Gesellschaftliches Tabu
Wechseljahre: “Frauen fällt es schwer, darüber zu sprechen”
Aktualisiert am 15.06.2025 – 06:00 UhrLesedauer: 4 Min.

Hitzewallungen, Depressionen: Wechseljahre können mit vielen Problemen einhergehen. Millionen Frauen sind betroffen, doch lange war das Thema ein Tabu: Nun wird es präsenter – auch in Unternehmen.
Sybille Müller fächelt sich Luft zu, streicht sich die Haare nach hinten. “Ich schwitze wie Harry. Es gibt keine Klimaanlage hier, oder?”, fragt die 47-Jährige während des Interviews in der Praxis ihres Arztes. “Bin ich rot im Gesicht? Jetzt ist mir richtig heiß im Gesicht.” Müller – halblange blonde Haare, schwarzer Blazer, dezenter Goldschmuck – sieht gut aus, frisch. Aber sie fühlt sich nicht so. Hitzewallungen plagen sie seit Jahren, besser wurde es erst, seit sie Hormonpflaster verwendet.
Sybille Müller, die eigentlich anders heißt, ist eine von Millionen Frauen in Deutschland, die unter den Wechseljahren leiden. Wenn die Eierstöcke langsam aufhören, die Hormone Östrogen und Progesteron zu produzieren, kann das bei Frauen zu massiven Beschwerden führen: Hitzewallungen, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, Scheidentrockenheit, Konzentrationsschwierigkeiten. Rund 30 Prozent der Frauen in den Wechseljahren leiden unter leichten, 50 Prozent unter stärkeren Problemen, wie Thomas Strowitzki vom Universitätsklinikum Heidelberg sagt.
So viele betroffene Frauen – und trotzdem ist das Thema lange ein Tabu gewesen. Öffnet sich die Gesellschaft aktuell oder sind Wechseljahre immer noch etwas, über das Frau lieber nicht spricht?
“Ich höre immer wieder von Frauen, dass es ihnen schwerfällt, darüber zu sprechen”, sagt Mandy Mangler, Chefärztin an zwei Vivantes Auguste-Viktoria-Kliniken in Berlin. “Das ist schon sehr tabuisiert, weil das auch etwas mit Altern zu tun hat, mit Türen, die sich schließen.” Mangler sagt allerdings auch: “Die Gesellschaft verändert sich ein bisschen.” In den Medien seit das Thema präsenter.
Bei den meisten Frauen beginnen die Wechseljahre laut Strowitzki mit Mitte 40. Bei Sybille Müller fingen sie bereits mit etwa 40 Jahren mit Schlafstörungen an. Mit 43 Jahren kamen dann Hitzewallungen dazu. Sie entschied sich, zu ihrer Gynäkologin zu gehen – die ihr allerdings nicht weiterhalf, wie Müller erzählt.

“Die hat da gar nichts unternommen, auch kein Blut abgenommen, mal die Hormonwerte geschaut.” Die Ärztin habe sie untersucht und gesagt, es sehe alles normal aus. Müller wendet sich stattdessen an Strowitzki, der ihr nach einem Bluttest Hormone verschreibt. Sie testet erst ein Hormongel, dann die Pflaster, die sie alle zwei, drei Tage austauscht.
Warum fällt es Frauen immer noch schwer, über ihre Wechseljahre zu sprechen? “Das Ausbleiben der Regelblutung ist der erste Point of no Return im Leben und ein erstes Zeichen unserer “Endlichkeit””, sagt Katrin Schaudig, Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft. “Mit der Fruchtbarkeit ist jetzt Schluss.” Das habe mit Älterwerden zu tun – was wiederum in unserer Gesellschaft kritisch betrachtet werde. Dazu komme noch eine gerade bei Frauen verbreitete Haltung: “Stell dich nicht so an, stell dich selber nicht in den Vordergrund” – nur nicht über Schmerzen und Probleme klagen.
Und trotzdem finde eine Enttabuisierung statt. “Frauen werden selbstbewusster in dieser Gesellschaft”, sagt Schaudig. “Wenn Sie so wollen, ist es vielleicht Teil eines feministischen Bewusstseins.” Dabei gehe es auch um die Gleichstellung der Geschlechter – so wie es etwa Bestrebungen gegen die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern gebe.
Neun Millionen Frauen in Deutschland in den Wechseljahren
Die 64-jährige Frauenärztin aus Hamburg, die in ihrem Podcast “Hormongesteuert” mit den Wechseljahren einhergehende Probleme wie die Zunahme des Bauchfetts erklärt, ist auch Teil der Initiative “Wir sind neun Millionen”. Die setzt sich für eine Enttabuisierung der Wechseljahre und eine bessere Versorgung von Frauen ein.