Besucher darüber informieren und auch ihre eigene Meinung dazu auf Post-it-Wänden deponieren. Das wurde gut genutzt. Rechtsphilosophische Frage an die Ausstellungsbesucher: „Sollen Tiere, Pflanzen und Ökosysteme vergleichbare Rechte wie der Mensch haben?“ Eine besorgte Besucherin antwortete mit einer pragmatischen Grenzziehung: „Motten nicht an Miu Miu“.