Im Jahr 1782 kursiert im Schweizer Kanton Glarus ein böses Gerücht: Eine Magd soll eine Affäre mit einem angesehenen Bürger haben. Doch was als Skandal beginnt, wird bald zur tödlichen Anklage. Ein Fall von Liebe, Macht und tödlicher Willkür.
Die Hexenverfolgungen forderten schätzungsweise 70.000 Todesopfer – betroffen waren vor allem Frauen, die der Magie bezichtigt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Sie waren nicht die Täterinnen, sondern Opfer eines fanatischen Justizsystems. Und diese Justiz wütete bis ins späte 18. Jahrhundert – mit tödlichem Ausgang.
Am 13. Juni 1782 wurde im Schweizer Kanton Glarus die letzte Frau in Europa offiziell als Hexe hingerichtet: Anna Göldi. Ihr wurde der Kopf abgeschlagen – durch das Schwert des Henkers.
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Göldi war eine Magd aus ärmlichen Verhältnissen. Sie arbeitete im Haus von Jakob Tschudi. Er war ein angesehener Glarner Arzt, Ratsherr, Richter und Regierungsrat. Als ein Gerücht über eine heimliche Affäre zwischen Göldi und Tschudi die Runde machte, nahm die verhängnisvolle Geschichte ihren Lauf: Die gesellschaftlichen und moralischen Konventionen jener Zeit duldeten solche Verbindungen nicht – schon gar nicht zwischen Arm und Reich.
Kurz darauf wurde Göldi beschuldigt, der Tochter Tschudis mit Magie geschadet zu haben: Sie soll mehrmals Stecknadeln in die Milch des Mädchens gezaubert haben. Außerdem soll die Tochter des einflussreichsten Protestanten nach Aussagen von Angehörigen der Familie Tschudi mehrfach Nägel gespuckt haben. So lauteten die fantastischen Vorwürfe. Aus einer privaten Affäre wurde ein öffentlicher Skandal, aus der Magd eine angebliche Teufelsdienerin.
Die Behörden fahndeten nach Göldi, in den Schweizer Zeitungen wurde ein Steckbrief veröffentlicht. Sinngemäß lässt sich der Text heute so zusammenfassen: Der evangelische Stand Glarus setzt eine Belohnung von 100 Kronentalern aus, für die Person, die Anna Göldi auffindet und der Justiz übergibt.
Gleichzeitig werden alle Behörden und Beamten freundlich, aber ausdrücklich aufgefordert, bei der Festnahme dieser Person jede mögliche Unterstützung zu leisten. Der Grund: Anna Göldi wird einer äußerst schweren Tat beschuldigt. Sie soll durch geheime und kaum begreifliche Mittel, insbesondere durch das Verabreichen einer großen Anzahl Stecknadeln und anderer Gegenstände, ein achtjähriges Kind schwer geschädigt haben.

Göldi wird in dem Steckbrief folgendermaßen beschrieben: Sie habe eine kräftige und große Körperstatur. Ihr Gesicht sei ebenmäßig geformt und weise eine auffallend rötliche Gesichtsfarbe auf. Ihre Haare und Augenbrauen seien schwarz. Ihre Augen seien grau, erschienen jedoch ungesund und seien häufig gerötet. Ihr Gesichtsausdruck sei niedergeschlagen. In ihrer Sprache sei ein deutlicher Dialekt aus Sennwald zu erkennen.
Schließlich fanden die Schergen die gesuchte Göldi. Unter Folter gestand sie, mit dämonischen Kräften zusammenzuarbeiten. Ihr Bekannter und Schwager der Familie Tschudi, Ruedi Steinmüller, wurde ebenfalls beschuldigt. Er war vermögend und vermutlich in einen Erbschaftsstreit mit der Familie geraten. Am 11. Mai 1782 beging er in Haft Suizid. Dies wurde als Schuldeingeständnis gewertet, sein Besitz konfisziert.
Der Prozess gegen Göldi wurde streng geheim geführt, das Urteil am 6. Juni 1782 gefällt. Am 13. Juni folgte die Hinrichtung.
Im Urteil wurde der Begriff Hexerei bewusst vermieden – Göldi wurde stattdessen als Giftmörderin verurteilt. Dennoch gilt ihr Fall als einer der letzten dokumentierten Hexenprozesse Europas. Die Anklage hatte kein rechtmäßiges Fundament, denn Göldi war keine Bürgerin Glarus’, sondern Auswärtige. Dennoch entschied der Evangelische Rat über Leben und Tod.
Die Öffentlichkeit blieb nicht stumm: Trotz Zensur berichteten Journalisten über den Fall. 2007 gelang es dem Historiker Walter Hauser, anhand von Tagebüchern des Journalisten Heinrich Ludwig Lehmann nachzuweisen, dass der Gerichtsschreiber Johann Melchior Kubli geheime Prozessakten an die Öffentlichkeit brachte – ein lebensgefährlicher Schritt. Kubli hatte sich bereits während des Verfahrens für Göldi eingesetzt. Wäre seine Rolle bekannt geworden, hätte auch ihm die Todesstrafe gedroht.