Israel und Iran: Aus Feindschaft wird Krieg

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Ein Freund aus Teheran schickt eine Audionachricht. Worte sind darauf nicht zu hören. Dafür schwere Explosionen. „Wir sind in einer furchtbaren Situation“, schreibt er. „Vergangene Nacht haben sie viele Wohnhäuser angegriffen.“ Leider gebe es in Teheran keine Bunker, die Schutz bieten könnten. Laut iranischen Medien wurden allein am Freitag und Samstag in Iran mehr als 120 Menschen getötet.

Der Freund schickt ein Foto, aufgenommen aus seinem Wohnzimmerfenster im Westen der iranischen Hauptstadt. In der Ferne sind meterhohe Flammen zu sehen, die den Nachthimmel erleuchten. Was da brennt, ist das Treibstofflager von Schahran. Nachdem Israel es in der Nacht bombardiert hatte, frohlockte der israelische Verteidigungsminister. „Teheran brennt“, schrieb Israel Katz auf der Plattform X. Zuvor hatte er gewarnt, die iranische Hauptstadt werde brennen, wenn Irans Oberbefehlshaber Ali Khamenei weiter Raketen auf Israel abfeuern lasse.

Ein Konflikt, ausgewachsen zu einem Krieg

Seit Freitag hat sich der militärische Konflikt zwischen Israel und Iran zu einem Krieg ausgewachsen, zum ersten Mal seit Beginn der Erzfeindschaft vor mehr als 45 Jahren. In Israel gab es am Wochenende angesichts iranischer Raketenangriffe keine Gegend, in der nicht roter Alarm ausgelöst wurde. In Teheran wiederum entschieden sich manche der besorgten Bewohner, in den Norden des Landes oder an die Küste auszuweichen, um sich in Sicherheit zu bringen. Zugleich weitete Israel seine Angriffsziele aus.

Nachdem es am Freitag zunächst die militärische Führung und Atomforscher getötet sowie vornehmlich Atom- und Militäranlagen angegriffen hatte, nahm es am Wochenende auch Energie- und Transportinfrastruktur ins Visier. So wurde etwa eine zum Gasfeld South Pars gehörende Raffinerie im Süden Irans getroffen. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Tasnim wurde die Gasproduktion teilweise eingestellt. Auch in Teheran griff Israel eine Raffinerie an. Laut einem in Teheran gut vernetzten Beobachter geht die iranische Führung inzwischen davon aus, dass Israel nicht mehr allein auf die Zerstörung des iranischen Atomprogramms setze, sondern eine Zersetzung des iranischen Staates anstrebe. Man vermute, dass die Attacken auf die Energieversorgung die schlechte wirtschaftliche Lage im Land verschärfen sollten, um mittelfristig Unruhen zu schüren.

In der Nacht zu Samstag hatte Teheran seinen ersten Gegenschlag gestartet. Wie das israelische Militär am Samstagmorgen mitteilte, hatte Teheran etwa 200 Raketen auf Israel abgefeuert. Die meisten davon seien abgefangen worden, Berichten zufolge auch mithilfe amerikanischer Abwehrbatterien in der Region. Doch bereits die vergleichsweise geringe Wucht des ersten iranischen Gegenschlags löste Bilder aus, die Israel ansonsten vor allem aus den Ländern kennt, die es selbst bombardiert. Bei Einschlägen wurden mindestens drei Israelis getötet, mehr als 80 Menschen verletzt und Häuser schwer beschädigt. Aufnahmen aus Rischon Le Zion, einer Stadt südlich von Tel Aviv, zeigten am nächsten Morgen mehrere Gebäude, die in Schutt und Asche lagen. Am frühen Morgen war dort eine Rakete eingeschlagen und hatte zwei Menschen getötet, ein drei Monate altes Baby wurde aus den Trümmern gerettet.

Zehn Tote in Israel am Sonntagmorgen

In der Nacht auf Sonntag traf das Teheraner Regime Israel dann noch einmal schmerzlicher. Die neuerlichen iranischen Angriffe töteten bis Sonntagfrüh mindestens zehn weitere Israelis; etwa 200 Menschen wurden verletzt. In Bat Yam südlich von Tel Aviv kamen am frühen Morgen nach Angaben des Rettungsdienstes Magen David Adom ein acht Jahre altes Mädchen, ein zehn Jahre alter Junge und vier weitere Menschen ums Leben, als eine Rakete in ein Wohngebäude einschlug.

Etwa 100 Menschen wurden verletzt. Die iranischen Raketensalven richteten sich insbesondere auch gegen die nördliche Küstenstadt Haifa. In der benachbarten israelisch-arabischen Kleinstadt Tamra wurden bei einem Treffer auf ein Wohnhaus vier Frauen getötet, dort gibt es kaum Schutzräume. In Rehovot wiederum wurde das wichtige Weizmann-Forschungsinstitut getroffen, ein Einschlag setzte mindestens ein Laborgebäude in Brand. Am Sonntag drohte die iranische Revolutionsgarde damit, die Angriffe zu intensivieren, wenn Israel Iran weiter bombardiere.

Nach dem Einschlag einer iranischen Rakete: Die Suche nach Überlebenden in Bat Yam am Sonntag
Nach dem Einschlag einer iranischen Rakete: Die Suche nach Überlebenden in Bat Yam am SonntagEPA

Israel kündigte am Sonntag ebenfalls weitere Vergeltungsschläge an. Das israelische Militär rief die iranische Bevölkerung im Umkreis von Militäreinrichtungen dazu auf, die entsprechenden Gebiete zu räumen. „Zu Ihrer Sicherheit bitten wir Sie, diese Gebiete umgehend zu verlassen und bis auf Weiteres nicht zurückzukehren“, hieß es in einem auf Arabisch und Persisch verfassten Eintrag des israelischen Armeesprechers Avichay Adraee auf der Plattform X. „Die Nähe zu diesen Anlagen gefährdet Ihr Leben.“ Bereits zuvor hatte es aus Israel geheißen, dass der Luftweg nach Teheran mittlerweile „weit geöffnet“ sei, die iranische Luftverteidigung also weitgehend ausgeschaltet sei.

„Wir haben die Luftüberlegenheit vom Westen des Iran bis nach Teheran erlangt“, teilte Militärsprecher Effie Defrin mit. Israels Luftwaffe habe sich darauf seit Jahren vorbereitet. „Teheran ist nicht länger immun“, so Defrin weiter. Irans „Hauptstadt und ihr Terrornetzwerk“ seien nun israelischen Angriffen ausgesetzt. Unter anderem wurden in Teheran nach israelischen Angaben die Zentrale des Verteidigungsministeriums, eine angeschlossene Atomforschungseinrichtung sowie jene Gebäude getroffen, in der Iran sein sogenanntes Atomarchiv beherberge, aus dem Agenten des Mossad 2018 Dokumente entwendet hatten.

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte bereits am Samstag angekündigt, dass die bisherigen Angriffe „nichts im Vergleich zu denen der kommenden Tage“ seien. Israel wolle sowohl die Bedrohung durch Atomwaffen als auch durch ballistische Raketen in Iran abwehren. Israels Militäreinsatz gegen Iran werde voraussichtlich „Wochen, nicht Tage“ dauern, zitierte der amerikanische Fernsehsender CNN Beamte im Weißen Haus und in Israel. Laut amerikanischen und israelischen Regierungsvertretern soll Israel dafür die stillschweigende Zustimmung des Weißen Hauses haben. Präsident Donald Trump sei mit dem wochenlangen Zeitrahmen des Krieges einverstanden, sagte ein Israeli laut CNN. Ein amerikanischer Regierungsvertreter fügte an: „Die Trump-Regierung ist der festen Überzeugung, dass dieses Problem durch weitere Verhandlungen gelöst werden kann.“

Irans „sichere Belege“ für amerikanische Beteiligung

Der iranische Außenminister Abbas Araghchi behauptete am Sonntag, Teheran habe „sichere Belege“ für eine amerikanische Unterstützung der Angriffe. Seine Worte vor ausländischen Botschaftern schienen darauf ausgerichtet, Washington zu einer Distanzierung von der israelischen Kriegsführung zu bewegen. Teheran bemühe sich darum, Israel und die Vereinigten Staaten getrennt voneinander zu behandeln, meint der in Teheran gut vernetzte Beobachter.

So hatte sich der Oberste Führer Ali Khamenei in seiner an einem geheimen Ort aufgezeichneten Rede am Freitagabend mit Vorwürfen gegenüber Washington merklich zurückgehalten. Die Führung hoffe, so der Beobachter, mit den Kriegsbildern aus Israel die Anti-Kriegs-Instinkte des amerikanischen Präsidenten Donald Trump anzusprechen. Mit Angriffen auf US-Basen, wie sie zuvor angedroht worden waren, sei deshalb vorerst nicht zu rechnen. Araghchi sagte, „wir wollen diesen Krieg nicht auf weitere Länder oder die Region ausdehnen, solange dies uns nicht aufgezwungen wird“.

Ein Satellitenbild zeigt iranische Nuklearanlagen in der Nähe von Ahmadabad nach dem israelischen Angriff am Freitag.
Ein Satellitenbild zeigt iranische Nuklearanlagen in der Nähe von Ahmadabad nach dem israelischen Angriff am Freitag.AFP

Trump bekräftigte am Sonntag sein Angebot an Teheran, den „blutigen Konflikt“ mit einem „Deal“ zu beenden. In der gegenwärtigen Lage würde eine Aufgabe des Atomprogramms aus Teheraner Sicht wohl einer Kapitulationserklärung gleichkommen, ohne dass Iran sicher sein könnte, damit den Krieg zu stoppen. „Von den Diskussionen, die ich höre, geht man in Teheran in einem solchen Szenario der kompletten Offenbarung der eigenen Schwäche davon aus, dass das zu weiterer militärischer Eskalation seitens Israels führen würde“, so der Beobachter. In diese Richtung konnte man am Sonntag auch die Worte von Außenminister Araghchi deuten. „Es ist absolut klar, dass das israelische Regime keine Einigung in der Nu­klearfrage will“, sagte er.

Schon zuvor ­hatte er eine Fortsetzung der Atomverhandlungen zumindest während der israelischen Militäroperationen als „unvertretbar“ bezeichnet. Eine ursprünglich für Sonntag in Oman angesetzte Verhandlungsrunde wurde abgesagt. Dennoch hat Iran bisher eine Fortsetzung der Gespräche nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Offenbar will man sich eine Hintertür offenhalten, falls Israel seine militärische Übermacht so weit ausspielt, dass die Stabilität des Regimes gefährdet wäre. In der iranischen Geschichte gibt es für eine solche Lage einen Präzedenzfall, über den jetzt viel gesprochen wird. 1988 hatte der damalige Revolutionsführer Ruhollah Khomeini nach acht verheerenden Kriegsjahren widerwillig einem Waffenstillstand mit dem Irak zugestimmt. Er sprach damals davon, einen „Giftbecher zu trinken“.

Eine Videobotschaft vor braunem Vorhang

Sein Nachfolger Khamenei ist seit dem Beginn der israelischen Militäroperation nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Am Freitagabend ließ er zeitgleich mit dem Beginn der ersten Vergeltungswelle ein Video ausstrahlen, in dem er Israel von einem geheimen Ort aus Rache schwor und von Krieg sprach. Gleich zweimal in seiner dreiminütigen Rede hob Khamenei hervor, dass das iranische Volk hinter seinem Regime und den Streitkräften stehe.

Er saß vor einem braunen Vorhang, um jeden Hinweis auf seinen Aufenthaltsort zu vermeiden. Seine militärische Führung war zuvor weit weniger vorsichtig gewesen. Mit der Ermordung der führenden Generäle des Landes hatte Israel zuvor bewiesen, wie tief sein Auslandsgeheimdienst Mossad den iranischen Sicherheitsapparat unterwandert hat. Am Sonntag bestätigte die Revolutionsgarde den Tod von acht weiteren Offizieren ihrer Luftwaffe, nachdem am Freitag bereits der Tod des Kommandeurs der Luftwaffe bekannt gegeben worden war. Auch der Stabschef der iranischen Streitkräfte und der Chef der Revolutionsgarde wurden getötet.

Möglich war dies offenbar auch aufgrund eines erstaunlichen Geheimdienstversagens. Aus Regimekreisen wurde der „New York Times“ berichtet, dass die Führung nicht erwartet habe, dass Israel vor der für Sonntag angesetzten Gesprächsrunde mit dem amerikanischen Unterhändler Steve Witkoff zuschlagen würde.

Iranischer Politikwissenschaftler: „Verteidigung des Vaterlandes hat Priorität“

Der Teheraner Politikwissenschaftler Amir Dabiri-Mehr rechnet für die Zeit nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzung mit einer Säuberungswelle im iranischen Sicherheits- und Geheimdienstapparat, um der Unterwanderung durch den Mossad Einhalt zu gebieten. Zudem sei es nötig, alle Strukturen und Prozesse auf den Prüfstand zu stellen.

Ein Problem sei, dass die Sicherheitskräfte zu sehr mit trivialen Aufgaben wie der Durchsetzung des Kopftuchzwangs beschäftigt seien, was sie von ihren eigentlichen Aufgaben ablenke. Widerstand gegen das Regime von innen, zu dem Ministerpräsident Netanjahu die Iraner aufgefordert hatte, hält Dabiri-Mehr derzeit für unwahrscheinlich. „In den vergangenen Tagen haben sich selbst die schärfsten Kritiker der Islamischen Republik gegen Israel ausgesprochen“, sagte er der F.A.Z. „Die Verteidigung des Vaterlandes hat für sie jetzt Priorität.“ Angesichts der zivilen Opfer in Iran richte sich die Wut derzeit gegen Israel und nicht gegen das iranische Regime. Ob das in einigen Wochen auch noch so ist, wenn die Bevölkerung unter den wirtschaftlichen Folgen des Krieges zu leiden hat, bleibt abzuwarten.

Israel stellt sich derweil auf weitere Gegenangriffe ein. „Es werden weitere Einschläge in Israel folgen“, sagte ein israelischer Militärsprecher am Sonntag. Beobachter vermuten, dass Teheran Raketen aufspart, um für einen wochenlangen Kriegsverlauf einsatzfähig zu bleiben. Die Folgen, die ein solcher für Israel haben könnte, sind bislang kaum absehbar. Die Schäden wären in jedem Fall – nicht zuletzt aus ökonomischer Sicht – enorm.

Eine Frage ist, wie lange Iran seine Vergeltungsschläge fortsetzen könnte. Nach israelischen Angaben verfügt das Land über etwa 2000 ballistische Raketen mit einer Reichweite, die Israel treffen können. Davon seien allein in der ersten Angriffswelle 200 verschossen worden. Die Zahl könnte auch dadurch sinken, dass Israel derzeit sowohl Untergrundraketenbasen als auch mobile Startrampen in Iran angreift, wie der Raketenforscher Fabian Hinz von der britischen Denkfabrik International Institute for Strategic Studies im Gespräch mit der F.A.Z. ausführt. Solche Startrampen seien schwer zu identifizieren, weil sie als zivile Lastwagen getarnt seien.

„Im Krisenmoment wäre eigentlich die iranische Doktrin, dass man die ganzen Lastwagen aus den Untergrundbasen ausschwärmen lässt und über das ganze Land verteilt“, sagt Hinz. Es sei aber unklar, ob das geschehen sei. Womöglich hat die Tötung führender Kommandeure des Raketenprogramms die Handlungsfähigkeit des iranischen Militärs eingeschränkt. Jenseits des bestehenden Arsenals ist Iran nach israelischer Schätzung derzeit in der Lage, etwa 50 Raketen pro Monat zu produzieren. „Sobald es Priorität wird, könnten die Israelis die Produktion komplett stoppen“, sagt Hinz. „Da besteht überhaupt kein Zweifel.“

Zugleich stellt sich die Frage, wie nachhaltig Israel tatsächlich gegen das iranische Atomprogramm vorgehen kann. Laut einem Bericht der „New York Times“ sind die Atomanlagen bisher nur geringfügig beschädigt worden. Ein Militärsprecher hob am Sonntag vor Journalisten hervor, dass vor allem in Natans und Isfahan bereits große Erfolge erzielt worden seien. In Fordow habe man dagegen noch nicht operiert. Iran habe jahrzehntelang daran gearbeitet, sein Atomprogramm in den Untergrund zu verlagern, auf verschiedene Standorte zu verteilen und so seine Aktivitäten zu verstecken. Weitere israelische Angriffe auf iranische Anlagen würden folgen.