Kann Iran Israel empfindlich treffen?

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Herr Hinz, wie würden Sie den israelischen Militärschlag gegen Iran bewerten?

Es ist zunächst einmal spannend, dass der Schlag etwas anders ausgesehen hat als von vielen erwartet. Es wurden nämlich nicht nur iranische Atomanlagen getroffen. Israel hat auch gezielt versucht, ranghohe iranische Militärkommandeure zu töten, außerdem wichtige Nuklearphysiker. Für mich sieht es sehr danach aus, als würde man den Modus Operandi des Krieges gegen die Hizbullah wiederholen wollen. Damals versuchte man, innerhalb kürzester Zeit sowohl militärische Infrastruktur als auch die Führung auszuschalten.

Kann Israel ohne amerikanische Unterstützung das iranische Atomprogramm wirklich maßgeblich zurückwerfen?

Da gibt es verschiedene Ansichten. Es gibt viele Experten, die sagen, man kann es nur um ein paar Monate zurückwerfen. Es gibt Leute, die sagen, ein Militärschlag mache das Ganze sogar noch gefährlicher, weil die Iraner dann anfangen, geheime Anlagen zu bauen. Meine persönliche Einschätzung ist, dass Iran zu stark von israelischen Nachrichtendiensten unterwandert ist, als dass Iran unbemerkt geheime Anlagen bauen könne.

Es wurde bei der jüngsten Angriffswelle die Anlage in Fordow, die zentral für das Atomprogramm ist, gar nicht angegriffen. Ist diese unverwundbar für einen israelischen Angriff?

Das ist eine Anlage, die Iran ursprünglich für sein Atomwaffenprogramm gebaut hat und dann in eine zivile oder vermeintlich zivile Anreicherungsanlage umgewandelt hat. Sie ist so tief unter einem Berg vergraben, dass Israel sie nicht mit seinen zur Verfügung stehenden Bomben zerstören kann. Allerdings könnte man die Gänge treffen, die Anlage zumindest für eine gewisse Zeit außer Gefecht setzen. Die Frage ist: Könnte Israel einen unkonventionellen Angriff auf Iran starten? Cyberangriffe zum Beispiel oder einen Einsatz mit Spezialkräften. Letzteres wäre natürlich sehr riskant. Oder es passiert etwas völlig anderes, worauf wir nicht vorbereitet sind. Das würde ich nicht ganz ausschließen. Eine andere Frage lautet: Wie sehr kann man das Nuklearprogramm zurückwerfen, indem man Lieferketten zerstört? Oder indem Israel, wie es jetzt passiert ist, wichtige Wissenschaftler ausschaltet. Ich glaube, da kann Israel schon sehr massiven Schaden anrichten. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Israel Fähigkeiten hat, von denen wir nicht wissen.

Fabian Hinz von der Denkfabrik IISS
Fabian Hinz von der Denkfabrik IISSprivat

Die Iraner haben hat jetzt eine „harte Bestrafung“ angekündigt. Aber wie hart kann Teheran Israel überhaupt treffen?

Iran verfügt über Drohnen, ballistische Raketen und Marschflugkörper. Sie haben die nötige Reichweite, um Israel zu erreichen. Es stellen sich aber viele Fragen: Wie groß ist das aktuelle Arsenal? Wie groß sind die Produktionsraten? Über wie viele Abfangraketen verfügt Israel? Das sind natürlich die am besten gehüteten Geheimnisse. Bei dem iranischen Angriff vom vergangenen Oktober waren die iranischen Raketen nicht präzise genug, um substanziellen Schaden an militärischen Zielen wie Luftwaffenstützpunkten zu verursachen. Allerdings könnte Iran – und das wäre meine Vermutung – einen weiteren Eskalationsschritt wagen und direkt Städte wie Tel Aviv angreifen. Wenn man eine Rakete auf dicht besiedeltes Gebiet abschießt, würde sie selbst dann, wenn sie nicht sonderlich präzise ist und ihr Ziel um mehrere 100 Meter verfehlt, noch etwas treffen und Schaden anrichten. Eine andere Frage ist natürlich, was hat Israel schon präemtiv gegen die iranischen Raketenfähigkeiten unternommen? Wurden Stützpunkte bombardiert oder Cyberangriffe geführt?

Wäre Iran überhaupt in der Lage, genügend Raketen gleichzeitig abzufeuern, um die israelische Abwehr zu übersättigen? Oder kann Israel die Abschüsse frühzeitig erkennen und vorher zuschlagen?

Wenn sie über genug Raketen verfügen, dann hätten die Iraner diese Möglichkeit. Abschüsse mit Angriffen zu unterbinden, wäre prinzipiell möglich – aber sehr schwierig mit Blick auf die großen Distanzen. Da braucht man eine sehr präzise Aufklärung. Nach der iranischen Militärdoktrin fährt man im Krisenmodus die mobilen Startrampen aus den Untergrundbasen heraus und verteilt sie über das ganze Land. Diese sind alle getarnt als zivile Lastwagen. Man kann davon ausgehen, dass sie schon ausgeschwärmt sind.

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Wie sieht es mit ausländischer Unterstützung aus? Während der letzten Angriffe haben die Amerikaner und auch arabische Verbündete in der Region wie Jordanien und Saudi-Arabien den Israelis geholfen.

Das amerikanische Militär kann mit seinen Marineverbänden in der Region und mit seinen Kampfflugzeugen einen entscheidenden Beitrag leisten. Die arabische Unterstützung hingegen ist eine politische Frage. Ich würde mir nicht anmaßen wollen, von außen zu beurteilen, ob es jetzt jenseits der öffentlichen Empörung wieder diskrete Unterstützung gibt. Ob man zum Beispiel den eigenen Luftraum für israelische Abwehraktivitäten freigibt. Oder ob man einfach die Amerikaner machen lässt. Da gäbe es durchaus viele Optionen. Ironischerweise hätte Iran derzeit bessere Möglichkeiten, amerikanische Einrichtungen in der Region zu treffen.

Das ist eine Frage der Distanzen. Von den Raketen mit größerer Reichweite hat Iran schon viele verschossen. Das Kurzstreckenarsenal, das man zum Beispiel für Angriffe auf amerikanische Stützpunkte verwenden würde, ist noch unangetastet. Die Systeme sind alle noch einsatzfähig. Gleichzeitig verfügt Iran noch über Antischiffsraketen. Würden die USA in die Konfrontation hineingezogen werden, stünden sie vor einer großen Herausforderung

Womit kann Israel sich gegen die Drohnen verteidigen?

Da handelt es sich vor allem um Drohnen des Typs Shahed-136. Das entspricht den russischen Geran-2-Drohnen, die in der Ukraine eingesetzt werden. Gegen diese Drohnen kann man sich durchaus verteidigen. Das Problem ist dabei eher die Stückzahl und weniger die Durchsetzungsfähigkeit. Sie sind sehr langsam und brauchen Stunden, um ihr Ziel zu erreichen. In der Ukraine funktioniert die Abwehr mit Maschinengewehren, die auf Pick-ups montiert sind. Man kann auch Kampfflugzeuge verwenden, die in der Luft gehalten werden.

Würde es einen maßgeblichen Unterschied machen, sollten sich arabische Verbündete Teherans wie die Hizbullah oder die Huthi-Rebellen einschalten?

Die Hizbullah ist so geschwächt, dass sie ihre Abschreckungsfähigkeit verloren hat. Das ist auch ein Grund dafür, dass der israelische Angriff jetzt stattgefunden hat. Die Hizbullah-Raketen haben außerdem eine viel geringere Reichweite als die Raketen, die von Iran abgefeuert werden. Sie können deswegen von Abfangraketen anderen Typs abgefangen werden, die deutlich kostengünstiger sind – und in Israel in viel größeren Stückzahlen vorhanden. Das heißt: Selbst wenn die Hizbullah ebenfalls einschreitet, wäre es für Israel eine Herausforderung, die zu bewältigen wäre. Die Huthi sind für Israel selbst keine militärische Bedrohung. Aber sie können für die internationale Schifffahrt, die amerikanische Marine oder die arabischen Golfstaaten ein Problem werden, sollte der Konflikt eskalieren.