Was denkt er sich dabei?

11

Der Angreifer wechselt vom FC Bayern in die Türkei. Es ist eine sportliche Selbstdemontage.

Bejubelt haben sie ihn bei seiner Ankunft in Istanbul. Gefeiert wie einen Heilsbringer. “Es ist jetzt hier schon laut, deswegen kann ich es kaum erwarten, mein erstes Spiel zu Hause zu haben, vor den Fans”, sagte Leroy Sané noch in der Nacht zum Donnerstag am Flughafen vor der Fahrt zum Medizincheck bei Galatasaray.

Wie lange er noch Nationalspieler bleibt, ist indes fraglich.

Diesen Wechsel vom FC Bayern München zu Galatasaray wird Leroy Sané noch bereuen. Denn er verlässt im besten Fußballeralter einen Weltklub, der jedes Jahr auch in der Champions League um den Titel mitspielt, für einen Serienmeister in einer sportlich nicht gerade erstklassigen Liga, die eher als Anlaufpunkt für alternde Stars gilt als für Spieler auf dem Zenit ihres Schaffens.

Sané hat in der Türkei einen Klub gefunden, der ihm seine üppigen finanziellen Forderungen offenbar restlos erfüllt. Dass dazu dem Vernehmen nach kein Verein einer Top-Liga bereit war, spricht für sich. Sich selbst stellt der 29-Jährige damit über Nacht aufs Karriere-Abstellgleis. Eine sportliche Selbstdemontage vollführt Sané hier, und es darf darüber diskutiert werden, was schlimmer wäre: Dass er das gar nicht bemerkt – oder dass er das in Kauf nimmt. Die Frage drängt sich auf: Was denkt er sich dabei?

Die Folgen wird er erst später spüren. Dann, wenn ihn Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht mehr für die DFB-Elf nominiert. Denn die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko ist für Sané nun schlagartig in weite Ferne gerückt. Weil Nagelsmann eben auch auf die Einhaltung des Leistungsprinzips achtet. Das zeichnet ihn aus, das unterscheidet ihn insbesondere von seinem Vorvorgänger, der in seiner Nibelungentreue einen Lukas Podolski auch zu Galatasaray-Zeiten noch in seinen Kader berief.

Es ist kaum vorstellbar, dass Nagelsmann Sané, der schon seit geraumer Zeit kein Stammspieler mehr ist, nun überhaupt noch für die Nationalelf nominiert. Zuletzt standen alle DFB-Kicker bei Klubs aus den Top-Fünf-Ligen Europas unter Vertrag: Deutschland, England, Spanien, Frankreich, Italien. Sané müsste die bescheidenere Süper Lig da schon Woche für Woche mit einer ungeahnten Leistungsexplosion dominieren, um sich für weitere Einsätze im deutschen Trikot aufzudrängen.

In Istanbul droht ihm übrigens das nächste böse Erwachen. Denn der gebürtige Essener ist seit Jahren schon das größte uneingelöste Versprechen des deutschen Fußballs. Der personifizierte Konjunktiv. 220 Pflichtspiele für den FC Bayern, 61 Tore, 55 Vorlagen – beachtliche Statistiken hat Sané in seinen 5 Jahren beim deutschen Rekordmeister gemacht, dazu 70 Länderspiele bestritten, dabei 14 Tore erzielt. Und doch klang beim Blick auf den doch eigentlich so hochbegabten, aber zumindest äußerlich nicht immer hochmotivierten Angreifer unentwegt ein mal verzweifeltes, mal resigniertes “Wenn er doch nur beständiger wäre” mit.

Zu wechselhaft in den Auftritten, um wirklich zur absoluten Weltklasse zu zählen, zu talentiert aber, um nicht trotzdem noch in deren Einzugsgebiet zu mäandern. Dieses selektive Aufblitzen spielerischer Brillanz hat seine Zeit beim FC Bayern geprägt, und es bleibt ein Fragezeichen, ob Sané diesen Eindruck nun korrigieren kann, korrigieren will. Zumal zu bedenken gilt, dass er diesen Eindruck unter vier Trainern in München nicht zu korrigieren vermochte, und man muss ihm nichts zwanghaft Böses wollen, um angesichts der Gemengelage festzustellen: Er hat den einfachen – und hochbezahlten – Ausweg gewählt.