Ein Defizit von 100 Milliarden Euro?

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Die Ampel ist am Haushalt 2025 zerbrochen. Die schwarz-rote Regierung muss es besser machen. Die kommenden Wochen gelten als entscheidend für das Gelingen der Koalition. Mit dem Etat wird der bis 2029 reichende Finanzplan vorgelegt, mit dem wichtige Weichenstellungen verbunden sind. Wenige Tage hat der zuständige Minister Lars Klingbeil (SPD) noch, um das Zahlenwerk stimmig zu machen. Am 24. Juni will das Kabinett das Finanzpaket beschließen, wegen des NATO-Gipfels wurde das einen Tag vorgezogen.

Nach den üblichen Gepflogenheiten geht die Vorlage ein paar Tage vorher an die anderen Ressorts. Angesichts des engen Zeitplans dürfte der Verlauf knapp ausfallen. Die anderen Ministerien haben sich mal mehr, mal weniger an die Vorgaben gehalten, die Haushaltsstaatssekretär Steffen Meyer im Aufstellungsschreiben genannt hatte. Manche Unstimmigkeit soll er danach mit seinen Amtskollegen abgeräumt haben. Doch blieb genug übrig für die sogenannten Chefgespräche.

Klingbeil hat nach F.A.Z.-Informationen mittlerweile mit allen Kabinettskollegen einmal gesprochen. Doch durch ist der Finanzminister damit noch nicht. Anders als in der Endphase der Ampelkoalition liefen die Verhandlungen bisher ohne das explizite Einschalten des Bundeskanzlers. So soll es auch bleiben. Man kann zwar davon ausgehen, dass Klingbeil sich zum Haushalt regelmäßig mit Friedrich Merz austauscht. Aber dabei soll es auch bleiben.

Rückkehr zum alten Haushaltsverfahren

Grundsätzlich will die Koalition zum alten Haushaltsverfahren zurückkehren, in dem der Finanzminister den Entwurf eigenständig vorbereitet. Vorab soll es wieder Eckwerte geben, die das Kabinett beschließt – und die es dann bindet. Nur dieses Jahr soll es noch einmal einen Haushaltsentwurf ohne Eckwerte geben. Das ist dem Zeitdruck geschuldet.

Ein neuer Kreditrekord ist zwar nicht in Sicht, aber ein dreistelliger Milliardenbetrag könnte bei der Nettokreditaufnahme herauskommen. Klingbeil verspricht für 2025 Investitionen in nie zuvor gesehener Höhe von 110 Milliarden Euro. Damit dürfte es ein Jahr mit extremer Neuverschuldung werden, nur in der Corona-Pandemie sollte sie noch höher gewesen sein (2021 mehr als 215,4 Milliarden Euro, 2020 etwa 130,5 Milliarden Euro). Klingbeils Vorvorgänger Christian Lindner (FDP) hatte im vergangenen Sommer für 2025 mit einer Neuverschuldung von 51,3 Milliarden Euro gerechnet, allerdings unter Einschluss der gut 12 Milliarden Euro für das Generationenkapital.

Dieser Betrag wäre bei der Schuldenbremse nicht berücksichtigt worden, weil diesen Verbindlichkeiten eine Vermögensposition des Bundes in gleicher Höhe gegenüberstehen sollte. Haushaltspolitiker sprechen in dem Zusammenhang von finanziellen Transaktionen, die bei der Berechnung der maximal zulässigen Kreditaufnahme ausgeblendet werden. Mit dem Ausscheiden der FDP aus der Regierung ist der Aufbau des Generationenkapitals zur späteren Entlastung der Rentenversicherung Geschichte. Die damit verbundene Krediterweiterung fällt entsprechend weg.

Krankenkassen müssen stabilisiert werden

Eine kursorische Kalkulation zeigt, dass der SPD-Politiker den Kapitalmarkt gleichwohl deutlich stärker anzapfen dürfte, als es Lindner vorhatte. Nachdem die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose im Frühjahr nochmals zurückgenommen hat, wird der konjunkturabhängige Verschuldungsspielraum größer geworden sein. Im Ergebnis (kein Generationenkapital, höherer Konjunkturfaktor) könnte man, sehr grob gerechnet, nach der Schuldenregel wieder bei 50 Milliarden Euro landen – zumal die Krankenkassen und die soziale Pflegeversicherung, die unter großen Finanzlöchern leiden, mit Darlehen stabilisiert werden könnten. Auch das wären finanzielle Transaktionen, die nach der Schuldenregel den Kreditrahmen weiten.

Damit ist man noch lange nicht am Ende: Hinzu kommen die Kredite für das Sondervermögen Bundeswehr, die man auf 20 Milliarden Euro taxieren darf. Damit nicht genug, dürften die der Regierungsbildung vorgeschalteten Grundgesetzänderungen erstmals in Anspruch genommen werden: Aus dem neuen Sondervermögen Infrastruktur sollen jährlich knapp zehn Milliarden Euro an die Länder fließen. Wenn der Bund in gleichem Maße auf dieser Grundlage zusätzlich investieren will, käme man hier insgesamt auf eine Größenordnung von 20 Milliarden Euro.

Krediterhöhend wirkt außerdem die neue Regelung, dass Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit nur noch mit einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei der Schuldenbremse berücksichtigt werden. Um die NATO-Quote von mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht nur zu halten, sondern auszubauen, dürfte man auf diesem Weg weitere Milliarden lockermachen. In der Summe könnte man so auf eine Nettokreditaufnahme von mehr als 100 Milliarden Euro kommen.

Opposition: „Schulden als Allheilmittel“

Klingbeil selbst hält sich zum Stand der Verhandlungen bedeckt. Auf Nachfrage wollte sein Ministerium nicht zu Zahlen Stellung nehmen. Der Koalitionspartner positionierte sich vorsichtig. Eine Pro­gnose sei sehr spekulativ, antwortete CDU-Haushaltspolitiker Christian Haase auf die Frage nach dem erwarteten Defizit. „Wenn ich die Möglichkeiten der regulären Schuldenregel, die Bereichsausnahme und die Verschuldungsmöglichkeiten in den Sondervermögen zusammennehme, werden wir einen sprunghaften Anstieg der Neuverschuldung erleben.“ Als Haushälter sei er mit Blick auf den Zinsdienst der Meinung, „dass man nicht jede Verschuldungsmöglichkeit auch ausnutzen muss“. Er erwarte von allen Ministerien einen Konsolidierungsbeitrag, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion.

Die Opposition ist auf jeden Fall schon alarmiert. „Die Bundesregierung und der Bundesfinanzminister scheinen allein auf neue Schulden als Allheilmittel zu setzen. Damit allein werden aber zentrale Strukturprobleme in unserem Land nicht gelöst werden, und generationengerecht ist das auch keineswegs“, sagte der Grünen-Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer. Zwar bestehe bei Infrastruktur, Sicherheit und Verteidigung ein großer Nachholbedarf. Aber diese staatlichen Kernaufgaben müssten in absehbarer Zeit wieder aus dem regulären Haushalt finanziert werden. „Lars Klingbeil bleibt an dieser Stelle jede Antwort schuldig“, monierte Schäfer.