Sleep-Tracking boomt, mit Ringen und Luxusmatratzen versuchen Technikfans ihre Nächte zu optimieren. Experten warnen vor einer neuen Besessenheit in Bezug auf Sleep-Scores.

Den Schlaf-Tracker-Ring von Oura erkennt man daran, dass die Nutzer ihn am Zeigefinger tragen.
Der Twitter-Gründer Jack Dorsey hat ihn schon lange, auch Mark Zuckerberg von Meta trägt ihn seit Jahren. Wer genau hinschaut, sieht den Oura-Ring heute überall im Silicon Valley – leicht von herkömmlichem Schmuck zu unterscheiden, weil man ihn am besten am Zeigefinger trägt.
Der breite Metallring ist ein sogenannter Schlaf- und Wellness-Tracker – und er gehört zu einer Welle von Geräten, die unseren Schlaf optimieren sollen. Aus Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung und Herzschlag leiten sie einen sogenannten Sleep-Score ab. Beim Apéro unter Techies vergleicht man diesen nun und diskutiert optimale Tiefschlafphasen und REM-Zyklen.
Vorbei sind die Zeiten von «Work hard, play hard», in denen Augenringe als Statussymbol im Tech-Mekka galten. «Work hard, sleep hard», postete Zuckerberg auf der Plattform Threads unter einem Foto seines nahezu perfekten Sleep-Scores von 90.
Luxusmatratze mit eingebauter Kühlungsfunktion
Der globale Markt für Schlaf-Tracker beläuft sich auf 15,1 Milliarden Dollar, in den nächsten fünf Jahren soll er gar auf 25 Milliarden Dollar wachsen. Dabei gibt es Schlaf-Tracker bereits seit einigen Jahren, damals waren sie meist in Fitnessbänder wie das Fitbit integriert. Auch die Firma Oura brachte die erste Generation ihres Rings schon vor zehn Jahren auf den Markt. Jeder dritte Amerikaner hat bereits einmal seinen Schlaf aufgezeichnet, so das Ergebnis einer Erhebung des Berufsverbands American Academy of Sleep Medicine.
Doch in jüngster Zeit seien die Tracker viel besser geworden, sagt Eti Ben Simon, Neurowissenschafterin am Center for Human Sleep Science an der Universität Berkeley. Fortschritte in der Sensortechnologie hätten die Datengrundlage enorm präzisiert, zudem seien die Algorithmen besser geworden, die die Daten interpretierten. Auch der Oura-Ring soll jetzt, in der im Oktober lancierten vierten Generation, gemäss Tests deutlich genauere Ergebnisse liefern. So erklärt sich auch, wieso er plötzlich omnipräsent ist.
Das Angebot an Schlaf-Gadgets explodiert regelrecht: Die Ozlo-Sleepbuds blocken als spezielle Schlafkopfhörer alle Geräusche. Die Firma Thorne will den Hormonhaushalt fürs Schlafen mit Speicheltests und Nahrungsergänzungsmitteln optimieren. Das Unternehmen Helight will uns mit Rotlichtlampen ins Schlummerland schicken.
Vor allem aber boomen Schlaf-Tracker. Ob im Oura-Ring, im neuen hippen Schlafarmband von Whoop oder über in Fitnessuhren eingebaute neue Sensoren von Garmin und Apple: Die Sleep-Scores sind allmählich so beliebt wie das Schrittezählen.
Viele der Geräte belassen es bei der Datenerfassung, die Firma Eight Sleep setzt noch eins obendrauf: Ihre mit Wasser gefüllte Matratze (ab 2600 Dollar) misst die Schlafzyklen nicht nur, sondern verspricht, sie zu optimieren: Mitten in der Nacht kühlt die Matratze etwas ab, um den Körper länger tiefer schlafen zu lassen. Am Morgen dann rüttelt sie den Nutzer mit eingebauter Elektronik sanft aus dem Schlaf. Elon Musk und Mark Zuckerberg schwören auf Eight Sleep, ebenso der Neurologe und Podcaster Andrew Huberman.
Die Luxusmatratze von Eight Sleep wird nachts gekühlt.
Schlecht zu schlafen, wird verachtet wie das Zigarettenrauchen
Grundsätzlich funktionieren alle Tracker ähnlich: Sie messen die drei Schlafphasen, die jeder Mensch nachts durchläuft: den Tiefschlaf, den man für die körperliche Erholung benötigt, den REM-Schlaf, in dem wir träumen und Erinnerungen formen, sowie die Zwischenphase des Leichtschlafs. In der ersten Hälfte der Nacht verzeichnet man generell mehr Tief-, in der zweiten mehr REM-Schlaf. Doch wer sich am nächsten Morgen wirklich erholt fühlen will, muss alle Phasen drei Mal durchlaufen haben.
Die Geräte unterscheiden sich darin, wie präzise sie die Phasen erfassen und wie ihre Algorithmen diese interpretieren. Das sei der Grund, warum die Ergebnisse der Schlaf-Tracker innerhalb einer Nacht um ungefähr zehn Prozent voneinander abwichen, sagt Martin Kawalski, der medizinische Schlafforschung an der Stanford-Universität betreibt. Er trägt einen Oura-Ring am linken Zeigefinger, am linken Handgelenk eine Smartwatch von Apple, am rechten eine von Garmin. «Es ist nicht gerade bequem, aber ich mache das für die Wissenschaft», sagt er lachend, in einer Cafeteria auf dem Campus sitzend.
Kawalski forscht an der Schnittstelle zwischen Medizin und Wearables, also tragbarer Elektronik. Er erforscht, wie gut kommerzielle Produkte darin sind, die Folgen schlechten Schlafens auf den Alterungsprozess zu erfassen. Seit zehn Jahren werde Schlaf zunehmend kommerzialisiert, hat Kawalski beobachtet, doch nun ist aus seiner Sicht ein Wendepunkt gekommen: weil die Technologie besser geworden ist und weil sich der Zeitgeist verändert hat. Schlecht und wenig zu schlafen, werde im Silicon Valley inzwischen verachtet wie das Zigarettenrauchen.
«Schlaf ist die neue Fitness», sagt er.
Diesen neuen Zeitgeist sieht man auch auf Tiktok, wo «sleep maxing» ein viraler Trend ist – wobei die dort Tipps etwas fragwürdig sind: beschwerte Bettdecken, zwei Kiwis vor dem Einschlafen essen oder sich den Mund zukleben, weil Atmen durch die Nase angeblich gesünder sei.
Auch die Tourismusindustrie hat den Schlaf entdeckt: Hotels werben mit 15 000 Dollar teuren Luxusmatratzen und Soundmaschinen. Im «Spanish Colonial Hotel» in Los Angeles müssen Gäste neuerdings vor ihrer Ankunft einen Schlaffragebogen ausfüllen. Die Reiseplattform Tom’s Guide erklärte Schlaftourismus zum Reisetrend für 2025: Man sucht sich den Ferienort nicht nach den besten Sehenswürdigkeiten, sondern den besten Matratzen und Schlafgadgets aus.
«Die Geräte tendieren dazu, den Schlaf zu überschätzen»
Die meisten Schlaf-Tracker hätten jedoch eine technische Schwachstelle, so die Kritik der Neurowissenschafterin Ben Simon: Sie messen die Gehirnaktivitäten nicht. Wer nachts im Bett vor sich hin grübelt, ohne sich dabei viel zu bewegen, der schläft für den Schlaf-Tracker, weil Bewegungen und Herzschlag auf Schlaf schliessen lassen. «Die Geräte tendieren dazu, den Schlaf zu überschätzen.»
Eine neue Generation von Geräten könnte bald noch bessere Daten liefern: In wenigen Jahren, so ist Ben Simon überzeugt, dürfte es möglich sein, sich kleinste Messkabel hinters Ohr oder an die Stirn zu kleben, die die Gehirnaktivitäten ebenfalls aufzeichnen. Das würde ein wesentlich genaueres Bild über das Schlafverhalten liefern. Bereits heute gibt es einige wenige Produkte, die bei den Gehirnwellen ansetzen: Sie versuchen, diese mit akustischen Reizen zu stimulieren, um bei chronischen Schlafproblemen, sogenannter Insomnia, zu helfen. Ben Simon hält diesen Ansatz für vielversprechend, allerdings seien heute noch viele Sensoren so gross, dass man sie im Schlaf leicht verliere.
Der Schlafforscher Kawalski hingegen arbeitet schon heute gern mit den Daten der Schlaf-Tracker an Finger und Handgelenk. Er untersucht Patienten auch in Stanfords eigenem Schlaflabor, zum Beispiel wenn sie an Schlafapnoe – also Atemstörungen in der Nacht – leiden. Doch auch diese Messungen würden verzerrt, sagt Kawalski, nämlich vom sogenannten Weisskitteleffekt: In der ungewohnten Laborumgebung schliefen viele Patienten automatisch schlechter. «Ich ziehe einen Monat Schlafdaten von Trackern wie Garmin einer Nacht im Schlaflabor vor», sagt Kawalski.
Er beobachtet bei seinen Patienten ein Problem: Besonders junge Tech-Angestellte seien zunehmend besessen von ihrem Schlaf. Sie suchten die Hilfe des Schlaflabors nicht deshalb auf, weil sie sich müde und unausgeschlafen fühlten, sondern weil ihre Sleep-Scores niedrig seien. Erstmals beschrieben Wissenschafter der Northwestern University im Jahr 2017 solche Orthosomnia, also den durch neue Technologien ausgelösten krankhaften Zwang, den eigenen Schlaf zu perfektionieren und möglichst hohe Sleep-Scores zu erreichen.
Tatsächlich bedienen die Geräte das Bedürfnis nach Selbstoptimierung. Sie versprechen, auch dann noch die Kontrolle zu haben, wenn man sie eigentlich abgegeben hat: im Schlaf. Das spricht vor allem Nutzer an, die auf Leistung getrimmt sind und sich stets um Bestnoten bemühen.
Experten raten jedoch, sich nicht auf den Wert der einzelnen täglichen Sleep-Scores zu fixieren, sondern auf die Trends im eigenen Schlafverhalten zu achten: Schläft man ausreichend lange? Wacht man oft auf? Die Sleep-Tracker helfen, das zu identifizieren.
Ein verbreiteter Irrglaube sei auch, dass viel Schlaf das Wichtigste sei, sagt Kawalski. «Die Zahl der Stunden ist nicht so wichtig wie ein Rhythmus und feste Schlafgewohnheiten.» Idealerweise sollte man selbst am Wochenende zur gleichen Zeit einschlafen und aufwachen – so könne das Gehirn die Strukturen für den individuell optimalen Schlaf schaffen. Welche Uhrzeit das am besten sei, bestimme auch der Chronotyp, also die genetisch festgelegte ideale Schlafenszeit.
Und wer sich keine kühlende Matratze für 2600 Dollar kaufen will, für den hat Kawalski einen Lowtech-Tipp: Um einen guten Schlaf, insbesondere einen guten Tiefschlaf zu fördern, erzeugt man am besten ein Temperaturgefälle im Körper – indem man das Schlafzimmer lüftet, sich warme Socken anzieht oder ein warmes Bad nimmt. All das begünstige den natürlichen Abkühlungsprozess vor dem Einschlafen, bei dem die Kernkörpertemperatur gesenkt wird.
Ob solche Tricks auch Teil von Zuckerbergs «Work hard, sleep hard»-Routine sind, ist nicht bekannt. Ausser den Oura-Scores teilen Amerikas Tech-Bosse keine Schlaftipps im Internet – zumindest noch nicht. Einem ausgeruhten Kopf fällt es sicherlich leichter, Ideen für «the next big thing» zu entwickeln, als einem übernächtigten.