Teil des weiblichen Körpers wiederentdeckt

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Stand: 13.06.2025 08:06 Uhr

Als nutzlos abgetan und aus den Anatomie-Büchern gestrichen – das ist das Schicksal von Rete ovarii. Das Gewebe ist mit den Eierstöcken verbunden und wurde jetzt wiederentdeckt. Und es ist kein Einzelfall.

Es war eigentlich ein normaler Tag für Jennifer McKey an der University of Colorado. Die Entwicklungsbiologin untersuchte die Entwicklung von Eierstöcken in Mäusen. Ihr Ziel heute: Herausfinden, wie sie die Zellen des Eileiters so markieren kann, dass sie unter dem Mikroskop rot leuchten.

Mit Erfolg: “Als ich mir die gefärbten Eierstöcke angeschaut habe, habe ich zuerst den schönen Eileiter gesehen.“ Alles wie erwartet. “Aber dann habe ich die Eierstöcke gedreht – auf die Seite, die näher am Rücken der Maus liegt. Und plötzlich habe ich gefärbte Zellen gefunden, die wie ein Hufeisen am Boden der Eierstöcke lagen und eine sehr auffällige Struktur aus Röhren, die mit den Eierstöcken verbunden war.“

“Ich hatte keine Ahnung, was das war”

Eine Überraschung für die Entwicklungsbiologin. Und ein Rätsel. “Ich hatte keine Ahnung, was das war. Die Struktur war in keinem Lehrbuch, auch nicht in der aktuellen Literatur.“ Sie ging zu ihrer Mentorin Blanche Capel – doch die wusste auch nicht, was sie dort sahen. Also wälzten sie einige alte Anatomiebücher und wurden fündig.

Die Struktur an den Eierstöcken war das Rete ovarii. Ein Gewebe, das bereits vor 150 Jahren auch beim Menschen beschrieben wurde, aber dann wieder aus den Anatomiebüchern verschwand.

Mehrere Teile, mehrere mögliche Funktionen

Entwicklungsbiologin McKey ließ diese Wiederentdeckung nicht mehr los: “Nachdem ich die Struktur gesehen habe, auch wie groß sie ist, und nachdem ich rausgefunden habe, dass sie während der ganzen Entwicklung mit den Eierstöcken verbunden bleibt, konnte ich nicht aufhören daran zu denken und wollte sie unbedingt weiter erforschen.“

Die Untersuchungen von McKey und ihren Kolleginnen zeigte: Rete Ovarii besteht aus mehreren Teilen. Einer umgibt das untere Ende der Eierstöcke, einer sieht aus wie ein Geflecht aus kleinen Röhren und ein Teil ist sogar in den Eierstöcken selbst zu finden.

Sie alle haben wahrscheinlich unterschiedliche Funktionen. Vieles ist noch unklar. Doch Rete ovarii könnte eine Rolle im Hormonhaushalt spielen und wichtig für die Embryonalentwicklung der Eierstöcke sein. Offenbar gibt es auch einen Zusammenhang zur Entstehung von Zysten.

Nutzlos? Unwahrscheinlich

Und zwar nicht nur bei Maus und Menschen: “Bisher gab es kein Säugetier, bei dem Rete ovarii nicht gefunden wurde, wenn man danach gesucht hat”, so McKey. Zum Beispiel Kühe, Kamele oder Katzen haben eine solche Struktur.

Dass dieses Eierstock-Anhängsel so weit verbreitet ist unter den Säugetier-Weibchen – inklusive des Menschen – deutet auf darauf hin, dass es einen Nutzen hat.

Davon ist auch die Entwicklungsbiologin McKey überzeugt: “Es ist nicht nur ein Überrest. Rete ovarii bleibt das ganze Leben lang erhalten, während der kompletten Entwicklung.” Auch der auffällige Aufbau zeige: Rete ovarii muss einen Nutzen haben – auch wenn noch nicht vollständig erforscht ist, wie der aussieht.

In wissenschaftlichen Zeichnungen tauchte Rete ovarrii lange nicht mehr auf. Man dachte, die Struktur habe keine Funktion und ließ sie weg. Dass Rete ovarii historisch so unterschätzt wurde, ist kein Einzelfall. Da wäre zum Beispiel die Klitoris.

Auch Klitoris wurde lange nicht richtig abgebildet

“Wenn wir uns anatomische Zeichnungen anschauen, die man zum Beispiel bei seiner Ärztin sieht, wo zum Beispiel das weibliche Becken abgebildet ist, dann sieht man häufig die Gebärmutter und die Vagina. Und in 95 Prozent der Bilder ist die Klitoris nicht abgebildet“ , sagt Mandy Mangler, Gynäkologin an mehreren Kliniken in Berlin.

Die Klitoris ist ein etwa zehn Zentimeter großer Schwellkörper, der für die sexuelle Erregung bei Frauen eine große Rolle spielt. “Ich finde das schwierig. Das ist genauso, als würden wir das männliche Becken ohne Penis abbilden.”

Das habe historische Gründe, so Mangler: “Wenn man sich das anguckt, dann durften Frauen ganz lange auch zum Beispiel nicht Medizin studieren. Und die Anatomen vor ein paar hundert Jahren, die waren alle männlich und unter sich.“ Zwar hätten sie die Klitoris beschrieben und untersucht: “Aber sie wussten nicht so richtig, was sie damit anfangen sollen und wozu dieses Organ notwendig ist. Und nach und nach ist dieses Wissen verlorengegangen aus den Anatomiebüchern.”

Seit 2022: Medizinlehrbücher korrekt

Das ändert sich langsam. Zum Beispiel in den Prometheus-Anatomiebüchern, mit denen Medizin-Studierende in Deutschland für die Prüfungen lernen. Bis zum Jahr 2022 war die Klitoris hier nicht in ihrer Komplexität dargestellt. Erst seitdem enthalten die neuen Auflagen eine korrekte anatomische Abbildung der weiblichen Geschlechtsorgane.

Wäre Rete ovarii ein Teil der männlichen Anatomie – wahrscheinlich hätte man es viel früher ernst genommen, sagt Jennifer McKey. “Das weibliche Fortpflanzungsystem, der weibliche Körper, die weibliche Gesundheit, all das wurde in der Forschung stark vernachlässigt. Das ist kein Geheimnis mehr“, so die Entwicklungsbiologin. Was genau Rete ovarii im Körper macht, wird jetzt weiter erforscht. Dabei ist eines klar: Unnütz ist es nicht.