Finanzminister Lars Klingbeil spricht über seine Pläne fürs Sondervermögen

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Herr Klingbeil, Sie starten demnächst das größte schuldenfinanzierte Investitionsprogramm in der Geschichte der Republik. Wenn das Geld alles ausgegeben ist, wie soll das Land dann aussehen?

Mein Ziel ist, dass wir einen riesigen Modernisierungsschub bekommen – für Schulen, Kitas und die Digitalisierung, für Bahnstrecken, Brücken und Straßen. Man wird sehen, dass sich das Land verändert. Am wichtigsten ist, dass die Menschen merken: Deutschland funktioniert wieder besser, es geht voran. Dazu gehört etwa, dass die Züge endlich pünktlich kommen.

Gibt es klare Kriterien, warum die eine Bahnstrecke saniert wird und die andere Schule nicht?

Da machen die Fachminister Vorschläge. Aber natürlich setzen wir Prioritäten. Es wird viel in den Verkehr gehen, ebenso wie in Bildung und Digitalisierung. Für mich ist am wichtigsten, dass wir die Investitionen schnell steigern. Schon 2025 werden wir die Investitionen auf 110 Milliarden Euro erhöhen, fast 50 Prozent mehr als 2024. Mein Anspruch ist, dass die Bagger schnell rollen. Davon profitieren dann auch Firmen und Arbeitnehmer durch neue Aufträge.

Es ist schon Juni. Lassen sich sinnvolle Projekte überhaupt noch in diesem Jahr anschieben?

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Ich bin gerade in den Verhandlungen mit den anderen Ministerinnen und Ministern. Am 24. Juni werden wir den Haushalt im Kabinett beschließen, dann geht er in den Bundestag. Es kann jetzt wirklich schnell losgehen. Das hat viel mit Psychologie zu tun. Der Blick auf Deutschland verändert sich gerade, das zeigt auch der jüngste OECD-Länderbericht, der sagt: Mit Investitionen sorgen wir für neues Wachstum. Als Finanzminister mache ich Druck, dass die Mittel schnell fließen und jeder Euro richtig eingesetzt wird. Alle sollen sehen: Hier passiert etwas, es geht ein Ruck durchs Land.

Wie können Sie Druck machen?

Mit klaren Prioritäten, wie wir Deutschland modernisieren. Dafür haben wir durch die Verfassungsänderungen jetzt endlich Handlungsspielräume. Ich habe gerade erst erlebt, wie eine Regierung am Streit um wenige Milliarden zerbrochen ist. Daraus haben wir gelernt. Und schließlich wird es ein Wettrennen der Minister geben: Wer kann am schnellsten Dinge umsetzen?

Viele Experten sagen: Man kann das Geld gar nicht so schnell ausgeben, weil die Firmen noch nicht die Leute und Maschinen haben. Dann steigen nur die Preise.

Wenn wir rund 150 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode für moderne Infrastruktur ausgeben, stehen für die nächste immer noch rund 150 Milliarden bereit. Damit haben die Unternehmen Planungssicherheit, um Kapazitäten aufzubauen, was mittel- und langfristig preisdämpfend wirkt.

Schon jetzt klagen die Leute über zu viele Baustellen. Droht die Gefahr, dass Ihre Bauwut das Land vollends lahmlegt?

Kaputte Brücken legen das Land auch lahm. Vor allem aber legt es das Land lahm, wenn an vielen Küchentischen diskutiert wird, ob der Arbeitsplatz noch sicher ist und wie die Familie über die Runden kommt. Die Kollegen von Thyssenkrupp oder Volkswagen, fleißige Menschen, die immer gedacht haben, ihr Arbeitsplatz ist sicher: Auch sie müssen auf einmal Gespräche darüber führen, wie die Zukunft aussieht.

Die Absatzprobleme der deutschen Autoindustrie lösen Sie doch nicht durch Geld für Infrastruktur.

Nein, aber damit stärken wir den Wirtschaftsstandort Deutschland. Außerdem sorgen wir gerade mit Super-Abschreibungen und niedrigeren Unternehmenssteuern für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig werden andere Standorte unattraktiver, zum Beispiel die USA durch die Handelspolitik Donald Trumps. Und wir machen auch anderes: Wir senken die Energiepreise, wir ent­bürokratisieren und drängen auf eine schnelle Zolleinigung.

Neuerdings weisen die Konjunkturprognosen etwas nach oben. Sagen Sie jetzt wie Ihr früherer Chef Gerhard Schröder schon im Wahlkampf 1998: Das ist mein Aufschwung?

Ich verspüre nach fünf Wochen im Amt keinerlei Drang, mich zurückzulehnen und zu sagen: Die Wende ist eingeleitet, alles gut. Im Gegenteil. Ich möchte als Finanzminister dazu beitragen, dass es ein Aufschwung für das ganze Land wird, notfalls auch mit unorthodoxen Methoden. Beim Neubau der maroden Autobahnbrücke am Berliner Funkturm wird rund um die Uhr gearbeitet. Außerdem gibt es Entschädigungen für die Anwohner, die betroffen sind.

Das macht die Investitionen allerdings noch teurer.

Baustellen, die nie fertig werden, sind auch teuer. Nichts kostet uns am Ende mehr als Stillstand.

Das liegt nicht nur am Geld. Im Westen von Frankfurt wird eine Regionalbahn noch jahrelang gar nicht fahren, weil gerade an der Frankfurter Westtangente gebaut wird. Das geht auch mit mehr Geld nicht schneller.

Die Ministerinnen und Minister auf Bundes- und Landesebene haben genügend Ideen, wo im Land schnell investiert werden kann.

Ihr Berater Jens Südekum soll auch für die Effizienzkontrolle zuständig sein, haben Sie angekündigt. Welche Maßstäbe legen Sie da an?

Zum Beispiel die Frage: Wie viel wird investiert, und was können wir tun, damit noch zügiger investiert und das Geld genau dort eingesetzt wird, wo es die stärkste Wirkung hat? Da gibt es noch viele Hürden, die wir überwinden müssen.

Zum Beispiel erklären wir jetzt den Ausbau von schnellem Internet und Mobilfunk zum überragenden öffentlichen Interesse, damit er schneller umgesetzt werden kann. Das hat zuletzt beim Ausbau der Windkraft gut funktioniert. Wir machen weniger Kontrollen und fahren dafür die Haftung hoch für Leute, die bei Regelverstößen erwischt werden.

Dann verlieren Sie ein Stück weit die Kontrolle über das Geld.

Das ist ein Balanceakt. Als Finanzminister muss ich nachweisen, was mit dem Geld passiert. Aber es gibt Kommunen, die stellen erst gar keine Förderanträge an den Bund, weil sie sagen: Die Bürokratie erschlägt mich. Da müssen wir ran.

Die Länder nehmen das Geld für Investitionen gern – und nutzen es dann für anderes.

Was heißt denn „für anderes“? Wenn eine Landesfinanzministerin sagt: Jetzt können wir eine Kita in zwei statt in acht Jahren bauen, dann ist das zwar nicht unbedingt eine zusätzliche Investition, aber eine schnellere. Und auch das wird etwas auslösen im Land.

Wenn Sie für diese schöne Kita dann auch Erzieher finden.

Seien Sie doch nicht so defätistisch! Erst mal ist es gut, wenn es die moderne Kita gibt. Irgendwann wird Alexander Dobrindt von den Grenzkontrollen auch dahin kommen, wie wir Fachkräfte ins Land bekommen. Da haben wir Verab­redungen im Koalitionsvertrag, und dann wird er zusammen mit unserer Arbeitsministerin Bärbel Bas auch dafür sorgen, dass wir viel mehr Erzieherinnen hier haben. Wir sind Einwanderungsland, das müssen wir stärker betonen und politisch gestalten. Das gilt übrigens auch für Wissenschaftler aus den USA, für die Deutschland ein attraktiver Forschungsstandort sein kann angesichts der Attacken, die manche Spitzenuniversitäten dort gerade erleben müssen.

Der Fokus darauf, dass jetzt schnell gebaut wird, am besten auch sonntags: So hat die SPD früher nicht getickt.

In der Sozialdemokratie, die ich vertrete, haben die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Sicherheit von Arbeitsplätzen schon immer eine große Rolle gespielt. Ich habe in der letzten Legislaturperiode sehr früh gesagt, wir müssen das Thema Wirtschaft nach vorn schieben. Dann wäre vielleicht einiges anders gelaufen. Leider war das nicht überall Konsens.

Ein kleines Problem gibt es allerdings noch. Mit den Sonderschulden kommen Sie locker über die Dreiprozentgrenze aus dem Maastrichter Abkommen. Wird die EU das mitmachen?

Die EU-Kommission hat ebenso wie viele Staaten der Eurogruppe und der EU schon klar signalisiert: Es ist richtig, dass Deutschland jetzt einen klaren Investitionskurs fährt und für neues Wachstum sorgt. Es freuen sich alle, dass Deutschland jetzt massiv investiert – nicht nur in Sicherheit und Verteidigung, sondern auch in Infrastruktur, Digitalisierung und Klimaschutz. Sobald wir den Haushaltsentwurf im Kabinett beraten haben, gehen wir in die Gespräche mit Brüssel.

Das deutsche Vorgehen könnte allerdings auch andere Länder ermutigen, es mit den Brüsseler Schuldenregeln nicht allzu genau zu nehmen.

Die Regeln gelten für alle gleich. Ich freue mich über jedes Land, das investiert. Und wenn Deutschland als Lokomotive vorangeht, dann profitieren auch die anderen Länder davon. Nicht nur ökonomisch und finanziell, sondern zum Beispiel auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Gutes Stichwort: Alles, was im weitesten Sinne der Verteidigung dient, ist sowieso von der Schuldenbremse ausgenommen.

Stimmt. Boris Pistorius ist der einzige Minister, mit dem ich nicht über Geld aus dem Sondervermögen verhandeln muss.

Theoretisch können Sie jede Brückensanierung als Verteidigungsausgabe deklarieren, wenn dann auch Panzer darüber fahren können.

Das schauen wir uns genau an, welche Investitionen im Zusammenhang mit der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes stehen und welche nicht. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass sich die Ampelkoalition am Ende über drei Milliarden Euro für die Ukraine zerstritten hat. Ich bin froh, dass wir uns nicht mehr zwischen Investitionen in Verteidigung und Investitionen in die Bahn entscheiden müssen.

Die Verteidigung kann man nicht auf ewig über immer neue Kredite finanzieren. Wie bekommen Sie das auf Dauer hin?

Da sind wir noch nicht. Mindestens zwei Jahrzehnte lang haben wir unsere Verteidigung vernachlässigt. Das müssen wir in kurzer Zeit aufholen. Ich möchte vor die Bürgerinnen und Bürger treten und sagen können: Wir tun alles, damit ihr hier sicher lebt. Lassen Sie uns über Ihre Frage noch mal reden, wenn wir den Rückstand aufgelöst haben.

Es gibt eine Studie der Denkfabrik Bruegel, wonach Deutschland seine Rüstungsgüter so teuer einkauft wie kaum ein anderes Land.

Es ist wichtig, dass wir in der EU gemeinsam einkaufen und viel effizienter werden. Daran arbeiten wir. Ich war lange genug im Verteidigungsausschuss, um zu wissen: Diese nationalen Goldrand­lösungen, wo der eine im Fahrzeug noch einen fünften Sitz und der andere einen Aschenbecher will, das wird nicht mehr gehen. Wir brauchen standardisierte Lösungen in Europa.

Brauchen wir wirklich so viele Panzer, wie der Rheinmetall-Chef behauptet, oder sind günstige Drohnen heutzutage viel wichtiger?

Wie sich Kriegsführung täglich verändert, sehen wir in der Ukraine. Ich habe volles Vertrauen in Boris Pistorius, dass er die neuen finanziellen Möglichkeiten gut nutzt.

Dass er sich nicht über den Tisch ziehen lässt?

Boris Pistorius lässt sich nicht über den Tisch ziehen.

Nun haben gerade prominente SPD-Mitglieder in einem offenen Brief die Aufrüstung kritisiert und Friedensgespräche mit Russland gefordert. Haben Sie in Sachen Verteidigungsausgaben noch den Rückhalt der eigenen Partei?

Da mache ich mir keine Sorgen. Wir haben gerade ein Votum der Parteibasis bekommen, wo 85 Prozent der Parteimitglieder einem Koalitionsvertrag zugestimmt haben, in dem wir uns klar zu NATO-Zielen und der Stärkung von Sicherheit und Verteidigung bekennen. Der Kurs von Olaf Scholz, dass wir als größter Unterstützer in Europa solidarisch an der Seite der Ukraine stehen, wird weitergehen. Die Verteidigung der Ukraine ist auch die Verteidigung der Sicherheit Europas, unserer Sicherheit. Mit mir wird es keine Kehrtwende in der Ukrainepolitik geben, und da fühle ich mich von meiner Partei unterstützt.

Daran ändert der offene Brief nichts?

Ich finde, dass wir in unserer Gesellschaft viel zu wenig diskutieren. Wir sollten uns nicht gegenseitig unterstellen, dass die einen für Frieden sind und die anderen nicht. Ich teile vieles nicht, das in diesem Debattenbeitrag steht. Diplomatie und militärische Stärke gehören für mich zusammen. Nur aus dieser Position heraus können wir dem Kriegsverbrecher Putin begegnen.

Wann dürfen wir Sie fragen, wie die Bilanz des Investitionsprogramms aussieht?

Schon am 24. Juni, wenn wir den aktuellen Haushalt im Kabinett beschließen und damit zeigen, wo wir die Schwerpunkte setzen vom Wohnungsbau, über Bildung bis hin zu Krankenhäusern. Wir werden im Ministerium regelmäßige Investitionsberichte erstellen, auch zu der Frage: Was kann getan werden, damit noch mehr Mittel sinnvoll abfließen können? Anders als manch ein Vorgänger freue ich mich nicht, wenn ich das Geld behalten kann – und im Land nichts vorangeht. Ich will als Finanz­minister ein Investitionsminister sein.

Ihr Vizekanzler-Vorgänger Robert Habeck sagte uns zum Amtsantritt, er wolle das Antlitz des Landes verändern. Was möchten Sie erreichen?

Ich möchte gern dafür sorgen, dass die Stimmung in diesem Land ein bisschen besser wird. Daran arbeite ich jeden Tag.

Das Gespräch führten Patrick Bernau und Ralph Bollmann.