Der Pfingstsonntag war für Michael Sen ein besonderer Tag. Da nämlich war der Vorstandsvorsitzende des Gesundheitskonzerns Fresenius Zuschauer des Endspiels bei den French Open, einem der vier wichtigsten Tennisturniere der Welt. Sen, der schon seit seiner Kindheit großer Tennisfan ist, sah ein knappes Spiel, bei dem der eine, der Italiener Jannik Sinner, im dritten von möglichen fünf Sätzen drei Matchbälle hatte und wie der sichere Sieger aussah. Dass am Ende der andere, der Spanier Carlos Alcaraz, das Spiel und damit das zweiwöchige Turnier gewann, war für Tennisfreunde wie Sen mal wieder ein Beleg, dass man im Sport, speziell im Tennis, immer weiter kämpfen müsse.
Nun ist der Chef des Bad Homburger Dax-Konzerns an sich kein Freund davon, Analogien aus dem Sport zu häufig auf das Berufsleben zu übertragen. Und doch berichtete der 1968 in Nordrhein-Westfalen geborene Manager, dass die Rückkehr von Alcaraz in das Match und sein Triumph nach mehr als fünf Stunden Spielzeit ihm vor Augen geführt habe, „dass Aufgeben nie eine Option ist“, wie er diese Woche bei den Wirtschaftsgesprächen am Main sagte, einer Veranstaltung der Wirtschaftsinitiative Frankfurt/Rhein-Main in Zusammenarbeit mit dem Hotel Steigenberger Frankfurter Hof und der F.A.Z.
Das gelte auch für Fresenius, ein Unternehmen, das in 80 Ländern weltweit 176.000 Beschäftigte hat. Vor zweieinhalb Jahren habe der Konzern „auf der Intensivstation“ gelegen, sagte Sen im Gespräch mit F.A.Z.-Herausgeber Carsten Knop. So habe es fünf Gewinnwarnungen in Folge gegeben, der Aktienkurs sei in den Keller gerauscht, die Schuldenlast hoch, die Motivation niedrig, die Richtung unklar gewesen. Die Aussichten auf Erfolg dürften damals also für Sen, der im April 2021 zu Fresenius kam und im Oktober 2022 auf den Chefsessel wechselte, ähnlich schwierig gewesen sein wie für Carlos Alcaraz beim Finale in Paris.
Fresenius: Runter von der Intensivstation
Doch Alcaraz wehrte die drei Matchbälle ab und behielt in einem mehr als fünf Stunden dauernden Match die Oberhand. Man brauche Geduld und Durchhaltevermögen, aber auch den Willen und Glauben, bestehen zu können, das ist die Botschaft, die Sen vermitteln will. Seit den Tagen auf der Intensivstation befindet sich der hessische Konzern in einem Transformationsprozess, der noch nicht abgeschlossen ist. In den vergangenen Jahren hat Sen bei Fresenius die Komplexität reduziert, das Portfolio bereinigt, sich auf sechs Geschäftsfelder fokussiert. So will er den Konzern anpassungsfähiger machen. Die neue Strategie trägt offenbar Früchte: 2024 stieg der operative Gewinn um zehn Prozent auf 2,5 Milliarden Euro.
Sen weiß, dass der Wandel einer Organisation wie Fresenius die Belegschaft Kraft kostet. Doch sieht er, wie zuletzt bei den jungen Tennisspielern in Paris, bei den Beschäftigten durchaus Leistungsbereitschaft – auch bei den jüngeren, von denen oft behauptet werde, ihnen fehle der Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen.
Fresenius hat eine Milliarde Euro in den USA investiert
Wichtig ist Sen, dass Fresenius künftig mit klarer Ausrichtung resilienter wird, also schneller auf Krisen reagieren kann. Schließlich hätten zuletzt erst wieder die Ankündigungen der US-Administration gezeigt, wie schnell sich die Grundlagen des Wirtschaftens veränderten. Mit Blick auf die US-Zollpolitik jedoch zeigte sich der Vorstandschef gelassen. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Generikaherstellern, mit denen Fresenius im Wettbewerb steht, verfolge sein Unternehmen einen lokalen Ansatz, ein Großteil der Produkte für den amerikanischen Markt werde also dort produziert. Zudem habe man in den vergangenen vier Jahren rund eine Milliarde Euro in den USA investiert, diese Argumente seien Pluspunkte im Dialog mit der US-Administration.
Doch gerade mit Blick auf die derzeitigen Handelskonflikte mahnt der Fresenius-Chef, sich auch in Europa bei der Medikamentenversorgung möglichst unabhängig zu machen. Die meisten Wirkstoffe, etwa für Antibiotika, würden in China und Indien produziert. Die Macht, die sich aus der Kontrolle über die Herstellung von Stoffen für wichtige Medikamente ableite, sei größer als so manche Waffe. In Deutschland werde die Verfügbarkeit von Medikamenten und anderen wichtigen Stoffen häufig als Selbstverständlichkeit betrachtet. Dabei seien zum Beispiel die Margen bei Infusionslösungen, die Fresenius im hessischen Friedberg produziert, äußerst gering.

„Aber ohne diese Lösungen gibt es keine OPs“, warnte Sen. Im Herbst habe Fresenius, nachdem in den USA Wirbelstürme beim Konkurrenten Baxter dessen Produktion teilweise lahmgelegt habe, die Produktion von Infusionslösungen erhöht und vor Ort ausgeholfen.
Fresenius setzt auf KI – aber vor allem in Spanien
Neben der Resilienz sieht Sen ein weiteres Thema auf die Gesundheitswirtschaft zurollen: Den Mangel an Arbeitskräften. Schon bald, glaubt Sen, werde Künstliche Intelligenz dafür sorgen, Ärzte und Pflegepersonal von aufwendigen Dokumentationspflichten zu entlasten. In der Klinikkette Quironsalud etwa, die Fresenius in Spanien besitzt, sei die Digitalisierung schon weiter fortgeschritten als in Deutschland. Dort zeige der Konzern, wie viel mithilfe von KI möglich sei. Allerdings dürfe man die Möglichkeiten neuer Technologien auch nicht überschätzen. Dass Pflegepersonal durch Roboter ersetzt werde, davon sei man noch weit entfernt, meint er. Vermutlich ähnlich weit wie von tennisspielenden Robotern.
Die „Wirtschaftsgespräche am Main“ sind eine Veranstaltung des Hotels Steigenberger Frankfurter Hof, der Wirtschaftsinitiative Frankfurt/Rhein-Main und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung