Die Angst vor dem Hochsommer

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Was ist das nun: Die Ouvertüre für einen weiteren „Jahrhundertsommer“, an dem längst nichts mehr hundertjährig ist, oder vielleicht doch nur ein kurzes, nichtssagendes Aufflackern des Klimawandels zum Wo­chenende, nichts Großes? 32 Grad und mehr an diesem Wochenende, örtlich im Oberrheingraben bis 37 Grad, das kann nach den deutlich kühleren Tagen schon schlauchen. Zumindest eines jedoch scheint fast sicher: Die Spekulationen werden landauf, landab wieder angefeuert. Seit Wochen wird der Verlauf des Sommers von Wetterexperten in den Medien mit Superlativen vorausgedacht und wieder dementiert. Eine nervenaufreibende Schwitzkur im Klimadiskurs. Doch mit welcher Berech­tigung wird dieser Sommer problema­tisiert – und auf welcher faktischen Grundlage?

Ausgangspunkt für viele meteorologische Maximalszenarien sind histo­rische Fakten: die mittleren Temperaturen der vergangenen drei Sommer in Deutschland waren allesamt jeweils ein- oder anderthalb Grad über dem langjährigen Mittel, wobei der Vergleichswert aus den Sommertemperaturen zwischen 1991 und 2020 berechnet wird. Auch die zwei größten Abweichungen seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 liegen nur kurz zurück: 2018 und 2019 war es durchschnittliche 1,7 beziehungsweise 1,6 Grad wärmer als der Vergleichswert, nicht weit entfernt vom bisherigen Sommerrekordhalter 2003 mit 2,1 Grad darüber. Hinzu kommt: Die beiden zurückliegenden Monate April und Mai 2025 setzten historische Marken, weltweit gesehen waren beide Monate jemals nur einmal heißer.

All das verstärkt die Erwartungen – oder: die Befürchtungen – für den Hochsommer. Der Klimatrend spricht für immer neue Rekorde. Doch meteorologisch und klimatisch gesehen ergibt sich daraus noch keineswegs ein Hitzeautomatismus. Es muss nicht zwangsläufig jedes Jahr zum Extrem kommen. Vor allem nicht zu den gefürchteten wochenlangen Hitzewellen, wie sie 2003 und 2022 zu jeweils Zehntausenden Hitzeopfern in Eu­ropa geführt haben. Dafür gibt es bisher noch keine Anzeichen.

Wegen anhaltender Trockenheit trockneten zwischen Februar und Mai die Böden wie hier in Schleswig-Holstein vielerorts stark aus.
Wegen anhaltender Trockenheit trockneten zwischen Februar und Mai die Böden wie hier in Schleswig-Holstein vielerorts stark aus.dpa

Für die kommenden Monate, sagt Amelie Hoff vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach, sei die Prognose „unsicher“. Die Vorhersagequalität der saisonalen Klimavorhersage liege derzeit nur im mittleren Bereich. Immerhin das lässt sich sagen: Mit dem DWD-Klimavorhersagesystem wurde aktuell eine starke Tendenz – mit einer Wahrscheinlichkeit von 93 Prozent – eines abermals überdurchschnittlich warmen Spätsommers von Juli bis September ausgerechnet.

Überdurchschnittlich warm und überdurchschnittlich trocken soll es also in großen Landesteilen werden – sprich: weniger Sommerniederschläge, als früher noch üblich waren. Diese Deutschland-Prognose ist freilich alles andere als überraschend. Denn seit dreißig bis vierzig Jahren wird es klimawandelbedingt bei allen Wetterlagen sukzessive wärmer. Potentiell gefähr­liche Hitzespitzen oder länger anhaltende Hitzewellen werden damit zwar wahrscheinlicher – es könnte aber durchaus auch ein unspektakulärer Sommer werden.

Besonders in Nord-, Mittel- und Osteuropa zu trocken

Entwarnung also, was die Hitzebelastung im Hochsommer angeht? Keineswegs, denn folgt man den Fachleuten, verschieben sich mit der fortschreitenden Erwärmung die Jahreszeiten nicht nur manchmal, sondern immer öfter ins Extreme. Das betrifft einzelne Hitzespitzen wie an diesem Wochenende genauso wie die Sommerregenfälle und Gewitter. Eine wärmere Atmosphäre nimmt mehr Feuchtigkeit auf, entzieht auch den Böden erhebliche Mengen Wasser und regnet öfter in Starkregenmengen ab. Tatsächlich wird die zunehmende Trockenheit in der Erde ein Dauerproblem, auch in diesem Sommer. Hitze kann immer weniger isoliert betrachtet werden. Vielmehr, so haben schwedische Forscher der Universität Uppsala unlängst in einer Simulationsstudie gezeigt, könnten sich auch bei ei­nem realistischen, also keineswegs ex­tremen Anstieg der Temperaturen bis zur Jahrhundertmitte die meteorologischen Komplikationen hochschaukeln: Hitzewellen, Trockenheit und Waldbrandgefahren treten dann wohl immer öfter parallel auf – und damit als ein sich selbst verstärkendes Problemtrio in ganz Europa.

Bewässerungsmaßnahmen durch Gärtnermeister Andreas Renner im Berggarten der Herrenhäuser Gärten. Bei der anhaltenden Dürre und Trockenheit in Norddeutschland wurden die Gärten Mitte Mai täglich mit mehr als eine Millionen Liter Wasser pro Tag gewässert.
Bewässerungsmaßnahmen durch Gärtnermeister Andreas Renner im Berggarten der Herrenhäuser Gärten. Bei der anhaltenden Dürre und Trockenheit in Norddeutschland wurden die Gärten Mitte Mai täglich mit mehr als eine Millionen Liter Wasser pro Tag gewässert.dpa

Was das für Folgen haben könnte, hatten Mitte Mai die Berechnungen des European Drought Observatory (EDO) gezeigt. Zu der Zeit enthielten 53 Prozent der Böden auf dem europäischen Kontinent deutlich weniger Wasser als noch 2021. Neben dem Mittelmeerraum war es besonders in Nord-, Mittel- und Osteuropa zu trocken. Etwa um die gleiche Zeit vor drei Wochen warnten Wissenschaftler der Europäischen Zentralbank nach eigenen Risikoberechnungen: Drei Viertel Europas seien inzwischen „nicht mehr dürreresistent“. Ein Drittel der Finanzierungsmittel, die in Landwirtschaft fließen, aber auch in große Teile der Wasserwirtschaft, des Bergbaus, der Bauwirtschaft, des Handwerks, des Tourismus und der Lebensmittelindustrie, sind von Ausfällen bedroht. Eine europaweite Befragung von mehr als 2500 Banken, die zusammen 1,3 Billionen Euro an Darlehen in diesen Bereichen vergeben haben, hat ergeben: Allein die Verschlechterung der Wasserversorgung – und längst nicht mehr nur in Südeuropa – gefährdet mittlerweile 34 Prozent der Darlehensrückzahlung.

Die drohende wetterbedingte Destabilisierung erhöht nicht nur den Druck für Anpassungsmaßnahmen, auch die Wetterexperten sind zunehmend gefragt, ihre Frühwarnsysteme zu verbessern. Es wird viel an leistungsfähigeren Saison- und Langzeitvorhersagen gearbeitet. Ganz einfach ist das allerdings nicht.

Die Jahreszeitenvorhersagen des in England angesiedelten Europäischen Vorhersagezentrums ECMWF werden zwar längst als Prognosehilfe für wetterempfindliche Industriesektoren und für die Landwirtschaft genutzt. Anders jedoch als die exakteren Wettervorhersagen, die nur mit Vorbehalten auf mehr als vier Tage und bis zu zehn Tage im Voraus ausgedehnt werden können, geben die saisonalen oder Jahreszeitenvorhersagen Anhaltspunkte dafür, wie sich die Großwetterlagen, beziehungsweise das Klima über längere Zeiträume – Wochen, Monate und Jahre – entwickeln könnten.

Auch Binnenschiffer hatten im Frühsommer ihren Ärger mit Wetter und Klimawandel. Der Rhein führte zeitweise heftig Niedrigwasser.
Auch Binnenschiffer hatten im Frühsommer ihren Ärger mit Wetter und Klimawandel. Der Rhein führte zeitweise heftig Niedrigwasser.dpa

Voraussetzung für die Machbarkeit längerfristiger Prognosen wie den sai­sonalen Klimavorhersagen ist, dass bestimmte Prozesse im Klimasystem gut vorhergesagt werden können. Die Da­tenmengen sind bisher allerdings begrenzt, die Modelle noch nicht präzise genug, und damit bleiben die Fortschritte bei längerfristigen, möglichst exakten Vorhersagen noch immer deutlich hinter den Erwartungen vieler Anwender zurück.

Mitten in das Spekulationschaos um den hiesigen Sommer platzte neulich auch eine federführend am Max-Planck-Institut für Meteorologie und an der Universität Hamburg vorgenommene Studie zu den Sommervorher­sagen. Lara Wallberg und ihr Team beschreiben, wie sie einen Weg gefunden haben, Hitzesommer in Europa künftig besser – im Idealfall bis drei Jahre vorher – vorherzusagen. Ihr Trick: „Abweichungen beim Wärmetransport im Nordatlantik angemessen berücksich­tigen“, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Geophysical Research Letters“.

Der Trend zu mehr Trockenheit bleibt

Tatsächlich reagieren die einzelnen Komponenten des Klimasystems unterschiedlich schnell auf äußere Einflüsse. Der Nordatlantik ist dabei offenbar besonders wichtig für das europäische Klima. Wie sich die maximalen Sommertemperaturen entwickeln werden, hängt nicht nur vom Klimawandel und von der Erhitzung der Meere und Landflächen ab, sondern auch noch von langfristigen zyklischen Prozessen. Auch das muss in die Modelle mit einfließen.

Ein solcher Prozess ist der Wind über dem Wasser. Im Sommer 2023 war es im Nordatlantik zu einer nie dagewesenen Erwärmung gekommen. In manchen Re­gionen übertrafen die Oberflächentemperaturen frühere Rekorde um mehr als zwei Grad Celsius. Das ist als Temperaturanstieg schon in der Luft ein riesiger Sprung, erst recht aber im Ozean, der als Puffer normalerweise träge auf Temperaturveränderungen reagiert.

Der Grund für diese Anomalie: Ungewöhnlich schwache Winde über dem Nordatlantik. Das führte dazu, wie aus­tralische Forschung und Klimaexperten des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung in „Nature“ berichten, dass die obersten Meeresschichten sich schnell und extrem aufheizten. Es sieht so aus, als ob die marine Hitzewelle 2023 erheblich zu den weltweit gemessen Temperaturrekorden und auch zu den damals hohen Sommerwerten beigetragen hat.

Dann wieder so: Heftige Regenfälle, verbunden mit Gewitter, sind auch häufiger, seitdem die Temperaturen so stark wachsen und die Verdunstung zur Ansammlung riesiger Wassermengen in der Atmosphäre führt.
Dann wieder so: Heftige Regenfälle, verbunden mit Gewitter, sind auch häufiger, seitdem die Temperaturen so stark wachsen und die Verdunstung zur Ansammlung riesiger Wassermengen in der Atmosphäre führt.dpa

Hinzu kommt nun der Klimawandel. Er sorgt zusätzlich dafür, dass die Schichtung der Meere zunimmt, gleichzeitig wird die oberste Wasserschicht tendenziell eher dünner, sie durchmischt sich weniger, und damit wird sie anfällig für Hitze. Da diese Effekte von Jahr zu Jahr unterschiedlich stark ausfallen, sind die langfristigen Prognosen von Hitzewellen zusätzlich mit Unsicherheiten behaftet.

Um dieser Unsicherheiten abzumildern, werden die Voraussagen mit sogenannten Ensemble-Modellen ermittelt. Die Modelle werden mit jeweils leicht variierten Anfangsbedingungen gestartet. Das Ergebnis sind nach dem Ende der Berechnungen Wahrscheinlichkeitsaussagen über die längerfristigen Klima- und Wettertrends.

Der entscheidende Schritt, der den Hamburger Meteorologen gelungen war, ist, nur solche Ensemble-Modelle für ihre Vorhersagen zu nutzen, die auch die Meeresströmungen im Nordatlantik richtig wiedergeben. Ihr Fazit nach vielen Durchläufen: Wenn sich im Nord­atlantik ungewöhnlich warmes Meerwasser ansammelt, kommt es in den Folgejahren offenbar mit viel höherer Wahrscheinlichkeit zu extremen Sommertempera­turen.

Konkrete Angaben über die Dauer und Spitzen der Hitzewellen lassen sich daraus freilich kaum ableiten. Die hängen auch von großräumigen atmosphärischen Strömungsmustern ab, die für erhebliche regionale Unterschiede sorgen können. In der kommenden Woche, nach dem ersten Hitzehoch dieses Sommers mit feuchtheißen Bedingungen, dürfte sich das in weiteren Wettervorhersagen niederschlagen. Wie es aussieht, arbeitet sich nach einem kurzen – kühlenden – Tiefdruck­gebiet ein Hochdruckkeil aus dem west­lichen Mittelmeer in Richtung Deutschland vor. Das könnte im Südwesten die Junitemperaturen wieder auf mehr als 30 Grad bringen, während sich der Hochsommer in den östlichen Landesteilen mit eher kühleren Bedingungen vorstellt. Nach viel Regen sieht es hier wie dort nicht aus. Der Trend zu mehr Trockenheit bleibt also, auch wenn zwischenzeitlich immer auch kurze, starke Gewitter möglich sind.