Die Militarisierung der amerikanischen Politik

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Es ging alles wahnsinnig schnell. Schon an Tag zwei der Proteste in Los Angeles schickte Präsident Donald Trump die Nationalgarde nach Kalifornien – zum ersten Mal seit sechzig Jahren ohne Zustimmung des Gouverneurs. An Tag drei standen die ersten Soldaten in der Innenstadt. An Tag vier, es waren gerade einmal 300 der 2000 Nationalgardisten im Einsatz, legte Trump nach: Es kämen weitere 2000 Mann und außerdem noch 700 Marineinfanteristen, um „die Gesetzlosigkeit zu bekämpfen“. Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom sprach von ei­nem rechtswidrigen Einsatz, Los Ange­les’ Bürgermeisterin Karen Bass von ei­ner gewollten Provokation.

Die Bilder aus Los Angeles hatten es in sich: Vor den Bundesgebäuden in der Innenstadt standen neben Polizisten mit Schlagstöcken nun auch Soldaten in Flecktarn, mit Helmen, mannshohen Schutzschilden und Sturmgewehren. Vor dem Gefängnis, in das festgenommene Migranten gebracht werden und das deshalb zum Fixpunkt der Demonstranten geworden ist, parkte neben gepanzerten Polizeiwagen auch ein sandfarbener Humvee: ein Fahrzeug, das man von Aufnahmen aus Kriegsgebieten kennt. Im ersten Stock waren Scharfschützen positioniert.

Reiterpolizisten stehen vor der Stadtverwaltung in Los Angeles Demonstranten gegenüber.
Reiterpolizisten stehen vor der Stadtverwaltung in Los Angeles Demonstranten gegenüber.Anadolu

Es sind Bilder einer Machtdemonstration, wie Trump sie gewollt hatte. Los Angeles, Kalifornien und der Demokrat Newsom stehen in Amerika für das, was die Trump-Regierung ablehnt: eine Mi­granten zugewandte Politik und den vom Präsidenten vielfach verdammten „Wokismus“. Newsom als „inkompetent“ zu beschimpfen, dessen Befugnisse an sich zu reißen und mit dem Einsatz von Soldaten „beherztes“ Handeln für die innere Sicherheit zu zeigen, bringt Trump Punkte bei seinen Anhängern. Umso mehr, weil Trump sich gerade öffentlich mit Elon Musk überworfen hat.

Die Botschaft: Trump, der Oberbefehlshaber, rettet Los Angeles mithilfe des großartigen amerikanischen Militärs vor dem Untergang. Seit Beginn der Proteste hat der Präsident in den sozialen Medien mehr als ein halbes Dutzend Mal behauptet, ohne sein Handeln gäbe es die Stadt jetzt nicht mehr, wäre Los Angeles „bis auf die Grundmauern niedergebrannt“. Dabei geht ein wichtiges Detail unter: Die Marines sind bis zum Wochenende überhaupt nicht im Einsatz gewesen, die Nationalgarde war es nur zu Teilen. Alle „Schlachten“ mit den De­monstranten hat die Polizei von Los Angeles geschlagen.

Trump will die Menschen wohl an den Anblick des Militärs gewöhnen

Die Nationalgarde darf in Kalifornien nur eines tun: beschützen. Sollen die Soldaten eingreifen, müsste Trump den „Insurrection Act“ anwenden, der dem Militär im Falle von Aufständen den Einsatz im Inland erlaubt. Doch an dieser Stelle war Trump trotz großer Töne zunächst vorsichtig. Er behauptete, die Demons­tranten seien „bezahlte Aufständische“, sagte auf Nachfrage aber nur, er werde sich „sicherlich“ auf das Gesetz berufen, „wenn es zu einem Aufstand kommt“.

Kritiker mutmaßen, es reiche Trump, die Amerikaner an den Anblick des Militärs auf den eigenen Straßen zu gewöhnen. Auch ein Sprecher des Pentagons äußerte sich in diesem Sinne. Er kommentierte einen Medienbericht, wonach mehr amerikanische Soldaten in Los Angeles stationiert seien als im Irak (2500) oder Syrien (1500), mit den Worten, „genau dafür“ hätten die Amerikaner bei der Wahl gestimmt: „die Verteidigung unseres Volkes und unseres Landes“. Im Geheimen sollen das Weiße Haus und das Heimatschutzministerium schon seit Monaten überlegt haben, wie man das Militär breiter zur Unterstützung der Migrationspolitik der Regierung einsetzen könne. Seiner Stärke – aber auch seiner Außenwirkung wegen.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Vier Tage nach der Ankunft der ersten Soldaten in Los Angeles veröffentlichte das Heimatschutzministerium Aufnahmen, auf denen diese Festnahmen von Migranten absichern. Trumps Grenzbeauftragter Tom Homan sagte in einem Interview dazu, dies sei „sicherlich eine Ausweitung“ der Zuständigkeiten, aber eine „notwendige“. Man habe eine „verdammt große Aufgabe“ vor sich, deswegen wolle man alle verfügbaren Ressourcen nutzen.

Im Fall der Nationalgarde gilt das angeblich nur für den Schutz der Beamten der Einwanderungsbehörde ICE. Doch Trump ließ in einer Rede auf der Militärbasis Fort Bragg in North Carolina am Dienstag keinen Zweifel daran, dass für ihn das Verständnis eines unpolitischen Militärs passé ist.

Amerikanische Präsidenten nutzen Re­den vor Militärangehörigen gern als Kulisse für starke Auftritte als Oberbefehlshaber. Im Falle Trumps war der Auftritt in Fort Bragg genaustens vorbereitet. Laut amerikanischen Medien gab es vorab interne Anweisungen. Zum Beispiel: „keine fetten Soldaten“. Ein anderer Hinweis lautete, Soldaten, deren po­litische Ansichten denen der aktuellen Re­gierung widersprächen und die der Rede nicht beiwohnen wollten, müssten mit ihren Vorgesetzten sprechen und ausgetauscht werden.

Wie bei einer Wahlkampfveranstaltung: Präsident Trump spricht am Dienstag auf der Militärbasis Fort Bragg vor jubelnden Soldaten.
Wie bei einer Wahlkampfveranstaltung: Präsident Trump spricht am Dienstag auf der Militärbasis Fort Bragg vor jubelnden Soldaten.Bloomberg

Am Ende jubelten die Uniformierten Trump zu wie bei einer Wahlkampfveranstaltung. Der Präsident zog derweil über seinen Vorgänger Joe Biden her, bezeichnete die Demons­tranten in Los Angeles als „Tiere“ und schimpfte auf die „Fake News“.

Trumps Verhältnis zur Armee ist ambivalent. Er liebt seine Rolle als Oberbefehlshaber, hat selbst aber nie gedient. Als Student konnte er sich der Einberufung zu Zeiten des Vietnamkriegs viermal entziehen. Nach seinem Abschluss wurde er wegen eines Fersensporns vom Wehrdienst befreit. In den vergangenen Jahren fiel er außerdem immer wieder mit despektierlichen Kommentaren über Soldaten auf. So sagte er etwa in einem Interview über den inzwischen verstorbenen Senator John McCain, der sechs Jahre in vietnamesischer Kriegsgefangenschaft war: „Ich mag Leute, die nicht gefangen wurden, okay? Tut mir leid, das sagen zu müssen.“

In seiner ersten Amtszeit wollte Trump sich laut John Kelly, seinem zeitweiligen Stabschef im Weißen Haus, nicht mit Soldaten mit Amputationen zeigen. Denn das, so Trump, sehe „nicht gut für mich aus“. 2017 soll er am Memorial Day auf dem Nationalfriedhof in Arlington zwischen Gräbern von in Af­ghanistan und im Irak Gefallenen zu Kelly gesagt haben: „Ich verstehe das nicht. Was hatten die davon?“

Schon 2020 liebäugelte Trump mit dem „Insurrection Act“

Im vergangenen August scherzte er bei der Vergabe einer hohen Auszeichnung für Zivilisten, diese entspreche der „Medal of Honor“. Sie sei aber „eigentlich viel besser“ als die höchste militärische Auszeichnung, denn die gehe schließlich an Soldaten, „die entweder in sehr schlechter Verfassung sind, weil sie so oft von Kugeln getroffen wurden, oder die tot sind“.

Schon 2020 spielte Trump mit dem Gedanken, reguläre Streitkräfte auf die Straßen Amerikas zu schicken. Das war nach dem Mord an George Floyd in Minneapolis. Der Polizist Derek Chauvin, der später wegen Mordes zu einer Haftstrafe von 22 Jahren verurteilt wurde, hatte bei der Festnahme des Afroamerikaners mehr als neun Minuten lang sein Knie auf dessen Hals gepresst, während dieser röchelte, er bekomme keine Luft. In der Folge brachen die schwersten Unruhen in den Vereinigten Staaten seit dem Attentat auf Martin Luther King im Jahr 1968 aus.

Für Trump war das ein Moment, den Amerikanern zu zeigen, dass die Demokraten nicht für Recht und Ordnung sorgen könnten. Schon damals dachte er darüber nach, den „Insurrection Act“ in Anspruch zu nehmen. Und schon damals ging es auch darum, die präsidentiellen Befugnisse auszudehnen – nicht zuletzt als Oberbefehlshaber. Was damals anders war: Maßgebliche Kabinettsmitglieder und das Militär zogen nicht mit.

2020 patrouillierten während der Demonstrationen nach dem Tod George Floyds bewaffnete Polizisten; die Armee war damals nicht im Einsatz.
2020 patrouillierten während der Demonstrationen nach dem Tod George Floyds bewaffnete Polizisten; die Armee war damals nicht im Einsatz.AP

Im Mai 2020 schwappten die Proteste von Minneapolis allmählich über auf andere Städte – von der Westküste bis zur Ostküste. Sie erreichten auch die Hauptstadt Washington, wo sich die „Black lives matter“-Bewegung im La­fayette-Park vor dem Weißen Haus versammelte. Mark Milley, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, war gerade im Weißen Haus, als Trump sich zu ei­ner Machtdemonstration entschloss: Er ließ den Platz räumen und marschierte in einer größeren Gruppe, darunter ne­ben Verteidigungsminister Mark Esper und Justizminister William Barr auch der uniformierte Milley, zur St. John’s Church, wo er in einer seltsamen Geste eine Bibel hochhielt.

Als Trump später erfuhr, dass Esper geäußert hatte, eine Anwendung des Aufstandsgesetzes lehne er ab, fuhr er ihn an: „Du hast mir meine Autorität genommen. Du bist nicht der Präsident. Ich bin der verdammte Präsident.“ Dann wandte er sich an die anderen Berater im Raum: „Ihr seid alle abgefuckt.“ Noch schreckte Trump davor zurück, Esper zu entlassen. Die Sprecherin im Weißen Haus sagte auf die Frage, ob der Präsident noch Vertrauen in seinen Verteidigungsminister habe: Im Moment sei Minister Esper noch Minister Esper.

Tausende demonstrieren am Montag in L.A. gegen die Razzien gegen Immigranten.
Tausende demonstrieren am Montag in L.A. gegen die Razzien gegen Immigranten.AFP

Milley erklärte später, es sei ein Fehler gewesen, Trump bei der Aktion begleitet zu haben. Die Aktion habe den Eindruck erweckt, dass das Militär sich in die Innenpolitik einmische. Man müsse sich an den tief in der Republik verwurzelten Grundsatz halten, dass das Militär unpo­litisch sei. Die Soldaten hätten einen Eid auf die Verfassung abgelegt, welche den Amerikanern das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gebe.

Espers und Milleys Reaktion wies Trump in die Schranken: Der Präsident rief nicht das Kriegsrecht aus und ließ auch das Militär in den Kasernen. Esper und Milley waren aber angezählt. Und die eigentliche Eskalation sollte erst noch folgen: beim Sturm auf das Kapitol Anfang 2021.

Als sich im Herbst 2020 in Portland im Bundesstaat Oregon Anarchisten un­ter die „Black-lives-matter“-Demons­tran­­ten mischten und Steine auf Poli­zisten warfen, versammelten sich Hunderte rechtsradikale „Proud Boys“ in der Stadt, um selbst für Ordnung zu sorgen. Trump hatte da schon gesagt, er könne die Wahl im November nur verlieren, wenn die andere Seite betrüge.

Trump will Generäle, die so loyal sind wie die von Hitler

Über Wo­chen wurde der Plot geplant, den friedlichen Machtwechsel zu verhindern. Und Trump signalisierte den „Proud Boys“ mit den Worten „Haltet euch zurück und haltet euch bereit“, er könnte sie brauchen. Sie und andere Milizen führten den Sturm zur Unter­brechung der Kongresssitzung an, in der Joe Bidens Wahlsieg beglaubigt werden sollte.

Wenn es um das Militär geht, ist Trump voller Widersprüche. Sein Wille, Amerika aus Kriegen in fernen Ländern herauszuhalten, ist eine seiner wenigen Konstanten. Immer wieder droht er aber anderen Ländern militärisch, auch Verbündeten. Er hat eine pubertäre Lust an martialischen Posen und schwärmt immer wieder von Diktaturen. Sein früherer Stabschef Kelly berichtete nach dem Bruch mit dem Präsidenten, dass Trump ihm gesagt habe, Hitler habe auch ei­niges gut gemacht. Und er bewundere, dass dessen Generäle absolut loyal gewesen seien. Er brauche auch solche Ge­neräle.

Noch ist vor allem die Polizei in L.A. im Einsatz.
Noch ist vor allem die Polizei in L.A. im Einsatz.AFP

Gouverneur Newsom hat dieser Tage daran erinnert, dass Trump Gesetzlosigkeit und Gewalt nicht ablehne, „solange diese ihm dienen“ – wie beim Sturm auf das Kapitol. Damals gehörte alles zusammen: Linke Demonstranten nutzte Trump für einen autoritären Gegenschlag der Staatsgewalt – assistiert von rechtsradikalen Privatmilizen. Milley selbst fürchtete damals einen „Reichstagsmoment“ – gemeint war der Reichstagsbrand im Februar 1933 in Berlin, den Hitler nutzte, um Deutschland gleichzuschalten. Milley schloss nicht aus, dass der 6. Januar nur eine Generalprobe für einen größeren Schlag sein könnte.

Der General wusste von den Nachrichtendiensten, dass man in China, Russland und Iran in Alarmbereitschaft war. Könnte Trump in seinen letzten Amtstagen eine außenpolitische Krise herbeiführen, um seinen Putschplan doch noch zu vollenden? Also rief Milley sein chinesisches Gegenüber an, um Peking zu beruhigen: Alles sei stabil, der 6. Januar sei nur ein „schluderiger“ Tag der Demokratie gewesen, behauptete er.

Auch Nancy Pelosi, die damalige Sprecherin des Repräsentantenhauses und Nummer drei im Staat, war in Sorge, dass Trump Feindseligkeiten gegenüber dem Ausland anzetteln könnte, um einen Notstand herbeizuführen. Die Demokratin ließ sich in einem Telefonat mit Milley zusichern, dass man mit Blick auf die amerikanischen Nuklearwaffen alles tun werde, um etwas Illegales und Verrücktes zu verhindern. Damit war Trump als Oberbefehlshaber faktisch abgesetzt. So sah das die Verfassung nicht vor. Aber so war die Lage.

Gegenwärtig gibt es diese „Checks and Balances“ nicht. Der Kongress ist gefügig. Verteidigungsminister Pete Hegseth ist selbst ein Zündler – er war es, der die Marineinfanteristen in Kalifornien in Alarmbereitschaft versetzte, bevor Trump daran gedacht hatte. Auch der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs ist ein loyaler Trumpist. Und so schreitet die Militarisierung der amerikanischen Politik weiter voran. Am Samstag werden in Washington Panzer auffahren. Anlass ist eine Militärparade zum 250. Gründungstag der U.S. Army – der zufällig auch der Geburtstag des Präsidenten ist.