Die Thüringer AfD unter ihrem Vorsitzenden Björn Höcke ist für Überraschungen gut. In der vergangenen Woche kündigte die Fraktion im Erfurter Landtag an, sie wolle einen Abwahlantrag gegen Landtagspräsident Thadäus König (CDU) stellen. Der Posten gebühre der AfD. Wie die AfD das hinkriegen will, bleibt unklar. Denn ihre 32 Abgeordneten reichen angesichts von 88 Sitzen im Landtag für eine Mehrheit nicht aus. Und aus den anderen Fraktionen ist keine Unzufriedenheit mit dem Landtagspräsidenten zu vernehmen.
Weniger absurd erscheint die Ankündigung der AfD im Lichte eines anderen Manövers. Parallel warf Höcke der Landtagsverwaltung vor, über Jahre „scheinbar willentlich und absichtlich“ die Minderheitsrechte der größten Oppositionsfraktion, also der AfD, in Untersuchungsausschüssen ignoriert zu haben. Sie strenge deswegen eine Fach- und Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Landtagsdirektor Jörg Hopfe an. Wenn Hopfe den vermeintlichen Rechtsbruch nicht gekannt habe, sei er der falsche Mann auf dem Posten. Wenn er ihn verschwiegen habe, sei er „als Landtagsdirektor nicht mehr zu halten“, so Höcke. Hopfe sagte der F.A.Z, er weise die gegen die Landtagsverwaltung erhobenen Vorwürfe „mit aller Deutlichkeit zurück“.
Hopfe wies die AfD in ihre Schranken
Hopfe gilt als ebenso erfahrener wie unbestechlicher Landtagsdirektor. Nach der Wende kam der Jurist, der in Hessen eine Kanzlei führte, nach Thüringen als Referent in die Landtagsverwaltung. Er wurde 2011 stellvertretender Direktor, 2019 Landtagsdirektor. Einem breiteren Publikum wurde er am 26. September vergangenen Jahres bekannt, als der neu gewählte Thüringer Landtag zusammentrat. Hopfe, mit einer leuchtend roten Krawatte gut erkennbar, wies den Alterspräsidenten Jürgen Treutler von der AfD während der turbulenten Sitzung mehrfach darauf hin, dass er seine Kompetenzen als Alterspräsident in verfassungswidriger Weise überschreite, weil er Anträge zur Geschäftsordnung der Fraktionen ignorierte und so die Wahl eines Landtagspräsidenten zu verhindern suchte. Der Beamte, der sonst nur im Hintergrund wirkt, wurde zum Protagonisten. AfD-Anhänger überschütteten ihn nach der Eklat-Sitzung mit Hassmails. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof machte dann den Weg für die Wahl eines Landtagspräsidenten der CDU frei – und gab damit auch Hopfe recht. Doch die AfD hat seitdem mit dem Landtagsdirektor, der Mitglied der SPD ist, eine Rechnung offen.
Höcke warf Hopfe nun vor, jahrelang ignoriert zu haben, dass Beweisanträge nach dem Thüringer Gesetz zu Untersuchungsausschüssen dem Minderheitenrecht unterliegen würden. In der Folge seien Beweisanträge der AfD abgelehnt worden, obwohl der Untersuchungsausschuss zur Annahme verpflichtet gewesen sei. Das sei schon 2012 durch einen Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts so entschieden worden.
Die Landtagsverwaltung widersprach am Wochenende dieser Darstellung. Von einem Beschneiden der Verfahrens- oder Oppositionsrechte der AfD-Fraktion könne „keine Rede sein“. Es gehe nicht um einen Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts, wie Höcke behauptet, sondern um die gutachterliche Stellungnahme einer Kommission. Sie setzt sich aus den drei dienstältesten Richtern des Thüringer Oberlandesgerichts und des Thüringer Oberverwaltungsgerichts zusammen und kann angerufen werden, wenn in einem Untersuchungsausschuss ein Beweisantrag, der als Minderheitenrecht gilt, abgelehnt wird.
Keine rechtliche Bindungswirkung
2012 hatte die Kommission auf Antrag der Linken im ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags entgegen der vorherrschenden Meinung in juristischen Fachkommentaren entschieden, dass bei dem Ersuchen der Aktenvorlage ein Minderheitenrecht anzunehmen ist. Der damalige Untersuchungsausschuss folgte dieser gutachterlichen Stellungnahme, hätte aber auch anders entscheiden können. Eine rechtliche Bindungswirkung habe die gutachterliche Stellungnahme schon nicht für den konkreten Einzelfall, erst recht nicht für weitere Untersuchungsausschüsse, machte die Landtagsverwaltung nun klar.
In der vergangenen Wahlperiode entschied ein Untersuchungsausschuss zur „Politischen Gewaltkriminalität“ anders. Anträge auf Aktenvorlage wurden als nicht vom Minderheitenrecht erfasst angesehen. Gleichwohl habe die Landtagsverwaltung die Mitglieder des Ausschusses darüber informiert, dass die Rechtsfrage umstritten sei und sie damit ihrer Beratungspflicht nachgekommen sei, heißt es weiter in der Stellungnahme. Die AfD-Fraktion hätte damals Rechtsschutz suchen und die zuständige Kommission anrufen können. Sie hätte auch Organklage beim Thüringer Verfassungsgerichtshof erheben können. Beides tat sie nicht.
Der jüngste Vorstoß reiht sich ein in eine Eskalationsstrategie der AfD, bei der es darum geht, Institutionen des Landes und ihre Repräsentanten zu diskreditieren. So hatte die AfD im vergangenen Jahr Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen den Richter des Verfassungsgerichtshofes, Jörg Geibert, gestellt. Er sei befangen, weil sein Sohn Mitglied der CDU-Landtagsfraktion ist.
Auch gegen den Präsidenten des Verfassungsgerichts, Klaus von der Weiden, stellte sie Strafanzeige, weil er die angebliche Rechtsbeugung zugelassen habe. Die Anzeigen lehnte die Staatsanwaltschaft Erfurt ab. Zugleich forderte die AfD-Fraktion Landtagspräsident König auf, einen Antrag beim Verfassungsgerichtshof auf Entlassung der beiden Richter zu stellen. Er wurde aus rechtlichen Gründen zurückgewiesen. Die AfD-Fraktion hat zudem aktuell einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der die Amtsführung des Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten Stephan Kramer untersuchen soll. Das Landesamt für Verfassungsschutz stufte die Thüringer AfD 2018 als Prüffall und 2021 als gesichert rechtsextrem ein.
Hopfe wehrt sich entschieden gegen die Attacke der AfD. Er sagte der F.A.Z.: „Die Kampagne der AfD-Fraktion gegen die Landtagsverwaltung spornt mich an, meinen Einsatz für unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie nicht nur fortzusetzen, sondern zusammen mit engagierten Mitstreitern noch weiter zu intensivieren.“