Wie so oft in vorangegangenen Konflikten sieht Israel das Recht auf seiner Seite. Politiker bis hinauf zu Präsident Izchak Herzog sprachen deshalb von einem „Präventivschlag“. Herzog selbst führte am Morgen aus, dass Israel „das grundlegende Recht und die feierliche Pflicht“ habe, sich selbst zu verteidigen. Die Absicht der iranischen Führung sei gewesen, den Staat Israel zu vernichten.
Selbstverteidigung im Völkerrecht
Das Recht jedes Staates, sich selbst zu verteidigen, ist tatsächlich ein wesentlicher Grundsatz des Völkerrechts und eine zentrale Ausnahme vom allgemeinen Gewaltverbot der UN-Charta, das jeden Angriff auf andere Staaten untersagt. Unter engen Voraussetzungen erlaubt das Völkerrecht auch präventive Schläge, wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht.
Ein klassisches, wenn auch immer noch umstrittenes Beispiel ist hier der Sechstagekrieg von 1967, in dem Israel einem mutmaßlich unmittelbar bevorstehenden Angriff Ägyptens, Jordaniens und Syriens zuvorkam und die Armeen der Nachbarn mit einem Überraschungsangriff überrollte.
Tatsächlich spricht die Führung der Islamischen Republik, seit sie 1979 die Macht in Iran übernahm, ständig von der Vernichtung des „zionistischen Gebildes“, wie es Israel nennt. Auch gibt es für die Regierung in Jerusalem gute Gründe, davon auszugehen, dass das iranische Atomprogramm vor allem gegen Israel gerichtet ist. Wäre Iran kurz vor der Schwelle, seine Waffen gegen Israel einzusetzen, würde das einen Präventivschlag definitiv rechtfertigen.
Stand ein Angriff unmittelbar bevor?
Allerdings besteht eine wesentliche Einschränkung: Zwar hat Iran sein Atomprogramm in den vergangenen Jahren unter Verstoß gegen internationale Regeln massiv vorangetrieben. Das Land steht auch nach Erkenntnissen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA kurz vor der Schwelle, an der es genügend Uran auf ein atomwaffenfähiges Niveau angereichert hat. Allerdings deutet nichts darauf hin, dass Iran (trotz aller Rhetorik) einen Angriff auf Israel wirklich vorbereitet hat. Im Gegenteil sah es zuletzt so aus, als sei Iran durch die Rückschläge in Libanon und Syrien sowie durch den kurzen direkten Schlagabtausch mit Israel derzeit so geschwächt, dass es jede direkte Konfrontation mit Israel vermeiden will.
Für die Herstellung einsatzfähiger Atomwaffen bedürfte es zudem noch einer Reihe weiterer Schritte. Und selbst für den Fall, dass Iran diese Schritte gehen würde, gibt es keine Anzeichen dafür, dass es die Waffen für einen offensiven Erstschlag gegen Israel einsetzen würde. Denn Israel verfügt selbst – wenn auch nie offiziell bestätigt – über Atomwaffen. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass das Atomprogramm für das iranische Regime nie als Angriffswaffe, sondern als Lebensversicherung gedacht war.
Insofern scheint ein „unmittelbar bevorstehender Angriff“, der einen Präventivschlag völkerrechtlich rechtfertigen würde, hier wenig plausibel. Ein sogenannter Präemptivschlag gegen eine nicht unmittelbare Gefahr (hierzu zählte etwa der amerikanische Angriff auf Saddam Husseins Irak 2003) wird von fast allen Völkerrechtlern abgelehnt.
Ausnahme bei existentieller Bedrohung?
Ein Argument, das allerdings für Israel spräche, wäre, dass auch hier der Verhältnismäßigkeitsmaßstab mitzudenken ist. Den kann Israel insofern für sich in Stellung bringen, als die Gefahr, die durch ein atomar bewaffnetes iranisches Regime für das kleine Land so groß – gar existentiell – wäre, dass insofern auch niedrigere Anforderungen an das „unmittelbare Bevorstehen“ eines Angriffs zu stellen sind.
Das entspricht im Wesentlichen der offiziellen israelischen Linie, dass der letzte Moment erreicht sei, indem sich eine atomare Bewaffnung Irans noch durch einen Präventivschlag verhindern ließe. Denn sobald Iran tatsächlich über Atomwaffen verfügen würde, könnte es jeden israelischen Präventivschlag nuklear, also im Zweifel vernichtend, beantworten.
Völkerrechtlich gesehen wäre das ein Extremfall. Er wäre nur unter extrem engen Voraussetzungen denkbar, etwa wenn ein Militärschlag wirklich das letzte erdenkliche Mittel wäre, um Israel vor der existentiellen Gefahr zu schützen.
Das scheint in der Wirklichkeit kaum der Fall gewesen zu sein, in der sich alle Seiten zwar mit Drohungen überzogen, parallel aber der diplomatische Prozess hin zu einer gewaltfreien Lösung noch in vollem Gange war (freilich flankiert von martialischen Drohungen). Für Israel war der Zeitpunkt am Ende offenbar militärisch (und politisch) günstig, eine völkerrechtliche Rechtfertigung ist das aber nicht.