Die Erleichterung in Gibraltar und im andalusischen La Línea ist am Donnerstag groß. Die Sorge vor einem harten Brexit, die während der jahrelangen Verhandlungen immer wieder aufkam, ist vorüber: Die EU, Spanien und das Vereinigte Königreich haben den letzten Stolperstein des britischen EU-Austritts zur Seite geräumt – und das Verhältnis zu Gibraltar geklärt. Die Südspitze der iberischen Halbinsel gehört seit 1713 zum Vereinigten Königreich, wird aber gleichwohl von Spanien beansprucht.
Die politische Vereinbarung berührt diesen Konflikt nicht, löst aber ein großes praktisches Problem: An der Grenze zu Spanien, das zum Schengenraum gehört, sollen alle Kontrollen von Personen und Waren entfallen. Damit können die täglich rund 15.000 Pendler den Übergang nach Gibraltar ohne Passkontrollen passieren. Stattdessen werden die Kontrollen am Hafen und Flughafen des nur 6,5 Quadratkilometer großen britischen Überseegebiets mit 35.000 Einwohnern vorgenommen, und zwar gemeinsam von britischen und spanischen Beamten nach Maßgabe der Bestimmungen des Binnenmarkts. Die Waren können dann frei in der EU zirkulieren, weil sie mit Gibraltar eine Zollunion schließt.
Zu der Vereinbarung, die nun noch in einen Rechtstext übersetzt werden muss, gehören auch Festlegungen zu fairen Wettbewerbsbedingungen, staatlichen Subventionen, dem Kampf gegen Geldwäsche, Umweltstandards und Besteuerung, die London binden. Gibraltar muss seine sehr geringe Tabaksteuer erhöhen – der Schmuggel von Zigaretten und die niedrigen Steuern sind ein ständiges Ärgernis für Spanien.
„Historischer Meilenstein“
EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič sprach von einem „historischen Meilenstein“, als er die Einigung bekannt gab. Der spanische Außenminister José Manuel Albares sagte, dass nun „die letzte Mauer in Kontinentaleuropa verschwinden wird“. Für den britischen Premierminister Keir Starmer ist es ein „historisches Abkommen“, das die britische Souveränität sichere. Der britische Außenminister David Lammy beteuerte, die britische Treue zu Gibraltar sei „so fest wie der Felsen selbst“. Die konservative Schattenaußenministerin Priti Patel kündigte an, ihre Partei werde das Abkommen „sehr genau prüfen“. Der frühere Brexit-Aktivist Nigel Farage, der jetzt die Reform-Partei anführt, nannte die Vereinbarung „eine weitere Kapitulation“.
Dass künftig spanische Beamte auf britischem Territorium auf dem Flug- und dem Seehafen die Pässe von Briten und anderen Einreisenden kontrollieren, wertet die britische Regierung nicht als Verletzung der Souveränität Gibraltars. Es wird mit dem Hinweis begründet, dies geschehe auf dem Londoner Bahnhof St Pancras ganz ähnlich, wo vor der Abfahrt der Eurostar-Züge nach den Briten auch französische Grenzpolizisten die Reisepässe kontrollierten.
Für Spanien waren die gemeinsamen Grenzkontrollen eine entscheidende Voraussetzung für die Einigung, über die seit 2020 verhandelt worden war. Die Sicherung der Schengengrenze durch spanische Beamte ist auch Ausdruck der historischen Ansprüche, die man in Madrid mit der Einigung nicht aufgibt, wie Ministerpräsident Pedro Sánchez und Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo betonten.
Für die Menschen an der Meerenge ist die Einigung sehr wichtig. Gleich hinter dem Flughafen, wo die Grenze verläuft, beginnt in La Línea eine der ärmsten Gegenden Spaniens. Gut 270.000 Menschen leben in der Region, wo die Arbeitslosenquote bei mehr als 30 Prozent liegt. Gibraltar ist der größte Arbeitgeber in Andalusien nach der dortigen Regionalregierung. 11.000 Spanier pendeln jeden Tag zur Arbeit nach Gibraltar, dessen Wirtschaft und Gesundheitssystem sich ohne sie nicht aufrechterhalten ließe. Mehrere Tausend Briten und andere Ausländer, die in der Kronkolonie arbeiten, wohnen im billigeren Spanien.