Niedersachsens Landesvater steckt mitten im Sturm der Autokrise

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Welche Bedeutung die Autoindustrie und vor allem der Volkswagen -Konzern für die Landesregierung in Niedersachsen hat, zeigte der neue Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) unmittelbar am Tag seiner Wahl vor gut drei Wochen. Lies, 58 Jahre alt, war am 20. Mai gerade erst vom Landtag in Hannover zum Nachfolger des langjährigen SPD-Regierungschefs Stephan Weil gewählt worden. Da entsendete ihn das neue Kabinett schon in den Aufsichtsrat des VW-Konzerns. Niedersachsen hält etwa 20 Prozent der Stimmrechte des Konzerns, die Landesregierung ist im Aufsichtsrat vertreten. Und Lies verfolgt dort nun wieder von höchster Warte, mit welchen Problemen die ganze Industrie kämpft.

VW steckt in einem Stellenabbau, der im Kernland Niedersachsen Tausende Arbeitsplätze kosten wird. Noch prekärer ist die Lage vieler Zulieferer, die im Sturm aus Kostendruck, Wettbewerb und technischem Umbruch zerrieben werden. Der Großzulieferer Continental mit Hauptsitz in Hannover wird bald in einen Elektronik- und einen Reifenhersteller aufgespalten, und Lies spricht offen von einem „Alarmzeichen“, das aus der Riege der Lieferanten komme. Vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen im Land hätten zu kämpfen, sagte er am Mittwochabend im Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten (CHW). Deutschland müsse dafür sorgen, dass die automobile Wertschöpfungskette mitsamt ihrer Lieferantenstruktur nicht verloren gehe.

Etwa 340.000 Arbeitsplätze hängen in Niedersachsen direkt oder indirekt von der Automobilindustrie ab. Lies kennt die Bedeutung genau, schließlich hat er in verschiedenen Funktionen immer wieder mit ihr zu tun gehabt. 2013 war er im ersten Kabinett des Ministerpräsidenten Weil erstmals Wirtschaftsminister geworden. Er saß damals eine Zeitlang im Aufsichtsrat des VW-Konzerns. Später wurde er Umweltminister und hatte auch in dieser Funktion viel mit Verkehr und Infrastruktur zu tun, bevor er vor drei Jahren wieder das Wirtschaftsressort übernahm, diesmal aber ohne Posten in Wolfsburg. Neben Weil zog damals eine Vertreterin des grünen Koalitionspartners in den VW-Aufsichtsrat ein, Julia Willie Hamburg.

Der neue Ministerpräsident Olaf Lies (SPD)
Der neue Ministerpräsident Olaf Lies (SPD)dpa

Für Lies ist die Rückkehr in das Gremium wichtig, auch mit Blick auf die Landtagswahl, der er sich in zwei Jahren stellen muss. Schließlich strahlt der VW-Posten eine Menge Verantwortung aus, und die Beschäftigten des Konzerns sind eine wichtige Wählergruppe der Sozialdemokraten.

Dass Lies deren Interessen genau im Blick hat, zeigt sein Umgang mit dem Sparprogramm. 35.000 Stellen will VW bis Ende des Jahrzehnts an deutschen Standorten streichen. Dass das Management Ernst macht, wurde kürzlich durch aktuelle Zahlen untermauert. Demnach hat der Vorstand um VW-Chef Oliver Blume schon Vereinbarungen mit 20.000 Beschäftigten geschlossen, die den Konzern über Altersteilzeit oder mit Abfindungen verlassen wollen. Manch einer in Hannover mag da sprichwörtlich geschluckt haben. Denn insgeheim gibt es vielerorts noch immer die Hoffnung, dass die Einschnitte womöglich nur halb so schlimm werden, wenn etwa der Markt für E-Autos endlich anzieht.

Lies betont im CHW, dass die zwischen IG Metall und Vorstand geschlossene Abmachung gilt und umgesetzt wird. Er schiebt dann aber nach: „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir im Schwung des Abbaus nicht vergessen, dass wir auch noch handlungsfähig sein müssen.“ Ziel sei es, die Werke zu erhalten. Und welche genaue Größenordnung der Stellenabbau erreiche, sei „auch immer ein bisschen abhängig“ davon, wie sich die Verkäufe entwickelten. Mut machten neue Modelle, genau wie der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, der auch neue Instrumente zur Förderung der E-Mobilität enthalte. Da spricht der Landesvater, der neben der Wirtschaftlichkeit auch die Angst der Beschäftigten adressiert. In Niedersachsen ist das ein ewiger Balanceakt, der in manchen Konflikten früherer Jahre schon notwendige Einschnitte verhindert hat.

Schwierig scheint auch der Umgang mit der Doppelrolle von VW-Chef Blume zu sein. Der führt den Konzern und dessen börsennotierte Tochtergesellschaft Porsche gleichzeitig. Vertreter von Kleinaktionären und Fonds fordern schon lange, dass Blume sich voll auf VW konzentriert und die Porsche-Führung abgibt. Lies findet, grundsätzlich sei eine „starke, auf den Konzern konzentrierte Arbeit“ nötig. Doch auf Nachfrage will er das ausdrücklich nicht als Kritik an Blumes Doppelrolle verstanden wissen. Blume mache gute Arbeit, alles andere werde diskutiert. Wenn es um VW geht, sind klare Aussagen nun mal schwierig, trotz aller Bedeutung für das Bundesland.