Wie die Bundeswehr den Flughafen Rzeszów schützt

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Zur Mittagszeit geht es in dem weißen, zentral gelegenen Container zu wie in einem Bienenschwarm. „Mahlzeit!“, rufen sich die ein- und ausgehenden Soldaten zu, während einige von ihnen kurz im Vorraum verweilen, um einen Kaffee, eine Flasche Wasser oder einen Schokoriegel zu kaufen. Hinter dem Tresen steht Christoph, 19 Jahre alt, aus Lüneburg und freiwillig Wehrdienstleistender. Er versucht sich mit der neuen Umgebung vertraut zu machen. Erst vor wenigen Tagen ist Christoph, der wie auch andere Soldaten nur mit Vornamen genannt werden will, mit seinen Bundeswehrkameraden am Flughafen Rzeszów angekommen. „Ich habe mich freiwillig gemeldet“, erzählt er, während er Snacks über den Tresen reicht. „Ich will wissen, ob der Beruf was für mich ist, und da gibt’s doch nix Besseres, als mal mitzufahren mit der Truppe.“

Christophs Truppe heißt Flugabwehrraketengruppe 26 und besteht aus gut 180 Männern und Frauen. Die Soldaten haben ihren Einsatzort verlegt. Sie fuhren innerhalb von zwei Tagen mit 70 Lastkraftwagen und 30 kleineren Fahrzeugen von Husum in Schleswig-Holstein nach Rzeszów im Südosten Polens. Die Strecke ist rund 1200 Kilometer lang. Der Flughafen liegt nördlich der 200.000-Einwohner-Stadt. Im Zentrum der Stadt steht ein Wolkenkratzer. Es ist das höchste Wohngebäude Polens und vom Einsatzort aus gut zu sehen. Dahinter erheben sich am Horizont die Ausläufer der Karpaten. Die Grenze zur Ukraine ist nur rund 80 Kilometer Luftlinie entfernt.

Wiederholt unterbricht Lärm startender oder landender Flugzeuge die Gespräche. Seit Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine im Februar 2022 ist der Regionalflughafen zum Knotenpunkt für Ausrüstung, Munition und Hilfsgüter, aber auch für Soldaten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Politiker geworden. Sie landen hier, um dann auf dem Landweg in die Ukraine zu gelangen. Umgekehrt fliegen ukrainische Politiker ab hier in alle Welt und ukrainische Soldaten zu Trainings bei westlichen Verbündeten. Als Friedrich Merz am Wochenende nach seiner Wahl zum Bundeskanzler nach Kiew reiste, landete auch er in Rzeszów.

Die gen Himmel gerichteten Rampen sind schon von Weitem zu sehen

„Der Flughafen ist heute ein Hauptumschlagplatz“, sagt Oberstleutnant Bastian Matz. Er ist 48 Jahre alt und Kommandeur der Flugabwehrraketengruppe. „90 Prozent der Hilfsleistungen für die Ukraine gehen über Rzeszów.“ Daraus ergibt sich der Auftrag für ihn und seine Soldaten: den Flughafen vor Luftangriffen zu schützen. Dafür haben sie hier zwei Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot im Einsatz, die nördlich und südlich der Landebahn stationiert sind. Jedes System verfügt über ein Radar, einen Stromgenerator und einen Feuerleitstand sowie je sechs mobile Startgeräte. Die sind mit ihren gen Himmel gerichteten Rampen schon von Weitem zu sehen.

Anfang des Jahres hat die Bundeswehr die Mission von den USA übernommen. Vor den Soldaten aus Husum war die Flugabwehrraketengruppe 24 aus Bad Sülze in Mecklenburg-Vorpommern hier verantwortlich. Ihr Kommandeur, Oberstleutnant Stephan Kliefoth, ist noch zur Übergabe geblieben. „Wir haben uns mit den Amerikanern abgestimmt und sie ersetzt“, sagt der Siebenundvierzigjährige. Die USA hätten sich nicht aus Ostmitteleuropa zurückgezogen, sondern ihre Truppen – geplant – an andere Standorte in Polen verlegt.

Der Einsatz hier diene nicht der Sicherung des ukrainischen Luftraums, stellt Kliefoth klar. „Wir sehen zwar, was in der Ukraine alles passiert, aber wir reagieren nicht darauf“, sagt er. „Wir schützen hier ausschließlich NATO-Territorium.“ Die drei Einsatzziele umreißt Kliefoth so: Es gehe darum, für die Ukraine lebenswichtige Infrastruktur zu schützen, einen wirksamen Beitrag der NATO zur Abschreckung zu leisten und Solidarität mit dem Bündnispartner Polen zu zeigen.

„Das Luftkriegspotential Russlands ist enorm vielfältig“

Die Bedrohungsanalyse auf einer Landkarte verdeutlicht, worauf sie sich hier einstellen: Etwa 500 Kilometer sind es bis zur Ostsee und zur russischen Exklave Kaliningrad, rund 1000 Kilometer bis Russland, knapp 2000 Kilometer bis zum Schwarzen Meer. Das alles sind mögliche Startorte für Bomber, Marschflugkörper, Drohnen, Raketen oder Hyperschallwaffen. „Das Luftkriegspotential Russlands ist enorm vielfältig“, erläutert Kliefoth. „Wir müssen aus allen Richtungen mit Angriffen rechnen.“

Je zwei Startrampen der Pa­t­riot-Systeme in Rzeszów sind deshalb gen Westen gerichtet, um Raketen mit großer Reichweite, die dorthin fliegen und dann die Richtung ändern, abfangen zu können. In der Ukraine haben die Menschen längst Erfahrungen mit solchen Waffen: So war die russische Rakete, die im vergangenen Sommer in das Kinderkrankenhaus in Kiew einschlug, schon an der Hauptstadt vorbeigeflogen, bevor sie drehte und zurückkehrte.

Schon mehrfach sind russische Drohnen und Raketen auch in den polnischen Luftraum eingedrungen. In Rzeszów ist es bisher nicht zum Ernstfall gekommen, aber die Soldaten überwachen den Luftraum Tag und Nacht. Der Flughafen selbst, auf dem nach wie vor auch regulärer Passagierverkehr abgefertigt wird, ist eine Großbaustelle. Arbeiter errichten eine zweite Start- und Landebahn, ringsherum wachsen Lagerhallen, Logistikzentren und Hotels aus dem Boden.

Rund 17.000 Liter Diesel am Tag

Hinter dem Containerstützpunkt, den die Bundeswehr von den Amerikanern übernommen hat, lärmen fünf Generatoren, die Strom für die Patriot-Systeme liefern. „Wir haben hier eine völlig autarke Stromversorgung“, erläutert Hauptmann Marco. Allein dafür benötigten sie rund 17.000 Liter Diesel jeden Tag. Hinter zwei mit grünen Sandsäcken umhüllten Schutzbunkern sowie Stacheldraht und übermannshohen, mit Sand gefüllten Bigbags, die als Splitterschutz dienen, sind das Radar und der Kampfstand zu sehen, der rund um die Uhr mit zwei Soldaten besetzt ist. Im Ernstfall müssten die dort Diensthabenden auf den Knopf drücken und die Abwehrraketen starten.

Bevor es zum Äußersten kommt, gebe es jedoch, wie Hauptmann Marco erläutert, eine Kaskade an Schritten. Die Flugabwehr sei ein komplexes System mit ebenfalls rund um die Uhr arbeitenden Standorten in anderen Regionen sowie verschiedenen Alarmstufen. Sollten Flugobjekte entdeckt werden, die sich unberechtigt dem Flughafen nähern, bedeute das für seine Truppe erhöhte Bereitschaft. Die Soldaten schalteten dann das Radar ein und die Startrampen scharf. „So weit ist es bisher noch nie gekommen“, sagt Marco. „Aber wir trainieren das ständig.“ Zur Bekämpfung stünden Abwehrraketen zum Stückpreis zwischen 300.000 und drei Millionen Euro bereit. Je nachdem, was geflogen komme, werde Flugabwehrmunition eingesetzt, die durch eigene Explosion das Objekt zerstöre oder es per Direkteinschlag ausschalte.

Das Patriot-System sei einzigartig, lobt Oberstleutnant Kliefoth. „Mit ihm lassen sich sämtliche Bedrohungen aus der Luft bekämpfen, das macht es so attraktiv.“ Die zwei Systeme in Rzeszów haben sie von den Amerikanern übernommen; die Bundeswehr selbst verfügt über zwölf Patriots, wovon sie drei an die Ukraine abgegeben hat. „Damit sind wir in Deutschland an der Schmerzgrenze“, sagt Kliefoth. „Jedes Waffensystem, das wir abgeben, tut weh. Zugleich hilft jedes zusätzliche System, das die Ukraine hat, auch uns.“ Die Mission in Rzeszów wiederum sei „eine echte NATO-Mission innerhalb der integrierten NATO-Luftverteidigung“. Mit der Stationierung an der Ostflanke „senden wir ein klares Signal an Russland“.

„Das ist ein sehr sinnstiftender Einsatz für unsere Soldaten“

Die Kommandeure betonen zudem, wie gut die Zusammenarbeit mit den Polen funktioniere. „Da herrscht wirklich großes Vertrauen“, sagt Kliefoth. Auch gebe es viele Ukrainer hier am Standort, die „aufrichtig und ehrlich dankbar“ dafür seien, „dass wir hier sind“. Und auch für die eigene Truppe sei dieser Einsatz wichtig. Sie sehe täglich, wie viel Flugverkehr und Fracht hier für die Ukraine abgewickelt und umgeschlagen werde. „Das ist ein sehr sinnstiftender Einsatz für unsere Soldaten.“ Allein schon die Anwesenheit schrecke vor Angriffen ab, sagt auch Oberstleutnant Matz. „Wir tun etwas Gutes und beweisen im Auftrag der NATO, was wir können.“

Zurück am Stützpunkt steht Feldwebel Virginia in der Tür und erkundigt sich nach Dokumenten. Sie ist 33 Jahre alt, Zeitsoldatin im sechsten Dienstjahr und in ihrer Einheit für das Personalmanagement zuständig. Auch sie habe keinen Moment gezögert, mit in diesen Einsatz zu gehen. „Ich mag den Job wirklich, es ist abwechslungsreich, und die Kameradschaft unter uns ist schon fast wie Freundschaft.“ Dass es in so einem Einsatz plötzlich sehr ernst werden könne, sei ihr „sehr bewusst“ und schrecke sie nicht ab, sagt sie. Auch ihrer Familie sei das klar, ihr Mann diene ebenfalls als Soldat.

Im Versorgungscontainer hat Christoph, der Wehrdienstleistende, bald Schichtende. Für die später Diensthabenden stellt er Getränke, Snacks und eine Vertrauenskasse neben den Stapel mit den Feldpostkarten mit dem Motiv „Grüße vom deutschen Kontingent aus Rzeszów in Polen“. Auch den gelben Feldpostkasten zu leeren, zählt zu seinen Aufgaben. Obwohl alle Soldaten Handys haben, werde der Service genutzt. Seine Entscheidung für den Wehrdienst habe er nicht bereut, sagt Christoph. Grundausbildung und Lehrgänge seien „sehr gut“ gewesen. Zugleich zählten die zwölf Monate, die er bei der Truppe verbringe, als Praktikum für sein Fachabitur, und er bekomme deutlich mehr Geld als etwa beim Freiwilligen Sozialen Jahr. „Eine Zukunft bei der Bundeswehr kann ich mir schon vorstellen“, sagt er.

Für die kommenden Monate ist die Truppe in einem Hotel in Flughafennähe untergebracht. Von dort können die Soldaten direkt auf die Patriot-Startrampen blicken. Auf der Zufahrtsstraße zum südlichen Flughafengelände wiederum staut sich eine schier unendliche Schlange an Lkws mit Kennzeichen aus vielen Ländern Europas. Auf den Ladeflächen ist ausgemustertes Militärgerät zu sehen, das hinter einer großen Mauer genauso wie palettenweise Munition und Hilfsgüter auf ukrainische Lkws umgeladen wird. Die Flugabwehrraketengruppe 26 kann indes auch an diesem Tag melden, dass die Sicherheitslage „ruhig und stabil“ ist. Und natürlich hoffen alle, dass das so bleibt.