Was in der Klima- und Energiepolitik falsch läuft

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Deutschland ist für eine wirksame Energie- und Klimapolitik nicht ausreichend gerüstet. Es mangle an „staatlicher Handlungs- und Steuerungsfähigkeit“, kritisiert eine Gruppe von Wissenschaftlern des „Ariadne-Projekts“, das Strategien zur Energiewende erforscht. Symptomatisch für die Defizite sei die mehrfache Verfehlung der Klimaziele in den Bereichen Gebäude und Verkehr und die wiederholte Verurteilung des Bundesregierung durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu effektiven Sofortprogrammen zum Klimaschutz, heißt es in einem Papier, das der F.A.Z. vorliegt.

Die Wissenschaftler empfehlen unter anderem, die Klima- und Energiepolitik innerhalb der Bundesregierung neu zu koordinieren. Dafür soll gleichsam eine der „heiligen Kühe“ der Regierungsarbeit entweiht werden: das Ressortprinzip, nach dem die Bundesminister ihren Geschäftsbereich innerhalb des festgelegten politischen Rahmens eigenverantwortlich leiten. Das Ressortprinzip behindere, ebenso wie parteipolitische Konkurrenz, eine effektive Zusammenarbeit, da es auf die Absicherung eigener Zuständigkeiten und Einflussbereiche ausgerichtet sei, heißt es in dem Papier. Dieses Hemmnis gelte es durch „positive Koordination“ zu überwinden und zwar möglichst schon bei der Fortschreibung des Klimaschutzprogramms im laufenden Jahr.

Federführend zuständig für die notwendige Bündelung von Klimaschutzmaßnahmen ist Bundesklimaschutzminister Carsten Schneider (SPD). Doch nicht Schneiders Haus sollte die Vorbereitung übernehmen, sondern „ein alle Ressorts integrierender interministerieller Steuerungskreis auf Arbeitsebene“, beschrieb die Professorin für Verwaltungs- und Umweltrecht, Sabine Schlacke von Universität Greifswald, der F.A.Z. einen der Kernvorschläge. So lasse sich vermeiden, dass erst im Nachhinein Einwände abgearbeitet und Abwehrgefechte geführt werden, ergänzte die Politikwissenschaftlerin Michèle Knodt von der Technischen Universität Darmstadt.

Blockaden im föderalen Gefüge

Die Ariadne-Wissenschaftler reiben sich an Arbeiten der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“. Gründer der Initiative sind die ehemaligen Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD), der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, und die Medienmanagerin Julia Jäkel, die im Frühjahr einen Zwischenbericht vorlegten. Die Befunde und Empfehlungen griffen für die Klima- und Energiepolitik allerdings „zu kurz“, heißt es in der Replik der Ariadne-Autoren auf den Zwischenbericht.

So findet der Vorschlag der Initiative für eine Neuauflage des Klimakabinetts zwar Zustimmung, sei aber nicht ausreichend. Das Klimakabinett greife erst spät in den Entscheidungsprozess ein – „meist dann, wenn ressortspezifische Positionen bereits verfestigt und abgestimmt sind“, gibt Knodt zu bedenken. Nach seiner Schaffung im Jahr 2019 hatte der Kabinettsausschuss, der die gemeinsame Verantwortung für das Erreichen der Klimaziele stärken sollte, nur ein Schattendasein geführt. Skeptisch äußern sich die Ariadne-Wissenschaftler auch zu den Klima- und Energiechecks, welche die Initiative für einen handlungsfähigen Staat für eine verbesserte Gesetzgebung vorschlägt. Diese Instrumente würden aller Wahrscheinlichkeit eine „zeitraubende Formalie“ bleiben.

Einen anderen Weg, als ihn die Initiative für einen handlungsfähigen Staat vorschlägt, empfehlen die Autoren auch zur Behebung von Blockaden im föderalen Gefüge. Die Vorschläge der Initiative, föderale Zuständigkeiten zu entflechten, schätzten „die Grundprinzipien des deutschen Föderalismus nicht ausreichend wert“. Vielmehr gelte es, die Potentiale des Föderalismus zu heben, etwa um regional angepasste Lösungen zu entwickeln und damit die Akzeptanz für den Ausbau der Erneuerbaren Energien vor Ort zu fördern. Oft fehle es aber an einem gemeinsamen strategischen Verständnis, wie man etwa bei der Wärmeplanung sehe.

„Frühzeitiger und strukturierter“

Die Koordination der Klima- und Energiepolitik zwischen Bund, Ländern und Kommunen sollte „frühzeitiger und strukturierter angelegt werden“, fasst Christian Flachsland, Professor für Klimapolitik an der Berliner Hertie School of Governance, die Empfehlungen zusammen. Denkbar wäre zum Beispiel eine Aufwertung des Bund-Länder-Kooperationsausschusses für den Ausbau der Erneuerbaren Energien, heißt es. Der Fokus sollte erst einmal darauf liegen, leistungsfähige Koordinationsmechanismen zu schaffen. Erst wenn das nicht funktioniere, sollten perspektivisch auch Neuordnungen der Gesetzgebungskompetenzen im Föderalismus oder eine neue Gemeinschaftsaufgabe Klimaschutz und -anpassung diskutiert werden, legt Thorsten Müller, Mitgründer der Stiftung Umweltenergierecht, dar.

Die Ariadne-Wissenschaftler raten der Bundesregierung, den Vollzug von Klimaschutzvorgaben stärker in den Blick zu nehmen. Ein Hindernis sei „die oft asymmetrische Ausstattung von Ländern und Kommunen mit Know-how und Finanzmitteln“. Aber Geld sei nicht alles. Die Autoren empfehlen einen Mechanismus für den Fall, dass Klimaschutzziele des Bundes nicht ausreichend berücksichtigt werden. Vorbild könnte eine Regelung sein, wie sie schon für den Ausbau der Windenergie existiere: Zunächst sei es Sache der Länder, selbst oder durch Kommunen Flächen im bundesgesetzlich vorgeschriebenen Umfang für Windkraft auszuweisen. Im Fall der Säumnis verlieren die Planungsträger allerdings ihre Entscheidungsfreiheit, die Besiedelung des Außenbereichs mit Windkraftanlagen gezielt zu steuern. Eine solche im Bundesrecht angelegte „hierarchische Autoritätsstruktur“ könne auch in anderen Bereichen klima- und energiepolitische Handlungsfähigkeit stärken.