Mehr als 33 Millionen Fälle in einem Jahr

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Die Wartezeit am Gepäckausgabeband ist für Flugreisende eine Phase banger Momente. Dass der eigene Koffer nicht kommt, wollen sie nicht erleben. Doch 33,4 Millionen Mal blieb 2024 Passagieren in aller Welt diese Erfahrung nach dem Flug nicht erspart, wie aus Daten des Luftfahrtdienstleisters Sita hervorgeht. Bei 5,3 Milliarden Reisenden bedeutete das, dass von 1000 Passagieren im Durchschnitt 6,3 zunächst vergeblich warteten.

„99,37 Prozent aller Gepäckstücke werden während einer Flugreise richtig bearbeitet. Dieser Anteil klingt sehr hoch, aber fast einen von Tausend Reisenden trifft es dann doch“, gibt Sita-Manager Georg Oschmann zu bedenken. Als Trost bleibt, dass zwei Drittel der vermissten Koffer schnell wieder auftauchen und binnen 48 Stunden nachgeliefert sind. Doch für Reisende, die nur eine Woche in den Urlaub flögen, seien auch diese zwei Tage erheblich, sagt er.

Als dauerhaft verloren oder gestohlen gingen nur acht Prozent der als vermisst gemeldeten Koffer in die Statistik ein. Und im Langzeitvergleich sinkt der Anteil der vermissten Gepäckstücke. Vor anderthalb Jahrzehnten fehlten auf den Ausgabebändern in aller Welt in etwa genauso viele Koffer wie heute, doch damals war die Zahl der Reisenden nur halb so hoch.

Meist hakt es beim Umladen

So nervenaufreibend die Suche nach einem verschollenen Koffer geraten kann, rückblickend lassen sich Stellen benennen, an denen Gepäck bleibt. In 41 Prozent aller Fälle hakte es beim Umladen, während der Passagier zum Anschlussflug umstieg, bei 17 Prozent wurde ein gerade aufgegebener Koffer nicht eingeladen. Verzögerungen durch Kontrollen, zu große Lademengen oder das Wetter spielten bei 10 Prozent eine Rolle, nur vier Prozent der Koffer blieben nach dem Ausladen irgendwo am Ankunftsflughafen hängen.

Für Oschmann steht fest: „Die Abläufe rund um das Gepäck haben sich stetig verbessert.“ Reisenden in Europa hilft das weniger. Auf keinem anderen Kontinent gibt es häufiger Gepäckprobleme. Je 1000 Passagiere fehlen am Ausgabeband zunächst 12,3 Koffer – fast das Vierfache des Werts für die Asien-Pazifik-Region und mehr als das Doppelte der Quote in Nordamerika. „Das ist viel“, räumt Oschmann ein. Der Europa-Wert bedeutet nämlich, dass im Durchschnitt nach jedem Flug mehr als ein Passagier vergeblich am Band wartet. Auch die Besserung beim Stressthema Gepäck erfolgt in Europa langsamer. Global ist die sogenannte Fehlleitungsquote laut Sita-Daten seit 2007 um 67 Prozent zurückgegangen, in Europa nur um 26 Prozent.

„Wir müssen uns in Europa verbessern“

Schlechte Arbeit will Oschmann hiesigen Fluggesellschaften, Flughäfen und deren Dienstleistern aber nicht bescheinigen. „In Europa gibt es ein sehr enges Streckennetz und viele Umsteigeverbindungen, in die unterschiedliche Fluggesellschaften mit unterschiedlichen Heimatsprachen eingebunden sind“, sagt er. Und je mehr Beteiligte es gibt, desto mehr Bruchstellen scheinen in den Prozessen rund um das Gepäck zu bestehen. Wer etwa nach Göteborg in Schweden reise, steige mitunter in Kopenhagen um. Und Passagiere erwarteten zunehmend, dass der Flugzeugwechsel für Passagier und Gepäck binnen 45 Minuten gelinge. Dazu komme, dass die Luftfahrt-Infrastruktur in Europa oft älter sei, in anderen Regionen der Welt ist der Flugverkehr erst später groß geworden.

Gründe, sich dem Gepäckschicksal zu ergeben, seien das nicht. „Wir müssen uns in Europa verbessern und zu Asien aufschließen“, sagt Oschmann. Zum einen hofften Reisende auf weniger Ärger mit Gepäck. „Die Erwartungen der Passagiere an funktionierende Prozesse steigen, die Bereitschaft, länger auf einen Koffer zu warten, wird immer geringer“, sagt er. Zum anderen seien für Fluggesellschaften Kofferprobleme – inklusive Sucharbeiten und der nachträglichen Zustellung – teuer. Diese Kosten summierten sich nach Sita-Angaben 2024 international auf fünf Milliarden Dollar.

Sita wirbt nicht uneigennützig für Verbesserungen. Der Luftfahrtdienstleister verdient daran, dass Fluggesellschaften und Flughäfen in Technik investieren. Das Ziel ist ein Echtzeit-Tracking von Gepäck, um zu sehen, wo ein Koffer ist, der eigentlich auf dem Ausgabeband liegen sollte. „Die Transparenz und die Kommunikation, wo sich ein Gepäckstück gerade befindet, wird für Passagiere eine immer wichtigere Sache“, sagt Oschmann. „Wenn sich das weiter verbreitet, machen wir als Branche einen entscheidenden Sprung.“

Neue Aufgabestationen sollen helfen

Passagiere, die sogenannte Airtags von Apple nutzen, können selbst schon ihre Koffer virtuell verfolgen. Ein Ersatz für Anstrengungen der Luftfahrtbranche selbst dürfte das aus Sicht der Reisenden nicht sein. Ein Sita-System ermöglicht, dass Reisende ihre Airtag-Daten mit Fluggesellschaften teilen, damit Koffer schneller aufgespürt werden. Erste Airlines – darunter die Deutsche Lufthansa – nutzen dies. Die teure Sucharbeit nach vermissten Koffern soll abnehmen. An neuen Check-In-Terminals, an denen Reisende in Selbstbedienung Koffer aufgeben, werden nicht nur die Klebeanhänger erfasst, die Koffer werden auch fotografiert, was die Suche erleichtern soll, falls doch mal ein Anhänger abreißt. In Deutschland werden solche Aufgabestationen in Frankfurt und Düsseldorf eingerichtet.

Trotz Technik sind die Gepäckherausforderungen groß. Der Weltfluggesellschaftenverband Iata rechnet damit, dass sich die Passagierzahlen in den kommenden zwei Jahrzehnten verdoppeln. „Viele bestehende Flughäfen können flächenmäßig kaum noch weiter wachsen, Herausforderungen lassen sich nur mit mehr Technik bewältigen“, sagt Oschmann.

Und dann sind da noch die Fluggesellschaften, die auch für mehr Aufgabegepäck sorgen, weil sie strengere Handgepäckregeln durchsetzen und verlangen, dass Reisende weniger gratis an ihren Platz mitnehmen. Zuvor hatten Passagiere schon mal so viel mitgeschleppt, dass nicht mehr alles in die Fächer in der Kabine verpasst. Zeitraubende nachträgliche Verladungen waren nötig, was auch zu Verspätungen führte.

„Die Verstauarbeit ist für alle Reisenden nicht schön. Für sie ist es wichtig, vor dem Start schnell ins Flugzeug zu kommen und nach der Landung schnell wieder raus. Der Trend zum Aufgabegepäck ist eigentlich gut, wenn die Prozesse dafür laufen“, findet Oschmann.