Wenn die USA und China sich in diesen Wochen zu Verhandlungen treffen, dann prallen Welten aufeinander. Auf der einen Seite führt US-Finanzminister Scott Bessent die Delegation an. Bessent hat, ähnlich wie Handelsminister Howard Lutnick, jahrzehntelang in der Finanzelite gearbeitet, war Hedgefunds-Manager bei George Soros und hat mit seinem Mann zwei Kinder. Regierungserfahrung hat er indes nicht.
Ihm gegenüber sitzt in den Verhandlungen He Lifeng. He ist einer der Vize-Ministerpräsidenten Chinas, mit dem Ressort Wirtschaft gilt er als der wichtigste. Er hat Jahrzehnte in der chinesischen Bürokratie auf dem Buckel. Über das Privatleben des 70 Jahre alten Politikers ist fast nichts bekannt, nicht einmal, ob er verheiratet ist oder Kinder hat. „Ich glaube nicht, dass er ein Wort Englisch versteht“, sagt einer, der ihn in den vergangenen Jahren häufig getroffen hat.
In gewisser Weise sind die Biographien der Männer ein Ausdruck der globalen Machtverschiebung. Bessent hat an der Elite-Universität Yale studiert, Lutnick am angesehenen Haverford College. Der US-Handelsbeauftragte Jamieson Greer hat in Paris die Sorbonne und die Science Po besucht.
Der Weg an den wichtigsten Verhandlungstisch der Weltwirtschaft führte He aber nicht durch westliche Elite-Einrichtungen, anders als seinen Vorgänger Liu He, der in Harvard studiert hatte, gut Englisch sprach und nach Meinung vieler Chinesen Trump in seiner ersten Amtszeit zu viel Verständnis entgegenbrachte. He steht mit den hohen Gegenzöllen und den Exportbeschränkungen auf Seltene Erden für einen viel härteren Kurs. Er hat, soweit bekannt, nie im Ausland gelebt, in den achtziger Jahren an der Universität in Xiamen Finanzwissenschaften studiert und später in Volkswirtschaft promoviert.
Karriere fernab von Peking
He kommt aus einer Kleinstadt in den Hügeln des Hinterlands Xiamens, einer Küstenstadt in der südchinesischen Provinz Fujian. Hier verbrachte er die Tumulte der Kulturrevolution und soll in dieser Zeit, als die Jugend von den einfachen Leuten lernen sollte, auf Bauernhöfen gearbeitet und an einem Staudamm mitgebaut haben.
Anfang der achtziger Jahre, als He hier seinen Abschluss machte, wurde Xiamen eine der ersten Sonderwirtschaftszonen in der Reformpolitik Deng Xiaopings. In einem Wirtschaftsforschungsinstitut begann He, der noch im Studium der Kommunistischen Partei beigetreten war, seine berufliche Karriere.
Xiamen war einst eine der ersten Hafenstädte, deren Öffnung die Briten im Opiumkrieg erzwangen. Zuvor hatten auch spanische und portugiesische Kolonialisten hier ihre Spuren hinterlassen. Die Kolonialarchitektur auf der Insel Gulangyu sind heute Weltkulturerbe und ein beliebtes Touristenziel. Die erste Insel, die von Taiwan regiert wird, ist hier in Sichtweite.
In den ersten fünfundzwanzig Jahren seiner Beamtenlaufbahn deutete wenig darauf hin, dass er einmal Weltpolitik machen würde. He stieg zwar sukzessive auf und brachte es bis zum Bürgermeister und Parteisekretär in Xiamen. Doch er war schon Mitte fünfzig und hatte, soweit bekannt, seine gesamte Laufbahn unweit der Heimat verbracht. Nicht mal bis nach Fuzhou, Hauptstadt der Provinz Fujian, oder in die Provinzregierung schaffte er es. Er hatte nur noch sechs Jahre bis zu Chinas offiziellem Renteneintrittsalter, das für Männer bei 60 Jahren liegt.
Hochzeitsgast bei Xi Jinping
Doch He hatte in dieser Zeit eine Verbindung gemacht, die ihn bis ins Zentrum der Geopolitik spülen sollte: Er traf Xi Jinping. Der verbrachte seine Ochsentour durch die Bürokratie von Mitte der achtziger Jahre bis kurz nach der Jahrtausendwende in Fujian. Als He gerade seine Beamtenlaufbahn begann, kam der anderthalb Jahre ältere Xi als Vizebürgermeister nach Xiamen und kümmerte sich um die Wirtschaftsstrategie der Stadt. Damals heiratete Xi, Sohn eines der mächtigsten Politiker Chinas, in Xiamen seine zweite Frau, die damals schon populäre Sängerin Peng Liyuan. Der junge Beamte He Lifeng soll einer der Hochzeitsgäste des illustren Paares gewesen sein.
Xi stieg auf, führte erst die reiche Provinz Zhejiang, dann die Metropole Shanghai und wechselte schließlich in die nationale Politik nach Peking. Kurz danach holte er He als eines der wichtigsten Mitglieder seiner Fujian-Clique nach und schickte ihn in die Hafenstadt Tianjin, die unweit von Peking liegt. Dort verantwortete He den lokalen Bauboom, mit dem China auf die globale Finanzkrise reagierte und wachte etwa über den Ausbau der U-Bahn. Die intensive Bautätigkeit brachte ihm den Spitznamen als „He, der Zerstörer“ ein, schrieb die „New York Times“ vor einigen Jahren. Wie in so vielen Städten schoss der Boom über das Ziel hinaus und es bildete sich eine riesige Immobilienblase. He ist damit mitverantwortlich dafür, dass Tianjin heute als die am höchsten verschuldete Region Chinas gilt.
Doch wie fast alle Lokalpolitiker verließ He die Stadt, bevor die Schulden zum Problem wurden. Xi holte ihn nach seinem Amtsantritt als Präsident nach Peking und übertrug ihm die Führung der wohl wichtigsten Wirtschaftsbehörde des Landes, der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform.
Ein “selbstbewusster Apparatschik“
He galt mit seiner Erfahrung in der Sonderwirtschaftszone lang als marktwirtschaftlich orientiert. Während seiner Amtszeit bauten viele Ausländer, vor allem Taiwaner, in der Region Fabriken. Der Südosten Chinas ist ohnehin eine Wirtschaftshochburg, die große räumliche Distanz verschafft den Parteikadern und Unternehmen mehr Freiräume. Doch mit dem rigidem Kurs Xis, dem er schließlich seine gesamte Karriere zu verdanken hat, änderte auch He seine Linie. In einem Beitrag über einen seiner früheren Professoren schrieb er, die Fiskaltheorie und Fiskalpolitik müssten auf den Prinzipien der Partei basieren. Später zitierte er Deng mit den Worten, der Schlüssel, um Dinge in China gut zu machen, liege in der Partei. Längst setzt He auf Planung und Kontrolle statt auf Marktwirtschaft.
„Er ist die ganze Essenz des chinesischen bürokratischen Systems“ und „ein Archetyp eines chinesischen Regierungsbeamten“, sagt ein Industriemanager, der ihn häufig erlebt hat. Er beschreibt ihn als „selbstbewussten Apparatschik“. Während sein Vorgänger Liu He offen und kontaktfreudig gewesen sei, sei He „old school“ und sehr zurückhaltend. Einen Sinn für Humor habe er nicht wahrnehmen können. Er sei einer dieser typischen Männer, mit denen sich Xi gern umgebe.
Nach außen werden die Verhandlungen in Genf und London als professionell und offen beschrieben. Tage später ist indes immer noch nicht klar, worauf sich die beiden Länder in London genau geeinigt haben und ob Xi dem von He ausgehandelten Deal überhaupt zustimmt. Der Industriemanager, der ein europäisches Unternehmen in China führt und selbst viel mit der Geopolitik zu tun hat, sagt: „Ich glaube, die Amerikaner sind frustriert. He ist niemand, dem ich gern an einem Verhandlungstisch gegenübersitzen würde.“